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Die Gestalt, die in den Kräutergarten huschte, blieb nicht unbemerkt. Fast meinte Micha sie sich nur eingebildet zu haben, eine Figur, die seinem übermüdeten Gehirn entsprungen war und vielleicht schon in eine Traumwelt gehörte.

Doch das Schluchzen, was die Gestalt begeleitete, war echt, hallte über die kleine Lichtung wie ein Schrei der tiefsten Verzweiflung. Es machte Micha das Herz schwer.

Wer verspührte eine solch tief verwurzelte Trauer, ohne Hoffnung auf Erlösung? Ehe der Prinz es sich nochmal überlegen konnte, war er bereits aufgestanden, zog sich einen Umhang über und verließ das kleine Turmzimmer, indem Chessie fest schlief.

Seine Gedanken weilten bei den verzweifelten Schluchzern, bei einer Möglichkeit den Schmerz und die Last von den viel zu schwer tragenden Schultern zu nehmen.

Erst als er in die kühle Nachtluft trat, wurde ihm bewusst, wie undurchdacht sein Verhalten doch war. Zuallererst wusste er überhaupt nicht, wo diese Person nun war. Außerdem hatte er doch nicht die geringste Ahnung, was diese gequälte Seele so bedrückte, wie sollte er da helfen? Vielleicht sollte er Maudado holen, er war wie gemacht für so eine Aufgabe.

Doch wenn er die Person nicht mehr finden sollte, wollte er den Hüter nicht umsonst geweckt haben. Er brauchte seinen Schlaf, um sich mit voller Konzentration dem Brauen des Trankes widmen zu können. Er musste es ohne ihn schaffen. Er war der verdammte Thronfolger! Natürlich würde er es schaffen...

Die Schluchzer waren zu einem Wimmern verebbt, welches aber immer noch viel zu laut durch die kühle Nachtluft hallte. Micha fand die zusammengesunkene Gestalt schließlich am Fuße der Eiche am Ende der Lichtung. Unsicher blieb der Prinz stehen. Wie sollte er nun vorgehen?

Vorsichtig trat er näher, versuchte nicht zu leise sein, um den Anderen nicht zu erschrecken. Erst jetzt erkannte er Maudado. Seine Kleidung war zerzaust und dreckig, die Haare strähnig, sie glichen einem Vogelnest. Die mageren Schultern bebten, während erneute Schluchzer den schlanken Körper schüttelten.

Verdammt. Was sollte er jetzt tun? Jedem anderen, unbekannten Dorfbewohner oder vielleicht auch magischen Bewohner dieses Waldes hätte er vielleicht etwas Trost schenken können. Doch Maudado? Der Wissenshüter war ein einziges Rätsel für ihn. Oder das was er auslöste. Auf die Pfade, die er ihn mit seiner reinen Anwesenheit schickte. Wollte er ihm denn da überhaupt helfen? Würde ihn das noch weiter wandern lassen? Weiter weg vom dem Weg, der für ihn erichtet worden war und den er bisher mehr oder weniger bereitillig gefolgt war?

Ehe er die Gedanken zu Ende denken konnte, die Fragen weiterspinnen würde, hatte er sich neben den Blonden gesetzt und seinen Umhang um die zitternden Schultern gelegt. Maudado brauchte es dringender als er. Doch schien er es gar nicht wirklich mitzubekommen. Zu sehr nahmen ihn seine eigenen Gedanken ein.

Micha kannte diese Moment nur viel zu gut. Wie oft war er schon nachts aufgewacht, hatte die Wände auf sich zu kommen sehen und war aus seinem Gemach geflohen? Wie oft waren die Wachen kurz davor gewesen ihn für einen Eindringling zu halten, weil er in dreckigen Kleidern in einer Ecke des Parks saß und aussah wie ein Bettler von der Straße?

Wenn einen seine eigenen Gedanken so fest im Griff hatten, würde keiner ihn so schnell da raus holen können. Manchmal konnte die Nähe einer Person helfen, manchmal fachte sie alles nur noch weiter an. Doch allmählich schien der Wissenshüter sich wieder zu beruhigen. Das Beben ließ nach, die Schluchzer verstummten.

"So schön wie hier, kann ich die Sterne vom Schloss aus nicht sehen." Eigentlich hatte Micha gedacht, dass Maudado seine Präsenz bereits bemerkt hatte, doch seine Reaktion auf die sanften Worte, zeugte vom Gegenteil. Panisch versuchte er Abstand zwischen sich und den Prinzen zu bringen. Das war neu.

"Maudado, ich bin es nur. Du brauchst keine Angst zu haben. Was immer dir deine Sorgen auch einflüstern, es existiert nur in deinem Kopf.", versuchte Micha es erneut. Maudado schüttelte so manisch den Kopf, dass seine blonden Strähnen wie Peitschen durch die Luft schlugen.

"L-lass mich in Ruhe... i-ich will ni-nichts von dir. Bi-bitte geh weg!" Tränen liefen über seine noch feuchten Wangen. Micha erstarrte in der Bewegung. Was in Gottes Namen war denn nur geschehen?

Written by Federsturm

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt