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Jetzt stand er alleine da. Kurz sehnt er sich nach der Wärme, die von Maudado ausgegangen war. Aber nur für einen Augenblick. Ein weiterer Moment der Schwäche. Würde er noch länger hier bleiben, wer weiß ob er es jemals schaffen würde wieder an den Hof zurückzukehren.

Doch wo sollte er hin? Kehrte er in den Turm ein, musste er sich Maudado und Anna stellen. Maudado, dessen Augen ihn seitdem so unendlich traurig und verständnisvoll anschauten. Anna, deren Blicke ihn immer noch erdolchten.
Und würde er erst die Treppe hinauf in das Gemach steigen... sofort müsse er an Chessie denken. An ihre wissenden braunen Augen, ihre tränennassen Wangen, ihre wundgebissenen Lippen. Es brach ihm das Herz.

Diese traurige Gewissheit, die er aus ihrer Haltung gelesen hatte, das vorsichtige, bittersüße Lächeln, dass sie auf ihre Lippen gezwungen hatte - es war wie der Stoß eines rostigen Schwertes direkt in sein Herz. Es war schlimmer als er es erwartet hatte. Hatte der Prinz doch mit Wut, Verzweiflung und Ekel gerechnet,  so bekam er eine viel zu verständnisvolle, ruhige Reaktion.

Ihm kamen erneut die Tränen, als er nur daran dachte. Wie sollte er ihr je wieder unter die Augen treten können? Sie war viel zu gut für ihn. Denn selbst nachdem er sie mit einem Mann betrogen hatte, brachte sie noch Verständnis auf.

Schließlich hatte sie ihren Sachen gepackt und ihn mit den Worten "Versuche das mit Maudado in Ordnung zu bringen" verlassen. Hatte sich sogar noch an einem aufmunternden Lächeln versucht.

Verdammt. Die Sicht verschwamm und seine Beine gaben nach. Schluchzend hockte er im Dreck, seine Gedanken kreisten immer noch um die brauen, traurigen Augen.

Er hatte versagt. Ein Mann...  ein Prinz...  sollte seine Frau doch glücklich machen, sollte versuchen ihr die Sterne vom Himmel zu holen. Doch was tat er? Er vergiftete sie. Liess sie etwas fühlen, dass er nicht erwidern konnte.

Er hatte sie verdammt. Hatte sie in die Hölle geholt, um sie brennen zu sehen. Er hatte ihr das alles angetan! Er war Schuld!

Weil er sie nicht lieben konnte, wie er sie lieben sollte, hatte er sie zu einem Leben verdammt, dass ihr nur Leid bringen konnte. Und im Zuge ihres Untergangs, verdammte er den Wissenshüter gleich mit.

Auch ihn hatte Micha auf eine Art verletzt, die unverzeilich war. Er... er hatte ihn ausgenutzt. Hatte für einen Moment der Schwäche die Kontrolle verloren und Maudado... benutzt wie eine Hure. Es war abscheulich.

Dass er überhaupt noch hier geduldet war, zeigte nur wieder, dass auch Maudado viel zu gut war.

Alle waren zu gut. Niemand hatte es verdient ihn in seiner Nähe zu haben. Er brachte nur Unglück. Alle, die in seiner Nähe waren, würden früher oder später leiden.

Micha verlor die Kontrolle über seine Gedanken. Es wurde zu viel. Die Dämonen, die seit er hier war, schon so nah unter die Oberfläche gekommen waren, brachen aus und zogen den Prinzen in einen Abgrund tiefster Finsterniss, die kein Licht jemals erreichen könnte.

Er vergass alles um sich herum. Den Turm, die Wiese, das Zwitschern der Vögel. Die leisen Worte, die Anna und Maudado gerade wechselten, alles wurden von einem Rauschen übertönt. Ein Rauschen und all die Erinnerungen daran, welches Leid er den anderen angetan hatte.

Nur wegen ihm waren er und Chessie hier raus gefahren, weil er es nicht auf die Reihe bekam, die richtigen Gefühle zu fühlen. Weil er zu schwach war, sich gegen die Versuchung, gegen die Sünde zu wehren.

Nur wegen ihm, war Chessies Herz gebrochen, Maudados Herz am Bluten und Annas voller Wut.

Einzig und allein, weil er zu unfähig war das Richtige zu fühlen.

Er war Schuld.

Wäre er nicht gewesen, wären alle glücklicher. Chessie würde sicher an der Seite eines Mannes leben, der ihr all das geben konnte, was sie brauchte. Maudado würde glücklich in seinem Turm leben und den Dorfbewohner helfen, ohne dass er sich Sorgen um die abwegigen Wünsche eines Prinzen machen müsste. Anna würde glücklich in ihrer Mühle leben, ohne sich um ihren Bruder sorgen zu müssen.

Er hatte diese Idylle hier zerstört.

Wäre er nur nie hierhergekommen. Hätte er nur nie etwas gesagt, seine Leiden tiefer weggeschlossen, seine Gefühle besser im Griff gehabt. Vielleicht...

Ein Gedanke kristallisierte sich aus dem Meer voller Unruhe.

Wenn ohne ihn alles besser war...

Mit neu gefundener Kraft, stand er auf und ging zielstrebig auf den Wald zu. Seinen Umhang streifte er ab, genauso wie die Krone die er trug. Beides würde er nicht brauchen.

Wenn ohne ihn alles besser war, dann würde er eben gehen.

Written by Federsturm

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt