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Piep, piep, piep.

Diese hellen Töne waren das Erste, was ich wieder wahrnahm. Mein Kopf fing an zu dröhnen und es fühlte sich an, als würde er gleich explodieren. Ich fühlte mich schwach und ausgelaugt, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Meine Augenlider waren zu schwer, so dass ich es nicht schaffte sie zu öffnen. Ich versuchte mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Es gelang mir, mich etwas zu beruhigen und der Schmerz in meinem Kopf wurde schon weniger verheerend. Ich dachte, dass mir sonst nichts fehlte, bis ich ein komisches Gefühl in meiner Brustgegend wahrnahm. Gerade als ich es weiter analysieren wollte, verschwand es wieder. Gut so.

Meine Füsse fühlten sich eiskalt an, aber irgendwie stellte dies in meinem Kopf eine Verbindung zur Aussenwelt dar und ich schaffte es langsam meine Augen zu öffnen. Ich kniff sie schnell wieder zusammen, es war unglaublich hell. Ich blinzelte paar Mal und meine Augen gewöhnten sich langsam an das weisse Licht.

„Amber!" Ich nahm Skyes Stimme neben mir wahr und setzte mich auf.

„Wo sind wir?", fragte ich verwirrt. Ich lag auf einer weissen Liege. Fast alles in dem Raum war weiss, abgesehen vom Monitor, der meine Herzschläge aufzeichnete. Es sah aus wie in einem Krankenhaus. 

„Wieder zurück in Kinnetyville. Das ist eine kleine Hütte im Wald, wo mein Vater Leute behandelt, die unsere Magie länger brauchen."

„Und wieso brauche ich eure Kräfte?"

„Du warst ziemlich lange bewusstlos."

„Wie lange?"

„Fast zwei Tage."

„Zwei Tage?", wiederholte ich ungläubig. „Was ist passiert?"

Gerade als ich diese Worte aussprach, fiel mir alles wieder ein. Ich schnappte erschrocken nach Luft.

„Es geht ihm gut", sagte Skye plötzlich und lächelte mich an.

„Josh?" Hoffnung machte sich in mir breit.

„Ja, Josh. Zumindest physisch. Aber er hat mit niemandem gesprochen oder irgendetwas gegessen. Er war die ganze Zeit nur bei dir. Ich habe es vorhin endlich geschafft, ihn an die frische Luft zu schicken." Tränen der Erleichterung stiegen auf und mir fiel ein riesen Stein vom Herzen.

„Wo ist er?"

„Keine Ahnung. Irgendwo draussen im Wald. Aber alle anderen sind auch hier. Sie warten im Raum nebenan." Aber ich hörte schon gar nicht mehr zu. Ich musste einfach Josh sehen. Mich selber überzeugen, dass er lebte.

Ich stand ruckartig auf und ging auf die Türe zu, aber es wurde mir sofort schwarz vor Augen. Verdammt niedriger Blutdruck. Ich schwankte leicht und hielt mich am Türrahmen fest.

„Amber, du solltest noch nicht rausgehen, du bist noch zu schwach."

Sie hatte Recht, ich fühlte mich noch ziemlich erschöpft, aber das war mir egal. Sobald ich wieder sehen konnte, riss ich die Türe auf. Ich stand im einen langen Gang. Ich beschleunigte meine Schritte und steuerte auf die Tür zu, die wahrscheinlich nach draussen führte. Ich öffnete sie und trat in den Schnee hinaus. Ich nahm fast nicht mehr wahr, wie kalt der Schnee an meinen barfussen Füssen war, ich wollte einfach zu Josh.

Die grossen Eichen kamen mir so bekannt vor, wir waren wirklich wieder Zuhause. In dem Wald, in dem alles angefangen hatte. Ich fing an gezielt geradeaus zu rennen.

Denn irgendwie wusste ich, wo er war.

Ich hatte keine Ahnung, wieso, aber ich spürte, wo er sich aufhielt.

Ich rannte immer weiter, aber ich gebrauchte meine Kräfte nicht. Dafür war ich noch zu schwach. Der Wind liess mich noch mehr frieren, ich hatte immer noch nur die Trainerhose und ein sauberes Sweatshirt an. Die Bäume zogen an mir vorbei. Der Schnee war tief und es hatte wieder angefangen zu schneien. Grosse Flocken fielen langsam vom Himmel und die Sonne schien rein.

Als ich am Rand unserer Lichtung ankam, blieb ich schwer atmend stehen. Und dann sah ich ihn. Er hatte mir den Rücken zugedreht, aber anscheinend konnte auch er spüren, wo ich war. Denn er drehte sich um.

Die Tränen sammelten sich in meinen Augen an. War das wirklich real?

Ich nahm meine letzten Kräfte zusammen und rannte auf ihn zu. Er schien überrascht mich so zu sehen, aber er breitete die Arme aus.

Ich rannte stürmisch in ihn rein und schlang meine Arme um ihn. Als ich seinen Geruch einatmete, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er hatte seine Arme ebenfalls um mich gelegt und ich spürte, wie er sich automatisch entspannte. Ich dagegen musste nur noch mehr weinen. Ich würde seinen toten Blick niemals vergessen können. Wie er einfach tot in meinen Armen gelegen hatte, nur weil er mich retten wollte.

Ich löste mich aus der Umarmung und schaute zu ihm hoch. Seine Augen funkelten wieder und sein Blick war voller Emotionen. Er wollte gerade schon etwas sagen, aber ich kam ihm zuvor.

„Wieso? Wieso hast du das gemacht?!", schrie ich ihn an und mein Tränenfluss hatte immer noch nicht gestoppt. Er schien ziemlich überrascht von meiner Reaktion. „Du weisst ganz genau, dass Eileen genau auf die gleiche Weise gestorben ist. Wie hätte ich irgendwie weitermachen können, wenn du auch so für mich gestorben wärst?"

Er wischte meine Tränen vorsichtig weg und liess sich Zeit mit seiner Antwort.

„Ich wollte kein Leben leben, in dem du nicht vorkommst", sagte er schlicht und schaute mich ehrlich an.

„Oh Josh", brachte ich gerade noch raus. Mein Herz war voller Liebe und ich war gerührt. Ich holte schon Luft, um weiter zu sprechen, aber er war schneller.

„Amber, lass mich zuerst ausreden. Ich dachte, ich würde es dir nie sagen können, und jetzt muss ich es endlich tun. Der schmerzhafteste Moment in meinem Leben war, als du mir angeschrien hast, dass du mich hasst. Ich wusste, dass ich meistens nicht sonderlich nett zu dir war, aber das konnte ich einfach nicht tun. Denn eigentlich wollte ich nie wieder jemandem echte Gefühle zeigen, da ich dachte, dass ich sowieso nur wieder verletzt werden würde. Aber irgendwie hatte ich schon so lange gehofft, dass du irgendetwas bemerken würdest. Denn ich wusste schon von Anfang an, dass du anders bist. Du hast mich fasziniert, wie du mir immer wieder Konter entgegen geworfen hast und wie du dir von niemandem etwas sagen lässt. Alle anderen Mädchen wurden mir viel zu dumm und dann ist es einfach passiert." Er holte tief Luft und fuhr sich nervös durch die Haare.

„Ich habe mich in dich verliebt. Ich kann nichts dagegen tun. Du weisst nicht, wie sehr ich versucht habe, diese Gefühle zu ignorieren. Es hat mir einfach nicht in meinen Plan gepasst. Ich wollte es so lange nicht akzeptieren, dass ich dich eigentlich mag, aber meine Innere Stimme hat es mir die ganze Zeit gesagt. Ich habe alles versucht, um diese Gefühle zu vergessen, aber nichts hat geklappt. Darum war es am einfachsten dich dazu zu bringen, dass du mich... hasst. Denn ich dachte, es wäre besser für mich, wenn ich sie nie zulasse. Aber ich hatte immer diese kleine Hoffnung, die dafür gesorgt hatte, dass ich nicht durchgedreht bin. Aber nach der Nacht in der Waldhütte hatte ich solche Angst, dass ich dich endgültig verloren hatte. Ich habe irgendwie ein Vertrauen zu dir aufgebaut, dass mir immer noch unerklärlich ist. Du warst – bist - das Einzige, das ich in meinem Leben mochte. Und dann fiel mir die Entscheidung, mich vor diesen Blitz zu werfen, leicht." Er schaute erwartungsvoll zu mir und ich war sprachlos. Ich hatte nie etwas gemerkt. Und ich hatte auch nie gewusst, dass er so romantisch war. Ich schaute ihn mit grossen Augen an und konnte seine Worte noch gar nicht richtig fassen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch konnte man jetzt gar nicht mehr Schmetterlinge nennen, es waren eher Flugsaurier. Ich hatte noch nie so etwas gefühlt und ich machte das Erste, was mir in den Sinn kam. 

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt