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Mit gemischten Gefühlen starrte Chessie hinaus auf den vorbei fliegenden Wald. Es war falsch von ihr gewesen so überstürzt abzuhauen. Sie hätte für Micha da sein sollen.

Aber eigentlich... wer hätte es ihr verübeln können? War es nicht eine angemessene Reaktion gewesen? Grenzte Michas Geständnis nicht an einen Skandal? Der Prinz und Thronfolger des Landes Zerwanyas vergnügte sich mit anderen Männern. Anderen würde dies den Kopf kosten. Doch dank seiner Stellung, würde es nur vertuscht werden. Der König konnt es sich nicht leisten, seinen einzigen Sohn zu verlieren.

Und auch wenn Micha alles daransetzt, zu verleugnen, wer er war und wie er empfand, hatte sie es gewusst. Sie wusste es von Anfang an. Natürlich hatte sie das Gegenteil gehofft und für ein paar Monate wirkte es auch so, als sei ihre Ahnung übereilt gewesen.

Doch von dem Moment an, an dem es beschlossene Sache war, einen Liebestrank zu brauen, wusste sie, dass sie Recht behalten hatte. Und erstaunlicher Weise war es für sie in Ordnung gewesen. Denn jeder Blinde konnte sehen, wie sehr Micha versuchte gegen seine Natur anzukämpfen, wie sehr er versuchte sie zu lieben.

Aber gegen Maudado hatte sie keine Chance gehabt.  Es war fast schon amüsant zu beobachten gewesen, wie ungewollt hingerissen Micha vom ersten Moment an doch war.

Es war eine Frage der Zeit gewesen. Und doch riss es ihr das Herz raus, als Micha es ihr gestanden hatte. Sie war all die Zeit bei ihm geblieben, obwohl sie wusste, dass sie sich damit nur wehtun würden. 

Und dann war sie gegangen, versuchte vor dem Schmerz weg zu rennen, in dem Wissen, dass sie es damit nur schlimmer machen würde. Sie würde das Vertrauen Michas verlieren. Sie würde ihm die eine Stütze nehmen, die er noch gehabt hatte.

Was hatte sie sich nur bei alldem gedacht? Sie wusste doch, wie  wichtig sie ihm war. Und dennoch war sie gegangen. War es der Tropfen, der das Fass entgültig überlaufen ließ und eine Beziehung unmöglich machen würde?

Wie sollte es nun weitergehen?

Unsanft stieß Chessie mit ihrer Stirn gegen die Scheibe. Der Waldweg wurde immer unebener, bald würden sie da sein. Was sollte sie nur sagen? Sie konnten das alles nicht ignorieren. Nicht nachdem sie so überstürzt abgereist war.

Seufzend richtete Chessie ihre Röcke. Ihre Zofe hatte ihr kurz vor der Abfahrt den Rat gegeben, selbst den ersten Schritt zu gehen. Sie war gegangen, also würde sie auch zurückkommen müssen. Micha war trotz allem noch der Königssohn. Und Chessie wusste, dass Micha es ihr verzeihen würde. Genauso wie Micha wusste, dass Chessie ihm verzeihen würde.

Was sollten sie auch anderes tun? Ihre Ehe hatte sie bis in den Tod verbunden und weder sie, noch Micha waren so grausam, den anderen umzubringen. Hoffte sie zumindest.

Als sie erneut den Blick nach draußen wandte, konnte sie den Turm bereits durch die Bäume sehen. Ihr Herz flatterte nervös. Tausende weitere Sorgen schossen ihr durch den Kopf.

Als ihr die Tür geöffnet wurde, wäre sie beinahe die Stufen hinuntergestolpert, als ihre schwitzigen Hände vom Türrahmen abglitten. Doch sie fing sich und verließ die Kutsche wenigstens noch halbwegs elegant.

Kein schien ihren Fauxpas bermekt zu haben, da keiner da war, um sie zu begrüßen. Der Turm lag verlassen da. Wäre da nicht der Lärm und der Rauch, der aus dem Schornstein stieg, würde Chessie glauben, dass niemand hier war.

Dann erblickte sie Anna, wie sie, vom Lärm der Kutsche angezogen, aus dem Garten kam. Als sie Chessie sah, warf sie sich ihr lachend in die Arme.

"Ich wusste doch, dass du zurückkommen wirst!", rief sie erfreut. Überrumpelt erwiderte die Prinzessin die Umarmung. Mit so einem herzlichen Empfang hatte sie dann doch nicht gerechnet.

"Aber bitte sprich dich mit Micha aus." Annas Blick musterte sie ernst, als sie sich von ihr löste.

"Das hatte ich vor", meinte Chessie und wandte sich dem Turm zu.

Sie konnte nicht länger wegrennen, Micha konnte sich nicht länger verstecken. Sie mussten das ein für alle Mal klären.

Written by Federsturm

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt