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Wir fuhren weiter durch die Nacht. Es herrschte Schweigen, wir alle waren müde. Wir waren jetzt sicher schon sieben Stunden unterwegs. Die Sonne ging schon langsam auf. Einmal hatten Ace und Eleanor Plätze getauscht, dass sich Ace auch ein bisschen ausruhen konnte. Es war wieder einmal so ein Moment, in dem ich es bereute, dass ich noch nicht Auto fahren konnte. Dann könnte ich wenigstens diese Bürde auf mich nehmen. Ich hatte meinen Kopf an das Fenster angelehnt und die Beine angezogen. Ich schaute immer noch hinaus, obwohl ich zwar bloss die kleinen Lichter der Autobahn erkannte, die schnell an uns vorbeizogen. Josh hatte mir gesagt, dass ich schlafen sollte, aber das konnte ich unmöglich. Meine Gedanken liessen sich nicht abstellen. Ich konnte nicht aufhören daran zu denken, wie es weiter ging und wie lange ich noch leben würde. Und ich hatte so grosse Angst, dass etwas jemanden von meinen Freunden geschehen würde; wegen mir. Ich könnte mir das nie verzeihen. Ich bekam wirklich Kopfschmerzen, da ich die ganze Zeit nachdachte und ich mir einfach keine Antwort bilden konnte. Ich hielt den Dolch in der Hand, der Josh mir geschenkt hatte. Ich hatte ihn zum Glück in meine Clutch eingepackt. Immer wieder drehte ich ihn hin und her.

Ich spürte zwar, wie ich selber angespannt dasass, aber Eleanor schien noch angespannter. Ich hatte meinen Blick vom Fenster abgewandt und hatte jetzt schon zum vierten Mal gesehen, wie sie nervös in den Rückspiegel schaute.

„Eleanor, was ist?", fragte ich sie misstrauisch, als sie es gerade nochmals machte. Josh und Ace waren sofort aufmerksam und setzten sich gerade hin.

„Nichts, nichts, ich bin sicher nur ein bisschen paranoid", sagte sie ausweichend und richtete ihren Blick schnell wieder auf die Strasse.

„Und warum?", hakte Ace nach.

„Da ist ein Auto hinter uns, aber es muss nichts bedeuten", meinte sie schnell. Wir drei drehten uns sofort um und schauten aus dem Rückfenster. Und da war wirklich ein Auto hinter uns. Es war noch zu dunkel, oder die Scheiben des Autos waren getönt, so dass man nicht reinsehen konnte. Ich erkannte auch bloss die Scheinwerfer, die durch die Morgendämmerung schienen. Auf dem ganzen Weg waren wir fast keinem anderen Fahrzeug begegnet, da die Strassen durch dieses Hinterland ziemlich verlassen waren. Und da konnte ich Eleanor schon verstehen, wenn sie ein Auto, das den gleichen Weg fuhr, wie wir, beunruhigte.

„Wie lange ist dieses Auto schon hinter uns?", fragte Josh.

„Ich habe es erst etwa vor zehn Minuten gesehen, aber vorhin habe ich auch nicht gross in den Rückspiegel geschaut."

„Denkst du es verfolgt uns?", wunderte ich mich.

„Keine Ahnung."

„Lass es uns rausfinden", meinte Josh.

„Und wie?"

„Einfach ein bisschen schneller fahren, mal schauen, ob es dann auch schneller wird."

„Okay, ich rufe Kenzo an", sagte ich, obwohl ich mich etwas wegen den glatten Strassen sorgte.

Ich wählte seine Nummer und erzählte ihm von unserer Beobachtung. Er gab sich sofort mit unserem simplen Plan einverstanden und sagte Silas weiter, was er zu tun hatte. Silas' Auto vor uns wurde schneller und auch Eleanor drückte aufs Gas. Ich wurde in meinem Sitz nach hinten gedrückt, aber wir wurden immer noch schneller. Ich wollte gar nicht wissen, wie schnell wir unterwegs waren. Sobald sie nicht mehr beschleunigte und das Tempo hielt, drehte ich mich um zu sehen, ob wir wirklich einen Verfolger hatten.

Das Auto war verschwunden. Ich atmete erleichtert auf und drehte mich zurück.

„Es ist weg", teilte ich den anderen mit.

„Gut", meinte Josh und lehnte sich auch wieder in seinen Sitz zurück.

Wir wurden wieder langsamer, um den anderen zu signalisieren, dass es bloss ein falscher Alarm gewesen war. Ich wollte auch gerade wieder eine bequemere Position einnehmen, als ich nochmals in den Rückspiegel schaute.

Das Auto war wieder da. Und es wurde immer schneller.

„Hey! Es ist zurück", teilte ich den anderen sofort mit. Alle waren sofort wieder wach und schauten nach hinten. Ich schaute panisch zu Josh, ich hatte keine Ahnung, was wir jetzt tun sollten.

Niemand wusste, was wir jetzt tun sollten.

Das schwarze Auto fuhr immer näher zu uns auf, obwohl Eleanor wieder Gas gegeben hatte. Als es dann nur noch wenige Meter hinter uns war, wechselte es plötzlich die Spur und überholte uns rechts. Es fuhr schnell an uns vorbei. Wir schauten uns verwirrt an. So naiv wie wir waren, dachten wir für einen Moment, dass es doch keine Gefahr darstellte. Ich holte schon Luft, um den anderen zu sagen, dass wir die vom anderen Auto anrufen sollten und schaute zwischen den Sitzen nach vorne.

Und ich sah genau, wie dieser schwarze Van Silas' Auto rammte. Er fuhr mit vollem Tempo seitlich hinein. Durch den starken Aufprall schleuderte es sie auf die Spur hinaus und Eleanor drückte so schnell sie konnte auf die Bremse. Ich flog nach vorne, aber mein Gurt fing mich auf. Eleanor riss eine Vollbremse und schaffte es kurz vor dem Unfall anzuhalten.

Obwohl ich nicht dachte, dass es sich nur um einen Unfall handelte.

Kaum standen wir still, schnallte ich mich ab und sprang aus dem Auto. Ich eilte zu Silas' Auto und Eleanor, Josh und Ace taten mir es gleich. Ich entdeckte sofort die grosse Beule auf der Seite des Beifahrers und riss die Türe auf. Kenzo hielt sich die Hände an den Kopf und Silas lehnte beunruhigt zu ihm rüber. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn und Blut floss in sein Auge. Skye stiess mich zur Seite und hielt ihre heilenden Hände über die Wunde. Der weisse Schimmer erschien, der mich ein bisschen beruhigen konnte. Ich drehte mich wütend um, um zu sehen, wer ihm das angetan hatte.

Das schwarze Auto stand ein paar Meter entfernt und hatte keinen Kratzer abbekommen. Josh und Ace stellten sich schützend vor mich, aber ich drängte mich auf die Seite. Ich musste mich nicht verstecken. Die Fahrertüre schwang auf und ein Mann stieg aus. Er war gross, breit gebaut und wirkte ziemlich angsteinflössend. Er hatte einen Anzug an und sah aus wie ein ernster Geschäftsmann. Seine Haare waren kurz und er trug eine Sonnenbrille, die er abnahm und darauf interessiert die Umgebung musterte.

Okay, aber wieso trug er eine Sonnenbrille? Die Sonne schien noch gar nicht am Himmel und es schneite. Wir standen auf einem grossen Feld. Weit und breit war nichts anderes zu sehen, als die riesige, schneebedeckte Wiese und die schmale Strasse die im Horizont verschwand. Es würde ein wunderschönes Bild abgeben mit dem Sonnenaufgang und dem leichten Schneefall. Aber ich befürchtete, diese Situation würde gleich alles andere als schön werden.

Er warf die Türe hinter sich zu und sein Blick traf auf meinen. Ein anderer Mann kam – wahrscheinlich von der Beifahrerseite her – und stellte sich neben den anderen. Dieser sah deutlich netter und jünger aus. Seine weissblonden Haare fielen sofort auf und ich ahnte Schlimmes. Er schaute nicht mich an, sondern Ace, der neben mir stand.

Das musste Ace' Vater sein. Also doch die OGA.

Der unheimliche Mann räusperte sich. „Amber Campbell, ich muss Sie leider mitnehmen, wegen Verstoss gegen das oberste Gesetz." Seine Stimme war tief und brummig.

Ich hatte gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, aber jetzt wo diese Worte ausgesprochen geworden waren, löste es nochmals ganz andere Gefühle bei mir aus.

„Nein." Ace klang entschlossen und ich war ihm dankbar, dass er etwas gesagt hatte.

„Ace...", sein Vater klang verzweifelt, aber er unterbrach ihn.

„Sie hat nichts falsch gemacht. Nur weil sie Blut von Hades hat, heisst das nicht, dass sie böse ist oder die Kräfte zu schlechten Zwecken benutzen wird."

„Und wer garantiert uns, dass sie das nicht tut? Und einigen Beschreibungen zufolge sah sie gestern in der Arena nicht so friedlich aus."

Verdammt, da hatte er Recht. Ich wollte diesen Jungen wirklich umbringen. Und das machte mir selber unheimlich viel Angst.

„Ja, möglicherweise, aber sie hat ihn ja trotzdem nicht umgebracht, oder? Sie hat nichts Falsches gemacht", konterte Silas. Ich schaute nach rechts und sah, dass auch Kenzo und Silas sich neben mich gestellt hatten. Kenzos Wunde auf seiner Stirn war schon wieder verschwunden.

„Es ist das Gesetz. Ich bitte Sie ein letztes Mal mit mir mitzukommen, oder sonst müssen wir es auf die harte Weise machen." Seine Stimme klang eiskalt und er machte mir wirklich Angst. 

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt