50

543 49 9
                                    

Maudado war überrascht über die Frage, verstand aber auch das der Prinz das jetzt brauchte. Eine Ablenkung, eine Geschichte, vielleicht auch nur das Wissen, das es Seelen gab, denen es ähnlich erging wie ihm. Also begann der jetzige Hüter davon zu erzählen, wie er damals noch Kind war.

Damals... zwischen Stroh und Gerste, hatte er gespielt. Der blonde Schopf war von der umliegenden Ernte nicht zu unterscheiden. Auch wenn er gern mit seinen Geschwistern spielte, war er doch lieber für sich und flocht das Stroh zu Kränzen. Er erinnerte sich noch wie er zwei Stimmen wahrnahm, noch bevor sich das Scheunentor öffnete. Eine davon war die seiner Mutter, welche er sogar im Schlaf erkennen würde. Doch die andere, tief und gebrechlich klingende Stimme, welche so ächzte als würde man eine alte knochige Tür öffnen, kannte er nicht.

Ihm lief ein Schauer über den Rücken und als sich dann das große Tor öffnete und der Kleine kurz geblendet von der Helligkeit das Gesicht abwandte, hörte er seine Mutter das erste Mal an diesem Tag Schluchzen.

...Kleine Ärmchen umarmten Maudado und seine Geschwister weinten bitterlich, doch der Älteste verstand nicht worüber die Tränen vergoßen. Seine Mutter hatte ihm gesagt, das er mit dem alten Mann, dessen Stimme ihn an rostige Türscharniere erinnerte, mitgehen müsse um als Lehrling zu beginnen. Besonders Anna zitterte und zehrte an der Kleidung ihres Bruders. Sie wollte nicht das er ging, dass er sie allein ließ und nicht mehr auf sie aufpassen konnte. Doch der Größere legte ihr eine Hand auf und erklärte ihr im lieben Ton, dass wenn die Mama etwas sagte, man unbedingt darauf hören musste. Und wenn er nun Lehrling bei diesem Mann sein sollte,  dann wird es wohl das Beste für ihn sein.
Darauf wusste seine Schwester nichts mehr zu erwidern und weinte nun nur noch stumm.

Das sich der Junge in dessen Haar noch Reste des am Morgen gemahlenen Mehls festhing, kurze Zeit später zwischen Staub, Papyrus und Büchern mit Jahrhunderte altes Wissen wiederfand, ahnte er nicht ansatzweise und er fühlte sich so fehl am Platz wie noch nie zuvor.

Der alte Hüter redete nicht viel und wies den Jungen lediglich an, die Bücher die ihn interessierte zu lesen.
Das er als einfacher Müllerssohn nicht lesen konnte, traute sich Maudado damals nicht zuzugeben. So nahm er sich also ein Buch, dessen Einband so schwer war, das es ihn beinahe aus den Händen viel. Erblätterte es durch und stellte es unglücklich zurück da er außer Kritzeleien nichts verstehen konnte. Derweil setzte sich der Hüter in eine Leseniesche zurück und vertiefte sich in das dort liegende Buch.

Als er dann das erste Buch mit Illustrationen in Händen hielt, wurden seine Kinderaugen groß und voller Begeisterung durchblätterte er das Buch mit dem Titel „Sagen der Könige“. Er schaute es sich von vorne nach hinten, von hinten nach vorne an und manchmal, wenn es denn dann des Nachts nicht schlafen konnte, sah er es sich auch im Kerzenschein an. Die Woche verging und langsam wurde Maudado unglücklich darüber das er nicht hinter die Bilder in ihre Geschichte blicken konnte. Voller Selbstzweifel und Furcht dachte er daran mit dem alten, ruhigen Hüter zu reden. Er könnte ihn bestimmt vorlesen, was da in seinem Lieblingsbuch geschrieben stand. Doch sein Stolz als kleiner Junge war groß.

Doch irgendwann überwog die Neugier und auf wackeligen Beinen näherte er sich der Leseniesche des Alten. Voller Reue gab er zu, eine ganze Woche vertrödelt zu haben und er entschuldigte sich dafür nicht gebeichtet zu haben, das er gar nicht lesen konnte.

Doch statt einer Ohrfeige oder einer Schimpftriade, legte sich eine knochige Hand auf seinen Blondschopf und streichelten diesen. Mit einem warmen Lächeln verzieh er dem Kleinen und erklärte ihm, das Reue und Demut den Menschen weiterbringen und das er sich freue, das Maudado dies aus den Büchern gelernt hatte.
Maudado war perplex, doch als er verstand was das bedeutete, was für eine Wirkung Bücher haben konnte, stellte er sich vor, was sie wohl bewirken könnten, wenn er sie jetzt sogar noch lesen und verstehen würde.

Voller Tatendrang erlernte er mit Hilfe des alten Hüters das Lesen und Schreiben. Er verstand das der Hüter, Bewahrer und Niederschreiber der Geschichte ihres Landes war. Oft sprach er folgende Worte zu Maudado: „Wir lernen nicht aus Weisheit, wir lernen aus Fehlern. Das macht uns reich an Wissen solange wir die Vergangenheit nicht vergessen.“ Sie waren für Maudado zu Anfang seltsam formuliert, doch mit der Zeit verstand er. Selbst aus einem Krieg konnte man etwas über den Frieden lernen...

Irgendwann wandelte Maudado so selbstverständlich zwischen den hohen Regalen umher, als wäre er noch nie woanders gewesen. Sein Blick war weise, seine Schritte leise und seine Worte bedacht. Bis zum Schluss blieb der Hüter der Hüter des Turms...

Maudado beerdigte ihn im Stillen, wo nur er und der Schatten des Turmes Zeuge seines Ablebens waren. Sanfte Trauer erfüllte sein Herz, doch wurde gelindert aus den Worten seiner Bücher, sie spendeten ihm Trost: „...denn der Tod ist ein Schlaf, dessen Erwachen wir nur noch nicht dokumentieren konnten.“

Und da war er nun, Hüter von jahrtausendaltem Wissen und er erhoffte sich, dieses Wissen vielleicht um ein Jahrhundert zu erweitern.

Maudado senkte den Blick nachdem er seine Erzählung zu ende gebracht hatte. Es war interessant gewesen, seine eigene Lebensgeschichte wieder zugeben und gedanklich überlegte er, ob es niederschreibenswert wäre...

Written by -Notizbuch-

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt