1. Kapitel

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A R Y A





Wild flatterten meine schwarzen, teilweise zu Zöpfen geflochtenen Haare in der Luft, während ich immer schneller durch die nah beieinanderstehenden Bäume zischte und ihnen geschickt auswich. Das Tappen von nackten Füssen auf feuchtem Laub, der Lufthauch einer schwingenden Liane und das Rauschen des Windes erfüllten den endlosen Dschungel. Adrenalin schoss durch meine Adern, als ich meine Kraft freien Lauf liess und eine Liane zu mir herbeirief. Mit voller Wucht schwang ich mich auf den nächsten Baum und rannte über die schmalen, sich nach meiner Bitte hin windenden Äste. Im Augenwinkel bemerkte ich zwei flinke Schatten, die neben mir her huschten. Sie waren schnell, bewegten sich eben so geschickt und leise auf den dünnen Ästen wie ich, dennoch konnten sie mich nicht überholen. Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und ich beschleunigte meinen Spurt.

Ha! Sie sollten erst probieren, den ersten Pfeil des Stammes zu überholen, sie werden schon sehen, wie unmöglich das ist! Das Lächeln auf meinem Mund wurde zu einem Grinsen und mein Köper kribbelte voller Lebendigkeit. Genau das hier, das nannte man Leben.

Abrupt hielt ich schlitternd inne und spitzte meine Ohren. Seit ich ein kleines Kind war, rannte ich durch diesen Dschungel, kannte ihn in und auswendig, wusste, welche Geräusche er machte und wie er sich bewegte. Er war mein Zuhause.

Ohne einen Ton zu verursachen, schlich ich die einzelnen Äste entlang und kauerte mich dann runter. Mein dunkelbrauner Brustumfang, der mit einem Strang über meiner Schulter an der Stelle gehalten wurde, ebenfalls wie mein Lederrock passten sich perfekt an mein Umfeld an – niemand würde mich entdecken, nicht einmal, wenn er es wollte. Ich schmiegte mich noch enger an den Ast und hielt gebannt Ausschau.

Bingo.

Ich hatte es geschafft. Leise, ohne jeglichen Laut zu verursachen, legte ich meinen Bogen an und spannte den Pfeil. Innerhalb drei Sekunden berechnete ich den Winkel, Wind und meine Beute, bevor ich die Sehne los lies und der Pfeil durch die Luft flirrte, genau in die Brust des Affen.

Sein Schrei schnitt sich in mein Herz und liess es bluten. Mit fest aufeinandergepressten Lippen schlag ich den Bogen wieder um meinen Rücken und kam mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden an. Dank der übernatürlichen Sprung- und Federkraft der Gis, landete ich geschmeidig und richtete mich ohne jegliche Verletzungen auf.

Der Affe stiess leise Klagelaute aus, die einem Wimmer nahekamen, als ich mich neben ihm niederliess und sanft meine Hand auf seinem blutdurchtränkten Fell legte. Sein Atem rasselte bei jedem Atemzug und dunkelrotes Blut tropfte aus seinem Mund. Leidend sahen mich seine dunkelbraunen Augen an, die ganz dumpf vor Schmerz waren.

«Schsch. Hab keine Angst.» beruhigend strich ich über sein Kopf, während ich mein Messer hervor zog. «Wir danken dir, weise und liebende Seele, für dein Opfer. Wir werden dich ehren und auf ewig lieben.» langsam führte ich den Dolch in seine Brust, während ich immer noch beruhigend durch sein Fell strich. «Geh mit dem Wind, lass dich zu deinen Brüdern und Schwestern tragen, wo du ein friedliches und glückliches Leben führen wirst.» Ich stach fester zu, während er einen leisen Leidensschrei losliess. «Tanze und lache, liebe und lebe sorgenlos. Sei deine Seele mit bedingungsloser Liebe erfüllt. Rasa nees tovanu, auf dass wir uns wiedersehen.» Flatternd senkten sich langsam die Lieder des schwarzen Affen, als sein Herzschlag ruhig wurde und er davon driftete, in das unbekannte Jenseits. «Vosheea enie. Es tut mir leid.» wisperte ich.

«Das hast du gut gemacht.»

Anscheinend war ich so konzentriert gewesen, dass ich nicht gehört hatte, wie Rowtag zu mir gestossen war. Ich nickte. «Danke.»

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