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Es war völlig anders. Und doch... irgendwie auch gleich. Seine Lippen schmeckten anders, waren rauer, weniger gepflegt. Die ungeschickten Bewegungen sprachen von einem enthaltsamen Leben inmitten der Natur und Forschung. Faszinierend.

Ein Schwall an Wärme und Glücksgefühlen breitete sich in seinem Inneren aus, erfüllten jede Pore, jeden Zentimeter seines Körper. Zum ersten Mal seit langer Zeit - wenn überhaupt jemals - fühlte er sich, als wäre er lebendig. Die Nachtluft war auf einmal kälter, die Lippen weicher, die Hände, die über seine Arme strichen, heißer.

Als wäre ein Schleier, den er vorher nie bemerkt hatte, auf einmal gehoben werden und die Farben mit neuer Klarheit auf ihn einströmen. Alles war so intensiv. Beinahe war es zu viel.

Beinahe waren die Gefühle, die er auf einmal fühlte, zu viel, dass er den Kuss lösen wollte. Doch die Faszination überwiegte. Er wollte es noch einen Moment länger spüren, noch einen Moment diese Intensivität spüren, sich einen Moment länger so lebendig fühlen.

Maudado war es schließlich, der den Kuss löste. Ruckartig wurde Micha zurückgestoßen, so umsanft aus seiner Welt aus rosa Wolken entrissen. Etwas verwirrt landte er wieder unter dem Eichenbaum.

Der Wissenshüter sah nicht weniger durcheinander aus als er. Seine Lippen waren dunkel, glänzten im Mondlicht. Die Haare standen an einigen Stellen wild vom Kopf ab und als Micha realisierte, dass er der Grund war, fing er an zu lächeln. Ein Kribbeln schoss seine Wirbelsäule hoch, während sein Blick zurück zu diesen wunderbar rauen Lippen wanderte.

"Mein Prinz... was tun wir hier?", flüsterte Maudado leise. Die ersten Worte, die er diese Nacht sprach. Seine Stimme klang schwächer und rauer als sonst, belegt von so vielen Gefühlen. Micha ignorierte die Worte. Viel zu sehr war vom Klang der Stimme abgelenkt, von den Bewegungen dieser Lippen, die wenige Momente vorher noch auf seinen eigenen lagen und ihn Sachen fühlen ließen, die er nie hatte erahnen können fühlen zu können. Fühlte sein Vater so, wenn er bei seiner Mutter war?

Nein. Falscher Gedanke. Ganz falsche Richtung. Igitt.

Vorsichtig nahm er Maudados Gesicht in seine Hände. Seine Finger strichen ihm sanft die schon halb getrockneten Tränen von den Wangen. In den grünen Augen, die in dem spärlichen Licht so viel dunkler erschienen, stand so viel Angst und Unsicherheit. Sanft drückte Micha einen Kuss auf seine Stirn. Versuchte ihm damit den Mut zu schenken, den er mit Worten nicht überbringen konnte.

Zart wie Schmetterlingsflügel glitten seine Lippen tiefer, erstickten den Seufzer Maudados mit sanfter Bestimmtheit. Er konnte spüren wie sich etwas in dem Blonden löste, er eine gewisse Zurückhaltung ablegte und sich dem Moment hingab. Lächelnd erwiderte er den neugewonnen Enthusiasmus.

Für dem Moment konnte er es doch genießen. Für den Moment durfte er einmal die Rolle des Prinzen ablegen und einfach Micha sein. Für den Moment durfte er doch glücklich sein.

Niemand würde sie sehen. Niemand würde es wissen. Hier unter der riesigen, alten Eiche würde er für ein paar Momente der sein, der sein wollte und niemand könnte etwas dagegen haben. Morgen dann, morgen würde er wieder der Prinz sein und seine Rolle brav spielen. Aber für eine Nacht... für eine Nacht durfte er das hier machen.

Written by Federsturm

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt