63. Kapitel

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X E N O S







Trotz all den anderen Düften, die von den verschiedenen Pflanzen in die Luft abgesondert wurden, stach ihre Witterung hervor. Ich hörte ihr Atem, ihr schneller ihre kleinen schnellen Schritte auf dem schmalen Pfad, der durch den Garten führte und dann ihr hektischer Herzschlag, als sie nur wenige Meter vor mir innehielt.

Ich schaute nicht zu ihr nach unten, lehnte nur meinen Kopf zurück an den Baumstamm und spähte zwischen dem dichten Gestrüpp der Baumkronen zur Decke der Glaskuppel. »Du hast mich einmal gefragt, ob ich mit dir hierherkommen könne, erinnerst du noch?«

Die Spitze des Astes, auf dem ich rittlings sass, verrenkte sich ächzend in die Tiefe, dann schwang er wieder hoch. Leises Tappen von nackten Füssen, die auf dem dicken Ast tänzelten, dann sah ich im Augenwinkel, wie sie sich vor mich hinsetzte.

Ich schloss meine Augen. »Es war an dem Morgen, an dem du bei deinem Vater einen Besuch gestattet hast.«

»Ich weiss.« kam ihre schlichte Antwort.

Ich nickte. »Dann weisst du sicherlich auch noch, was ich dir geantwortet habe.«

»Das warst nicht du.«

Die Rinde knorzte, als meine Krallen sich tief in sie ritzten. Mein Kiefer mahlte. »Ja stimmt. Doch ich hätte es verhindern müssen.« Ich zwang mich, meine Augen zu öffnen und sie anzusehen. Gerötete, geschwollene Augen, darunter dunkle Ringe und dieser scheiss blaue Bluterguss auf ihrem Kinn, der sich langsam dunkelviolett zu färben begann. »Ich hätte stärker sein müssen, hätte sie zurückdrängen und dich verdammt noch mal nicht wegstossen dürfen.«

»Nein, ich hätte sie zurückdrängen sollen.« sagte sie leise, und ihre Stimme war ganz heiser von ihren Schreien. Noch so etwas, das ich verhindern hätte müssen. »Ich hätte bemerken müssen, dass das nicht du warst. Hätte dir genug vertrauen müssen, um es besser zu wissen. Um zu wissen, dass du mir nie freiwillig wehgetan hättest, in welcher Art auch immer. Es wäre meine Aufgabe-«

»Und wie hättest du das tun sollen?« knurrte ich, denn der Frust schlummerte tief in meinen Knochen. Ich sah sie immer wieder vor mir, wie sie mit ihren kleinen Fäusten auf ihren Schädel einhämmerte, wie sie ihren Kopf immer und immer wieder gegen die Wand drosch. Was hatte ich nur getan? »Jedenfalls tischte ich dir reichlich viele Gründe auf, es nichts zu glauben.«

»Psst.« Sie legte mir einen Finger auf die Lippen. »Du hast gesagt, was dir auf dem Herzen liegt, jetzt bin ich an der Reihe.« Sie zog ihren Finger wieder zurück, rutschte jedoch so nahe an mich heran, dass sich unsere Knie berührten. »Weisst du, ich wusste lang nicht, was beschützen bedeutete. Ich war erst fünf, als meine Saehva starb. Und von da an gab es niemand mehr, der mich beschützte.« begann sie, zu erzählen. »Mein Vater war der Letzte, der sich um mich sorgen würde und er verweigerte es jedem anderen. Von da an musste ich die beste Kriegerin in meinem Stamm sein. Die beste Kriegerin, die beste Strategin, die beste Sprinterin und die beste Kräftebinderin. Wenn mich jemand vor etwas in Acht nahm, bedeutete es, dass ich nicht stark genug war. Wenn mein Vater mich von etwas verschonte, bedeutete dass, das ich versagt hatte, nicht gut genug war, nicht hart genug dafür gekämpft hatte - ihn enttäuscht hatte. Und als du mich dann nicht mitnehmen wolltest, nicht mit mir über königliche Pflichten sprechen wolltest, da ...« Sie rang zitternd nach Atmen. »Zu denken, dass ich nicht gut genug für dich war, das hat mich zerstört.«

Wie konnte jemand meine Arya so tief verletzten? Wie konnte man ihr das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein? Sie war doch perfekt. So scheisse perfekt, dass ich nicht mehr ohne sie konnte.

X E N O S | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt