27

266 20 4
                                    

Ich hatte keine Ahnung, wie ich es gestern Abend im Dunkeln noch durch mein Fenster in mein Zimmer geschafft hatte, aber am nächsten Morgen lag ich in meinem Bett und wurde unsanft von meinem Handy geweckt. Ich brummte und tastete nach meinem IPhone, um den Wecker abzustellen. Halt, ich hatte doch gar keinen Wecker gestellt?

Ich griff nach meinem Handy und sah, dass Josh mir anrief. Wie konnte er es wagen, mich am frühen Morgen anzurufen und mich zu wecken?! Ich nahm genervt ab. Jetzt war ich ja sowieso schon wach.

„Endlich", sagte er, bevor ich irgendetwas erwidern konnte.

„Was ist?", fragte ich genauso genervt wie er.

„Ich stehe vor deinem Haus", meinte er seelenruhig.

„Was?!", schrie ich in mein Telefon rein und sprang auf.

„Ich stehe vor deinem Haus", wiederholte er sich und ich konnte durch mein Handy hören, wie er über meine Panik grinste.

„Das habe ich schon verstanden", zischte ich und senkte die Lautstärke meiner Stimme wegen meinen Eltern.

„Was bitteschön machst du hier? Du kannst gleich wieder verschwinden."

„Wir sollten weiter trainieren", sagte er bestimmend.

„Tja heute nicht. Ich habe Hausarrest und ich habe mich schon gestern weggeschlichen", widersprach ich ihm und setzte mich auf die Bettkante.

„Okay, dann klingle ich einfach und frage deine Eltern so höflich wie ich bin, ob du rauskommen kannst", sagte er und verstellte seine Stimme, als wäre er ein kleiner Junge.

„Nein! Klinge nicht!", schrie ich wieder und hielt mir nachher schnell die Hand auf meinem Mund, als könnte ich so verhindern, dass mir noch weitere laute Wörter rausrutschten.

„Dann beeile dich lieber", sagte er trocken.

„Du hast mich geweckt", sagte ich bloss darauf, war aber schon wieder aufgesprungen und nahm mir gerade die ersten Sachen aus meinem Kleiderschrank raus.

„Oh, tut mir ja so leid, ich wusste nicht dass du noch in dieser Teenager Phase bist, wo man bis zwölf Uhr mittags schläft."

Ich verdrehte meine Augen und erwiderte nichts darauf. Trotzdem hörte ich kurz darauf sein raues Lachen.

„Ich weiss ganz genau, dass du deine Augen verdreht hast."

„Ich komme aus dem Fenster. Also warte schon mal im Wald, okay?"

Er lachte kurz auf und dieses tiefe Lachen sorgte unfreiwillig schon wieder für eine Gänsehaut.

„Okay." Ich wollte schon endlich auflegen, als er sich nochmals räusperte.

„Also beeil dich. Ah und spornt es dich noch mehr an, wenn ich dir sage, dass ich mit meinem Motorrad hier bin?" Dann legte er auf.

Verdammt! Meine Eltern würden mich sowieso schon umbringen, wenn sie wüssten, dass ich schon mal auf einem Motorrad mitgefahren war und wenn dann noch so jemand wie Josh dazu kam... Oh Gott. Ich sprang in meine Kleider rein, flitzte ins Bad und machte mich fertig. Dann ging ich runter.

„Guten Morgen", rief ich meinen Eltern zu und hoffte, dass ich nicht zu gestresst aussah.

„Ich nehme mir Essen mit hoch, dann kann ich gleich anfangen zu lernen, okay?" Sie schauten sich kurz skeptisch an, weshalb ich noch „Ich muss echt viel machen", ergänzte.

„Ja klar", antwortete dann mein Vater endlich, worauf ich mir einen Bagel aus der Küche schnappte.

„Wir müssen beide nachher nochmals zur Arbeit. Keine Ahnung, wie lange es dauern wird, aber es hat noch Lasagne im Kühlschrank, die ihr euch gerne aufwärmen könnt", teilte Mom mir mit.

„Alles klar", meinte ich dazu und verschwand wieder in meinem Zimmer. Ich schloss extra leise die Türe und horchte kurz nach unten, ob ich irgendwelche auffälligen Geräusche hörte. Als dies nicht der Fall war, steckte ich mein Handy in meine hintere Hosentasche und ging auf meinen Balkon hinaus. Ich nahm noch einen Bissen des Bagels und legte ihn anschliessend auf meinen Tisch zurück, da ich keine Zeit mehr hatte zu essen. Diese Türen lehnte ich an. Ich schwang mich über das Geländer. Ich stieg wieder auf den ersten Baum und von dem auf den nächsten. Ich kletterte von Baum zu Baum weiter, um sicherzugehen, dass meine Eltern nichts mitbekamen.

Ein paar Bäume später sass ich aber leider fest. Ich hatte mich nicht darauf geachtet, aber es gab keine gute Möglichkeit mehr irgendwie runter zu kommen. Ich schaute mich nochmals um und fragte mich, wo der gute Baum von gestern Abend hingekommen war.

„Die Haustüre wäre einfacher, nicht?", hörte ich plötzlich Joshs Stimme unter mir. Ich drehte mich so schnell wie es halt ging um und blickte in sein grinsendes Gesicht.

„Ja klar, ich gehe mal kurz durch die Haustüre, wenn ich Hausarrest habe", gab ich zurück.

„Dann müsstest du dir halt keinen Hausarrest einbrocken."

„Falls es dich interessiert; es ist deine Schuld. Weil du mich letztes Mal so schön stehen gelassen hast."

„Du musst lernen, wann du einfach mal deine Klappe halten solltest", sagte er abwehrend.

„Wie willst du überhaupt da runter kommen?", wechselte er das Thema.

„Das frage ich mich gerade auch", antwortete ich und schaute mich nochmals um. 

„Spring", meinte er schlicht.

„Was?! Sicher nicht."

„Komm schon. Wie viel Zeit möchtest du sonst hier verschwinden?", sagte er von unten herauf. „Ich fange dich auf."

Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Ich würde mich garantiert nicht von ihm auffangen lassen.

„Mit meinen Kräften natürlich", setzte er augenverdrehend dazu.

Ja, natürlich. Ich warf ihm nochmals einen zweifelnden Blick zu.

„Oder ich hole dich mit ihnen runter."

„Okay, okay", antwortete ich schnell. Ich schaute nochmals runter auf den Boden. Es waren vielleicht drei, vier Meter. Okay, daran würde ich nicht sterben. Dann schaute ich nochmals zu Josh, der mich abwartend ansah. Seine Hände hatte er schon gehoben.

Ich sprang und meine Augen schlossen sich automatisch. Zuerst kam der schnelle Fall, der mein Herz für einen kurzen Augenblick stoppen liess, dann spürte ich ziemlich schnell den Aufwind, der mich abbremste. Als meine Füsse den Boden berührten, verlor ich aber mein Gleichgewicht und stolperte nach vorne. Meine Augen öffneten sich zum Glück wieder und ich stützte mich an Joshs Schultern ab. Überrumpelt machte er auch einen Schritt nach hinten, aber seine Hände legten sich automatisch auf meine Hüfte. Sein Geruch stieg mir in die Nase und das Gefühl von seinen muskulösen Armen um mich herum fühlte sich gut an. Viel zu gut. Mein Herz schlug immer noch schnell, vom Sprung. Viel zu schnell, dass es eigentlich von einem Sprung ausgelöst werden konnte.

Ich schaute nach oben in sein Gesicht und er erwiderte meinen Blick. Sein Gesicht war entspannt und einmal lag kein spöttischer Ausdruck darauf, mit dem er mich sonst immer bedachte. Für einen Augenblick schauten wir uns einfach in die Augen und alles rundherum war ausgeblendet. Ich sah nur ihn. Wir standen uns so nah, wie noch nie und ich konnte seine gleichmässigen Atemzüge spüren.

Als ich mir dann plötzlich bewusst wurde, wie das hier wahrscheinlich gerade aussah, räusperte ich mich und machte zwei Schritte zurück. Er machte das gleiche und der irgendwie magische Augenkontakt war abgebrochen.

Für einen Moment lang schwiegen wir beide und die Stimmung war wirklich komisch. Amber, was war das bitte schön gerade gewesen?! Josh und ich hassten uns. Oder? Stopp, stopp, stopp. Natürlich hassten wir uns. Ich hasste ihn. Er war ein Player, der zum Spass Herzen unzähliger Mädchen brach. Bloss ein Arschloch, das mich jeden Tag nervte. Aber so wie eben gerade hatte ich ihn noch nie erlebt...

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt