19. Kapitel

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A R Y A




Sobald ich Joy, die lachend neben Devon in der Küche sass, erblickte, stellte ich mich zu ihr. »Joy? Kann ich kurz mit dir sprechen?«

Devon griff sich entsetzt ans Herz. »Honigbienchen, du wagst es mir mein Zuckerpüppchen zu stehlen?«

Joy knurrte und boxte ihm in den Arm. »Verzieh dich, Köter.« Dann legte sie ihr Käsebrötchen auf den Teller ab und lächelte mich an, doch mir entging der liebevolle Blick nicht, den sie Devon zugeworfen hatte. »Klar.«

Ich zog sie zur Seite in den Gang, weg von all den neugierigen Werwolfohren. »Das Kleid, von dem du gesprochen hast.«

Sie sah mich auffordernd an, als ich eine Pause einlegte. »Ja?«

Ungeduldig trat ich von einem Bein auf das andere. »Ich habe mich dazu entschieden, es nicht zu tragen.«

»Du kommst nicht zum Jahresball?« Sie sah ich erstaunt an. »Arya, bitte!«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bleib nur so lange hier, bis wir die Sache mit Daemon geregelt haben. Dann kehre ich zurück nach Hause.« Zu meinem Stamm. Wo ich hingehörte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte das Messer, dass sich in meine Brust grub, zu ignorieren.

»Schade.« Joy seufzte, hob dann jedoch unbeholfen die Hände. »Aber nun gut. Wenn du das so möchtest.«

Ein Knurren hinter mir, dass um Längen tiefer und gefährlicher klang, als ich es mir normalerweise gewöhnt war. Ich wirbelte herum und erstarrte, als blaue, glühende Augen mir entgegenblickten.

Xenos lachte trocken. »Das ist jetzt nicht dein Ernst.«

Ich riss mich aus meiner Stockstarrte, verfrachtete mein Herz hinter eisige Mauern. »Doch und ob. Du hast sicher genug andere Tanzpartner.« Ich wich ein Stück zurück, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen. »Cecilia würde sich bestimmt darüber freuen, dir Gesellschaft zu leisten.«

Ich sah die Wut in seinen Augen. Das blaue Feuer, das in ihnen loderte und darauf wartete, entfesselt zu werden. »Ist es das was du willst? Das ich mit Cecilia hingehe?«

Belanglos zuckte ich mit den Schultern. »Du kannst machen was du willst.«

Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Das glaube ich einfach nicht.« Er fuhr sich durch die blondbraunen Haare und lachte kühl. »Weisst du was Arya, du bist ein Feigling.«

Ein Stich in meinem Herzen. Worte, die ich nur zu oft gehört hatte. Worte, die ich mir nie aus diesem Mund erhofft hatte. Meine Augen verengten sich, als ich ganz ruhig erwiderte: »Sag das noch einmal.«

»Du bist ein Feigling.« Er zog das Wort genüsslich in die Länge, während er sich zu mir herunterbeugte und mich keine Sekunden aus den Augen liess. »Ein elender Feigling, wenn du nicht einmal zugeben kannst, dass du etwas für mich empfindest. Ich dachte du wärst die unerschrockene Kriegerin te Retani, die scharfsinnigste Frau, die ich je gesehen hätte, doch da habe ich mich wohl gewaltig geirrt. Ein kleines Mädchen hätte mehr Mumm als du.«

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich fauchte, während ich mich selbst bremste, ihm die Augen auszukratzen. »Das nimmst du gefälligst zurück.«

»Vergiss es.« Er schüttelte den Kopf und seine Augen waren so dunkel wie noch nie, als er sich zurückzog. »Wenn du angst hast und davonlaufen willst«, er hob seine Arme, »meinetwegen, tu das.«

Wie von selbst strafften sich meine Schultern. »Gut

Sein Kiefer mahlte, als ich mich umdrehte. »SCHÖN!« brüllte er mir hinterher.

Das Brennen in den Augen unterdrückt, hob ich meinen Arm über den Kopf und zeigt ihm den Mittelfinger. Sollte er sich doch kreuzweise.

»Aber komm nicht zurück, weil du gemerkt hast, dass das, was wir hatten, verdammt besonders war!«

Das laute wutentbrannte Gebrüll folgte mir auf Schritt und Tritt, als ich die edlen getäfelten Gänge entlang rannte und die Treppen hoch zu meinen Gemächern stürmte. Frustriert wischte ich mir meine Tränen von den Wangen und wuchtete die Tür mit lautem Krawall hinter mir zu.

Er war ein elendes Arschloch! Ein Scheusal! Wie konnte er mich all die Zeit so sehr beanspruchen, sich so sehr in mein Herz schleichen, hinter meine hart errichteten Mauern stehlen, bis ich nichts anderes mehr wollte, als ihm zu gehören. Wie konnte er mich so sehr in den Abgrund stürzen? Wie?

Mein Körper bebte unter meine Schluchzer, als ich an die Tür lehnte und mich zu Boden sinken liess. Ich raufte meine Haare. In mir herrschte das reinste Gefühlschaos und es fühlte sich an, als ob mein Herz zerreissen würde.

Aee, ich war Arya, Kriegerin des Stammes Retani, erster Pfeil und Tochter des Häuptlings. Es war meine Pflicht, mein Stamm zu verteidigen, zu ihm zurückzukommen und ihn anzuführen - ohne Wenn und Aber. Dennoch schmerzte mein Herz, bei der blossen Vorstellung, Xenos zu verlassen.

Wenn ich Daemon gefunden hätte, wäre alles vorbei. Ich würde ihn nie mehr sehen. Und das war gut so. So sollte es sein. Es konnte nicht anders sein. Dennoch drehte sich das Messer in meiner Brust um, spaltete mich auf.

Wie sehr ich ihn doch hasste! Elender Köter. Meine Faust drosch gegen den Marmorboden und riss die Haut über den Fingerknöchel auf. Rote Flecken schmückten die weissen Steinplatten, als hätte es Blut geregnet. Ich wollte das alles nicht. Wollte diese Gefühle für ihn nicht. Ich wollte ihn nicht wollen, ich wollte mich nicht nach ihm verzehren, nur darauf warten, bis er mich ansah. Bis er mich berührte und mir das Gefühl gab, nur mich zu sehen. Allein mich.

Ich verdreckte mein Gesicht mit meinen Händen und zog meine Beine an mich, als der Sturm in mir zu einem gewaltigen Crescendo anstieg und plötzlich Scherben durch die Luft flogen. Ein dicker Ast des Laubbaumes vor dem Packhaus war durch das Fenster geschossen und hatte es mit einem Schlag zerstört.

Denk daran, Nahija, meine Kleine, es gibt immer einen Weg.

Wo Saehva, wo? Ich fand diesen Weg nicht. Es gab ihn nicht. Xenos und ich konnte nie zusammenkommen.

Ich stand auf, umging die Glasscherben, die auf dem Boden lagen und griff nach meinem Bogen und Köcher, der an das Himmelbett angelegt war. Das edel geschliffene Kieferholz grub sich in meine Handfläche und mit einem Schlag vermisste ich Rowtag. Ich vermisste seine dummen Sprüche, sein dämliches Grinsen, mit dem er mich jedes Mal aufmunterte, seine tröstenden Worte und seine perfekten Ratschläge – er wüsste genau, was in diesem Moment zu tun wäre.

Es war so viel einfacher damals. Alles war einfacher, ohne dieses dämliche Herz. Dieses abscheuliche Verlangen nach einem König, der mich schier um den Verstand brachte. Einem König, den ich nicht haben konnte.


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