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Ich klammerte mich fester an ihn. Meine Haare flatterten trotz des Helmes im Fahrtwind nach hinten. Wegen der Kälte kuschelte ich mich noch näher an ihn. Mein Herz klopfte schneller, als er sich in eine Kurve lehnte. Obwohl ich immer noch einfach hoffte, dass er keinen Unfall bauen würde, hatte ich das Gefühl, dass er vorsichtiger fuhr als letztes Mal. Als er langsam abbremste, öffnete ich meine Augen wieder. Er fuhr auf einen leeren Parkplatz vor der Schule und hielt an. Schnell rutschte ich von ihm ab und sprang auf.

„Lebst du noch, Kleine?", fragte er grinsend und schaute zu mir.

„Ja klar, warum auch nicht?", meinte ich so cool wie möglich.

„Da du mich fast erdrückt hast?", spottete er. Er hob eine Augenbraue und stieg ebenfalls ab.

„Stimmt gar nicht", wiedersprach ich ihm und er kam auf mich zu.

„Jaja", erwiderte er bloss, während er mir sanft seinen Helm abnahm.

„Arsch", zischte ich ihm zu und schlug ihm gegen die Schulter. Dies entlockte ihm nur ein weiteres Grinsen.

„Komm, gehen wir rein", meinte er, nachdem er seinen Helm am Motorrad befestigt hatte. Also gingen wir schweigend auf das Schulhaus zu, als mir etwas in den Sinn kam.

„Ich habe gar keine Schulsachen dabei", sprach ich meine Gedanken aus.

„Wirst du sowieso nicht brauchen", meinte er schulterzuckend. Wahrscheinlich hatte er Recht. Es war der letzte Tag vor den Ferien, da werden die Lehrer wohl nicht noch Stoff reindrücken. Er zog die Türe auf und hielt sie mir auf.

„Danke", sagte ich leicht verlegen. Seit wann war er so ein Gentleman, der Türen aufhielt?

„Welche Farbe hat dein Kleid?", fragte er plötzlich, während wir den Gang entlangliefen. Ich spürte unzählige neugierige Blicke auf uns, aber ich schaute bloss zu ihm hoch.

„Was?", fragte ich überrascht nach und ignorierte das Getuschel meiner Mitschüler.

„Heute Abend."

„Dunkelrot", antwortete ich. Also hatte er es auch nicht vergessen. Ich hatte mich schon gefragt, ob wir wirklich zusammen hingehen würden und das klärte meine unausgesprochene Frage.

„Mal schauen, ob ich noch eine passende Krawatte finde", sagte er, als wir bei meinem Schliessfach angekommen waren. Ich lächelte ihn scheu an und er lächelte ehrlich zurück.

„Wir sehen uns nachher in Mathe", verabschiedete er sich von mir und nahm meine Haare auf die eine Seite nach Vorne – keine Ahnung warum. Dann drehte er sich um und verschwand in den Mengen der Schüler.

„Bist du des Wahnsinns?!", zischte mir Eleanor zu, die aus dem Nichts plötzlich neben mir auftauchte.

„Was, warum?", fragte ich verwirrt nach. Doch sie gab mir keine Antwort, zog mich bloss mit sich zu den Mädchentoiletten. Zum Glück waren sie leer.

„Was ist los?", fragte ich sie immer noch ahnungslos, während sie in ihrer Handtasche kramte.

„Sind Josh und du jetzt zusammen, oder wieso macht dir das nichts mehr aus?", fragte sie und schob meine Haare wieder nach hinten. Ich schaute in den Spiegel und sah sofort, was sie meinte.

„Oh Verdammt", murmelte ich und betrachtete den Knutschfleck. Er war zwar schon ein bisschen abgeblasst – oder es hatte noch etwas Makeup von gestern drauf - aber er war gut zu sehen.

„Und nein, natürlich sind wir nicht zusammen! Wie kommst du auf so eine blöde Idee?", erwiderte ich energisch und schaute hilfesuchend zu ihr.

„Hm, lass mich überlegen. Erstens; du kommst mit ihm auf seinem Motorrad, woraus alle schliessen können, dass du die Nacht bei ihm verbracht hast. Zweitens; du trägst seinen Hoodie. Drittens; du hast ein Knutschfleck auf dem Hals. Viertens; du gehst mir ihm heute Abend auf den Ball. Und fünftens; du hast ihn angelächelt. Das habe ich noch nie gesehen", zählte sie auf.

„Oh nein, nein, nein", brachte ich verzweifelt raus, „kannst du ihn verschwinden lassen?" Daraufhin zog sie verwirrt die Augenbrauen zusammen, bevor sie anfing zu lachen.

„Nicht Josh, den Knutschfleck", sprach ich ihre Gedanken aus und konnte mir ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie holte lachend ihr Makeup aus ihrer Tasche und machte sich an die Arbeit.

„Das sieht wirklich so aus, als wären wir zusammen. Oder als wäre ich nur eine weitere Schlampe von ihm. Und einige haben den Knutschfleck sicher gesehen. Oh Gott, was muss ich tun, um diese Gerüchte aus der Welt zu schaffen?"

„Bist du dir dann sicher, dass nicht einmal ein winziger Teil von dir, mit ihm zusammen sein möchte?"

„Ja!", log ich schnell. 

„Ich kann heute Abend nicht mit ihm auf den Ball gehen", stellte ich fest.

„Nein!", widersprach sie mir sofort und ich schaute verwirrt zu ihr. „Ich meine, dann wird es erst Recht so aussehen, als wärst du nur ‚eine seiner Schlampen'. Und du darfst den Ball nicht verpassen! Wir haben so ein schönes Kleid zusammen gekauft. Nur weil du offiziell mit ihm gehst, heisst das ja nicht gerade, dass ihr den ganzen Abend zusammen rumhängen müsst."

„Okay, du hast Recht", sah ich aber immer noch ein bisschen misstrauisch ein.

„So fertig", sagte sie dann und betrachtete ihr Kunstwerk an meinem Hals. Ich schaute auch dorthin und es war wieder nichts zu sehen.

„Danke, du bist meine Rettung", bedankte ich mich bei ihr und zog sie in eine Umarmung. 

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt