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"Wie ist der Tag bei euch gelaufen? Habt ihr alle Kräuter gefunden?" Fast hätte Micha die Frage überhört. Seine Gedanken waren so laut, dass er Chessies leise, sanfte Stimme fast nicht wahr nahm.

"Nein, wir werden morgen nochmal gehen. Dafür haben wir... Zentauren gesehen! Echte lebendige Zentauren! Sie sahen aus, als wären sie direkt aus dem Märchenbuch entsprungen. Es war unglaublich!" Chessie musste lachen, als Micha anfing von den Wesen zu reden. In seinen Zügen lag so eine kindliche Freude, die sie nur so selten an ihm sah.

Wenn auch Maudado den beiden nicht helfen konnte, zumindest konne er das Lachen zurück in Michas Gesicht bringen. Das war mehr, als Chessie zu hoffen gewagt hatte.

Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen und Anna stand breit grinsend in dem hölzernen Rahmen.
"Ich wollte euch zum Abendessen holen. Es gibt das beste, was der Wald zu bieten hat. Ich hoffe es wird euren anspruchsvollen Gaumen gerecht." Sie zwinkerte den beiden zu, bevor sie die Treppe wieder nach unten sprang.

"Also du kannst nicht sagen, dass sie keine Energie mit sich bringt." Etwas perplex starrte der Prinz auf den leeren Treppenabgang. Chessie lachte nur leicht.

"Na komm mein holder Prinz, lasst uns diesen... Waldfraß probieren." Sie warf ihm ein kokettes Lächeln zu, worauf er ihr einen sanften Kuss auf die Wange drückte. Dann gesellten die beiden sich in das kleine, beengt wirkende Esszimmer.

Das Gespräch am Laufen zu erhalten war überraschend einfach. Aber mit Annas Energie und Redefluss auch nicht sonderlich überraschend. Sie erzählte von ihrem und Chessies Tag, dass sie alle Zutaten und darüber hinaus auch noch einige andere nützlichen Kräuter gefunden hatten. Maudado erzählte von ihrer Begegnung mit den Zentauren, worauf Anna eine Anekdote aus ihrer Kindheit erzählte.

Das Lachen was daraufhin folgte, war laut und herzlich, auch wenn Michas Blick immer noch kühler als angebracht war. Auffordernd stupste Chessie ihm in die Seite, worauf sein Lächeln zwar weniger angestrengt wirkte, es aber dennoch nicht komplett echt schien. Seufzend wandte Chessie sich wieder Anna zu. Es würde dauern, bis der Prinz sich in diesem neuen Umfeld wohl fühlen würde.

Als sie aufgegessen hatten und Anna vorschlug abzuräumen, hielt Micha nichts mehr am Tisch. Er sprang so hastig auf, dass sein Stuhl hinter ihm zu Boden krachte. Erschrocken schauten die anderen ihm hinterher. Seufzend ging Chessie ihm hinterher. Ein Schritt vor, zwei wieder zurück.

Die Nachtluft war angenehm kühl und beruhigte das Chaos in Michas Kopf. Er hätte es nicht mehr lange in dem beengten Turm ausgehalten, bekam er dort das Gefühl, dass die Wände immer näher rückten und ihn mit ihrer Last erdrückten. Annas gute Laune hatte seine Schutzwälle soweit abgebaut, dass die bösen Geister seine Ängste freie Bahn hatten. Das letzte Mal als es so weit kam, hatte er gerade seinen ersten Ball hinter sich gehabt. Es war eine völlige Katastrophe gewesen.

Zitternd holte er Luft, versuchte seine bebenden Hände wieder unter Krontrolle zu bekommen. Er suchte die Sterne in der Ferne, machte sich bewusst, wie weit sie entfernt waren und dass er genug Luft zum Atmen hatte. Vorsichtig streckte er seine Arme aus, versuchte sich mit allen Mitteln zu überzeugen, dass da genug Platz war.

"Micha?" Chessies Stimme ließ ihn zusammen zucken. Traurig schaute er in ihre Richtung.

"Was ist los?" Sie kam näher, hatte gegen die Kälte die Arme um den Körper geschlungen. Als sie direkt vor ihm stand, konnte er nicht länger. Schluchzend brach er in ihren Armen zusammen.

"Ich... ich weiß nicht wie lang ich es hier aushalten soll. Warum muss hier alles so klein sein? Ich... ich krieg... da drin einfach keine... Luft. Bitte... ich will.... ich i-ich kann hier nicht bleiben." Seine Atmung wurde hektischer und Chessie nahm sein Gesicht in die Hände. Er war völlig am hyperventilieren, starrte  durch sie hindurch, als wäre sie gar nicht da.

"Micha. Schau mich an. Ich bin hier. Bei dir. Überall hier ist Luft. Nichts kann dir was antun. Wir sind hier beide in Sicherheit, hörst du? Es wird alles gut werden. Wir werden jetzt beide ganz tief ein und aus atmen." Langsam, ganz langsam schaffte sie es den Prinzen aus den Krallen seiner eigenen Geister zu befreien und sie in ihre zu kleine Kammer zurückzudrängen.

Sie half ihm die Mauern wieder um sie zu errichten, doch wie lange würde es dauern bis sie wieder niedergerissen wurden? Sie hatte bisher nur vom König selbst gehört, wie schlimm Michas Ängste als Kind gewesen waren. Doch seit sie den Prinzen kennengelernt hatte, blieben sie tief in ihm verborgen. Es war kein gutes Zeichen, dass er nach gerade mal einem Tag schon so am Ende war.

Chessie wollte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wäre Micha mit Maudado allein und seine Dämonen kämen frei. Der Magier wüsste sicher damit umzugehen, aber würde Micha es zulassen?

Sie konnte nur hoffen, dass es nicht soweit kommen würde.

Written by Federsturm

Liebe ist (keine) ZaubereiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt