46

241 21 0
                                    

Lange liefen wir schweigend nebeneinander. Unsere einzige Unterhaltung hatte darin bestanden, als ich fragte, wieso wir uns nicht mit der Schnelligkeit zu ihm nach Hause beamten. Er meinte, Magie könne geortet werden und wir würden ein unnötiges Risiko eingehen. Ob es sicherer war eine halbe Stunde durch eine dunkle Stadt zu wandern, bezweifelte ich. Wir gingen in die entgegensetzte Richtung, die ich sonst immer nahm. Ich wusste, dass sich hier das ärmere Stadtviertel befand. Die Häuser waren dreckig und sahen älter und renovierbar aus. Ich war noch nie so weit in diese Richtung gelaufen.

„Du hast dich vorhin erstaunlich gut gegen diesen Mann gewehrt. Auch ohne deine Kräfte", meinte Josh plötzlich.

„Habe ich in New York gelernt. Dort sind solche alte Typen, die dich entführen wollen, nicht selten", antwortete ich darauf und warf ihm einen Seitenblick zu. Er gab ein zustimmendes Geräusch von sich und es herrschte wieder Stille. Die Stadt war in der Nacht im Winter echt ausgestorben. Ein kalter Wind kam auf und ich fröstelte. Mein Pulli hatte immer noch das riesige Loch im Ärmel und dadurch kam die Kälte rein. Es war höchstens null Grad warm, was aber zu erwarten war, bei dieser Jahreszeit. Es war totenstill, es war schon unheimlich zu sprechen.

„Wieso hast du vorhin in der Arena nicht gegen mich gekämpft?", fragte ich ihn diesmal aus dem Nichts.

„Ich kämpfe so nicht gegen dich", sagte er ernst.

„Warum?"

„Wie gesagt, weil ich dich nicht verletzen will."

„Aber du hast auch schon deine Kräfte gegen mich verwendet."

„Ja schon, aber dort ist es anders. So fest die Kräfte gegen jemanden verwenden, bis der zehn Sekunden lang nicht mehr aufsteht? Das ist heftig. Und das tue ich dir nicht an." Genau das hatte ich skrupellos getan. Aber ich hätte nicht gedacht, dass so nette Worte aus seinem Mund kommen konnten, doch langsam wunderte mich nichts mehr. Er bog in eine Seitengasse ein. Fünf Wohnblöcke standen in einer Reihe. Sie sahen gleich alt aus wie die Häuser vorhin. Die blaue Farbe blätterte ab und ich sah mehr als nur ein kaputtes Fenster. Er ging auf den dritten in der Reihe zu. Er schaute in den blechernen Briefkasten mit dem Namen Collins drauf und holte die Post raus. In seiner rechten Hand hielt er nun auch einen Schlüssel, den er anscheinend auch aus dem Briefkasten gezaubert hatte. Nachdem er aufgeschlossen hatte, hielt er mir die Türe auf und ich betrat den Wohnblock. Er legte den Schlüssel zurück in den Briefkasten, bevor er mir folgte. Auf dem Lift prangte ein A4 Blatt mit der Aufschrift ‚Ausser Betrieb!'. Es roch nach Cannabis und allgemein wirkte es nicht unbedingt einladend.

„Komm", sagte er und ging ins Treppenhaus. Wir gingen bis in den zweiten Stock hinauf, als er darauf die Türe mit seinem Familiennamen ansteuerte. Er öffnete sie und trat ein.

„Kein Schloss?", fragte ich überrascht.

„War schon immer kaputt", erwiderte er schulterzuckend. Sobald man durch die Türe schritt, stand man sofort im Wohnzimmer. Zwei Stoffsofas standen quer im Zimmer. An der Wand hinten befand sich die Küche und eine Theke stand im Raum. Einen anderen Tisch gab es nicht. Es gab überhaupt nichts Persönliches, keine Fotos oder ähnliches. Man konnte es nicht leugnen, es war recht klein. Josh schloss hinter mir die Türe.

„Elaine, seit wann lässt du dich wieder hier blicken?", sprach Josh, die Frau kalt an, die an einem der Barhocker sass. Ich schaute sie überrascht an, ich hatte sie vorhin gar nicht bemerkt. Sie drehte sich ebenfalls um. Die Stehlampe schien ihr in das Gesicht. Sie war um die fünfzig. Ihre Haare waren von grauen Strähnen durchzogen und sie hatte einige Falten im Gesicht. Ihre freundlichen Gesichtszüge wirkten müde und sie hatte die gleichen grünen Augen wie Josh. In ihrer Hand hielt sie ein Weinglas und liess die rote Flüssigkeit kreisen.

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt