Onish 2-14 Spuren im Schnee

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Spuren im Schnee

Hajtash hält an der Stelle an, an der die Fährte das Flusstal verlässt. Von hier aus führt eine deutliche Pferdespur diagonal durch den unberührten Schnee den Hang hinauf. Nachdenklich studiert er die Richtung, aus der zwei Reiter gekommen sein müssen. Es besteht kein Zweifel, das waren die beiden, denen sie vor kurzem begegnet sind. Die jungen Jäger sind also tatsächlich erst heute Morgen aus den Bergen zum Selin abgestiegen, wie sie es behauptet haben. Eigentlich wäre der Shalen erstaunt, wenn die Spur etwas anderes sagen würde. Er hätte es bestimmt bemerkt, wenn die beiden ihn angelogen hätten. Obwohl irgendetwas an ihnen seltsam war ... Aber Hajtash findet nicht heraus, was ihn an dieser Begegnung störte und kann nicht fassen, was ihn immer noch irritiert. Dabei sind die beiden längst weitergezogen und er wird sie vermutlich nie wieder antreffen.
Gerini zügelt neben ihm das Pferd und folgt mit den Augen der Fährte.
«Hier sind sie also hergekommen. Gibt es etwas Besonderes an der Spur?»
«Nicht, dass ich wüsste. Die beiden haben die Wahrheit gesagt.»
«Hast du daran gezweifelt, Shalen?»
«Nein, nicht wirklich. Aber es ist immer gut zu wissen, dass ich mich auf mein Urteilsvermögen noch verlassen kann.»
Die junge Frau blickt ihn mit gerunzelter Stirn an, bevor sie die Schultern zuckt und wortlos ihr Pferd wieder antreibt. Die Wagen sind inzwischen ein gutes Stück voraus und sie beeilt sich, sie einzuholen. Hajtash blickt ihr fast erleichtert nach. Die jugendliche Arroganz der Magierin stört ihn von Tag zu Tag mehr. Oft muss er sich zusammenreißen, um ihr nicht geradeheraus seine Meinung zu sagen. Zum Beispiel bei dieser Begegnung vorhin! Wie oft hat er sie schon gebeten, Fremden gegenüber ihre magische Begabung nicht so offen zu zeigen? Sie kann von Glück reden, dass diese beiden nur zwei harmlose Jäger waren und nicht etwa Magier einer anderen Gilde. Vermutlich hätte jedes halbwegs begabte magische Kind ihre Ausstrahlung bemerkt. Hajtash kann verstehen, dass sie es genießt, dass endlich wieder einmal die Sonne scheint und sie mit ihrer magischen Energie versorgt. Ihm geht es im Grunde genommen gleich, es ist wohltuend, die Energiereserven endlich richtig auffüllen zu können, selbst wenn es nur durch eine fahle Wintersonne ist. Aber das ist noch lange kein Grund, die eigene Stärke so uneingeschränkt jedem dahergelaufenen Fremden zu präsentieren.
Mit einem letzten Blick zurück über die Schulter setzt sich der Shalen wieder in Bewegung. Er will den Wagenzug nicht zu lange allein lassen, die Spannung zwischen seinen Begleitern hat in den letzten Tagen gefährlich zugenommen. Trotzdem sinniert er immer noch über die Begegnung von vorhin nach. Die Unbedachtheit seiner Schülerin ruft bei ihm nur Kopfschütteln hervor. Er weiß genau, dass er sich in seiner Jugend auch für unbesiegbar hielt. Aber er fürchtet, dass seiner rechten Hand noch Ärger bevorsteht, wenn sie sich nicht bald ein gemäßigteres Verhalten aneignet.
Obwohl Hajtsch sicher ist, dass die Zukunft ihm und seinem Feuerkult gehört, gibt es genügend begabte Magier, die alles daran setzen werden, seinen Siegeszug aufzuhalten. Er fragt sich, wann Gerini diese schmerzhafte Erfahrung machen wird.
Noch einmal versucht er zu ergründen, was ihn an den beiden Fremden störte. Es ist ungewöhnlich, einen Kelen und eine Nirahn gemeinsam anzutreffen. Die Südländer bleiben meistens lieber unter sich. Aber das allein kann es nicht gewesen sein. Hajtash treibt ungehalten sein Pferd an. Vermutlich bildet er sich das alles nur ein. Er sollte sich nicht durch solche Nebensächlichkeiten von seiner Aufgabe ablenken lassen. Es ist schlimm genug, dass der Wintereinbruch ihr Vorankommen verzögert. Und nun, da die Sonne langsam höher steigt und den Nebel verdrängt, sieht er bereits das nächste Problem auf sich zukommen. Der Schnee der letzten Tage beginnt unverkennbar zu schmelzen. Schon bald wird sich der Weg in einen kaum befahrbaren Morast verwandeln. Dann werden die Wagen mit dem Vorankommen noch mehr Probleme haben. Nicht zum ersten Mal wünscht sich Haitash, er wäre in der Lage, das Wetter magisch zu beeinflussen. Dann hätte er es erst schneien lassen, nachdem er die Dracheneier gefunden und in Sicherheit gebracht hätte. Er seufzt und schiebt diesen unsinnigen Gedanken beiseite. Wettermagie ist leider nur in Kindergeschichten möglich.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt