„Ist alles wieder okay?", fragte Eleanor sofort.
„Ja, alles wieder gut." Ace drückte aufs Gas und wir fuhren weiter. Meine Gedanken kreisten unaufhaltsam um diese unglaublich starke Energie. Von wo kam sie? Einfach aus dem Nichts war sie aufgetaucht. Ich hoffte, Ace fand eine Erklärung dafür, auch wenn ich mich irgendwie davor fürchtete.
Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, und Joshs Geruch stieg automatisch in meine Nase. Es hatte so eine beruhigende Wirkung auf mich – das nächste Rätsel. Was hatte sich plötzlich zwischen uns verändert? Wir waren immer noch zu viert auf der Rückbank eines Autos zusammen gequetscht und plötzlich war mir seine Nähe sehr bewusst.
Wie sehr ich mir wünschte, einfach mal meine Gedanken abzuschalten.
Als Ace dann endlich vor der Schule anhielt, war ich froh aus dem Auto raus zu können. Aber wieso waren wir bei der Schule? Als gäbe es dort irgendwelche Informationen über uns. Aber ich beschloss nichts zu sagen. Es würde schon einen Grund geben, warum wir hier waren. Mit schnellen Schritten gingen wir auf das Gebäude zu. Silas öffnete die Haupttüre und wir betraten unsere Schule. Es wunderte mich, warum die Türe nicht abgeschlossen war, aber das war gerade mein kleinstes Problem. Wir huschten zur Bibliothek und da übernahm Ace die Führung. Er ging in der Bibliothek in den zweiten Stock hoch. Ich war noch nie hier oben gewesen, hier befanden sich bloss langweilige Geschichtsbücher.
Dachte ich zumindest bis jetzt.
Ace bog nach links ab und anscheinend wusste er genau, nach was er suchte. Er ging die Regale an der Wand ab und fuhr mit einem Finger über die Buchrücken. Der Geruch der alten, dicken Bücher beruhigte mich ein wenig. Wie in allen Bibliotheken herrschte diese wissende Atmosphäre. Alles war aus Holz gebaut und löste ein heimeliges Gefühl in mir aus.
„Kannst du uns wenigstens sagen, nach was wir suchen?", verlangte Josh. Das war aber nicht mehr nötig, denn Ace zog ein dickes Buch aus dem Regal. Er legte es auf einen Tisch ab und setzte sich hin, was wir ihm gleichtaten. Er knipste die kleine Tischlampe an, um das Geschriebene zu erkennen. Ich erhaschte einen Blick auf den Titel, bevor er das Buch aufschlug. ‚Die dunklen Götterkinder' stand fett gedruckt auf dem schlichten schwarzen Cover. Oh nein, ich wollte nichts mit denen zu tun haben. Sie bedeuteten nur Ärger. Er blätterte weiter nach hinten und blieb bei einem neuen Kapitel stehen.
„Hades Kinder", las Eleanor leise den Titel vor. Hades?! Mein Kiefer klappte auf und ich spürte alle zehn Augen auf mir.
„Hades gehört als Gott der Unterwelt zu den Mächtigsten von allen. Er herrscht über alle Toten, bla bla bla", fing Ace an vorzulesen. „Das wissen wir alles", murmelte er und überflog den Text.
„Hades war der einzige Gott, dem es verboten wurde Nachfahren zu bekommen. Man konnte unmöglich vorausahnen, über welche Fähigkeiten diese nachfahren herrschen würden. Er hatte es natürlich doch getan. Lilith Xen war das erste Hadeskind, das man finden konnte. Und wie erwartet war sie unglaublich mächtig. Sie konnte Menschen nach blossem Willen in die Unterwelt verbannen oder von dort zurückholen. Sobald genug Wissen gesammelt wurde, wurde sie sofort umgebracht. Man fand heraus, dass die Hadeskräfte auf eine andere Art und Weise vererbt und aktiviert werden. Lilith Xen herrschte nämlich auch über das Wasser. Sie war lange ein normales Poseidonkind gewesen. Erst nachdem ihre Seele von einem tief erschütternden Erlebnis gebrochen wurde, aktivieren sich die Kräfte. Wenn die Seele nicht gebrochen wird, dann kann dieses Götterkind normal weiterleben, da es keine Bedrohung darstellt, da es gar nicht über die Hadeskräfte herrscht. Die Hadeskräfte sind parasitär. Das heisst, sie brauchen Teilchen anderer Götter um zu überleben. Also müssen beide Elternteile göttlicher Abstammung sein. Bei der Vererbung werden die Hadeskräfte immer weitergegeben, sie dominieren über die Kraft des anderen Gottes. Die Kräfte werden auch immer weitervererbt, auch wenn sie nicht aktiviert wurden. Deswegen ist es schwierig Hadeskinder vorauszuahnen, da das Götterkind meistens selber nicht weiss, bis die Kräfte aktiviert werden. Ein Zeichen der Hadeskraft ist, dass die andere Kraft des Götterkindes aussergewöhnlich stark ist, auch wenn es die Hadeskraft gerade nicht braucht. Man erkennt Hadeskinder daran, dass sie weiss und schwarz leuchtende Augen haben, darauf ankommend, welche Kraft sie gerade benutzen. Hadeskinder sind extrem gefährlich, zum Glück aber selten. Man hat eigentlich jegliche eliminiert, sollte aber trotzdem ein Hadeskind gesichtet werden, sollte dies umgehend der OGA gemeldet werden."
Konnte das wirklich sein? War ich eines dieser gefährlichen Hadeskinder, die man sofort umbringen sollte?
Ich wollte diesen Jungen vorhin töten, obwohl er mir gar nichts getan hatte. Jepp, definitiv gefährlich.
„Also stamme ich von Hades ab", sagte ich dann unnötigerweise, aber ich wollte einfach dieses Schweigen unterbrechen.
„Sieht ganz danach aus", meinte Silas zu mir. Ich fuhr mir verzweifelt über meine Haare. Alle die gleich wie ich sind – waren – wurden umgebracht. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich das gleiche Schicksal erlebte.
„Hey, du bist immer noch die gleiche Amber wie vorher", meinte Eleanor sanft zu mir. „Nur weil Hades als böse gilt und seine Nachkommen ebenfalls, heisst das noch lange nicht, dass du es auch bist."
„Naja, vielleicht ist sie es nicht, aber wie sollte das die OGA glauben?", warf Josh ein.
„Was ist die OGA?", fragte ich nach.
„Die Abkürzung für OlympGeheimAgentur. Die Leute, die dort arbeiten sind wie das Gericht und die Polizei für göttliche Angelegenheiten."
„Hoffen wir einfach, dass sie es nicht rausfinden", schlug Eleanor vor.
„Ihre Augen leuchteten plötzlich nicht mehr weiss sondern schwarz vor hunderten Menschen. Irgendjemand wird es auch verstanden haben", warf Silas ein.
„Und... und wenn die OGA mich wirklich umbringen will?", fragte ich verzweifelt.
„Hey, denk nicht so negativ...", fing Eleanor schon an.
„Negativ denken? Das ist Tatsache", warf ich ein.
„Vielleicht erfahren sie es ja gar nicht. Aber falls doch... bräuchten wir irgendeinen Fluchtplan. Und ich könnte versuchen, meinen Vater zu überzeugen", meinte Ace.
„Dein Vater?", hakte ich nach.
„Er gehört zum höchsten Rat der OGA", sagte er knapp.
„Aber die OGA wird nicht unser einziges Problem sein", meinte Kenzo mit schlechter Vorahnung. Wir schauten alle zu ihm.
„Die dunkeln Götterkinder werden es auch auf dich absehen", erklärte er. „Sie werden alles tun, um dich auf ihre Seite zu bekommen."
„Gegen die kommen wir an", meinte Josh.
„Wir sollten erstmals so tun, als wäre alles so wie immer. Nicht dass noch mehr Leute bemerken, dass etwas nicht stimmt", sagte Eleanor.
„Ja, da hast du Recht", stimmte ich ihr zu.
„Aber denkst du, du könntest wirklich jemanden einfach so in die Unterwelt befördern?", fragte mich Silas neugierig.
„Ich... keine Ahnung. Vorhin in der Arena war es richtig merkwürdig gewesen. Ich wollte diesen Jungen wirklich umbringen. Richtig töten. Ich erkenne mich dort selber nicht wieder. Keine Ahnung, wie ich es machen würde, aber irgendwie glaube ich schon", erwiderte ich erschöpft. Alle schauten mich gespannt an.
DU LIEST GERADE
Die Tochter des Todes
FantasySeit ich in Kinnetyville lebte, hatte sich mein ganzes Leben verändert. Am Anfang dachte ich, ich würde einfach mein ganz normales Teenager-Leben weiterleben. Doch dann erfuhr ich, dass ich von einem griechischen Gott abstammte. Also hatte ich neben...