Onish 2-18 Falsche Fährte

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Falsche Fährte

Fanlaita nimmt vorsichtig einen Schluck aus der zerbrechlichen Tasse und fragt sich dabei, welcher Handwerker wohl dieses kunstvolle Stück hergestellt und bemalt hat. Vorsichtig setzt sie die Tasse wieder auf dem dazugehörigen Unterteller ab. Katim folgt ihrem Blick. Seine Stimme ist ungewohnt freundlich.
«Ich habe dieses Teegeschirr von meiner Mutter. Sie stammte aus dem hohen Norden und hat es hierher mitgebracht, als sie meinen Vater zum Gemahl nahm. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie es geschafft hat, dass es auf dem langen Weg nicht zerbrochen ist.»
«Das Geschirr muss ihr sehr viel bedeutet haben.»
«Ja, das glaube ich auch. Obwohl sie nie dazu kam, mir zu erzählen weshalb.»
Fanlaita betrachtet versonnen die feinen Blumenmuster in Pastelltönen und versucht, sich Katims Mutter vorzustellen, wie sie als junge Frau aus dem Norden nach Penira kam. Dann schiebt sie diesen Gedanken beiseite und wendet sich mit ernstem Gesicht dem alten Berater des Königs zu. Schließlich ist sie heute hier, um ihm ihre Bedenken mitzuteilen. Katim bemerkt ihre Entschlossenheit und blickt sie aus wässrig blauen Augen erwartungsvoll an.
«Die Königin hat mich um ein Gespräch gebeten?»
«Ja, ich möchte mich gerne dafür bedanken, dass du dir die Zeit für mich nimmst, Katim. Ich weiß, dass du viele andere Sorgen und Aufgaben hast. Aber ich habe einen Verdacht, von dem der Berater des Königs wissen sollte.»
Katim hebt fragend die Augenbrauen. Er hört Fanlaitas Erläuterungen aufmerksam zu, ohne die Königin zu unterbrechen. Sie erzählt ihm von ihrer Beobachtung, dass die Krankheit ihres Sohnes nach der Abreise des Shalen aus Penira scheinbar deutlich besser wurde. Sie verheimlicht auch nicht, dass sie sich fragt, ob Hajtash möglicherweise aktiv die Leiden des Thronfolgers verlängerte. Katim ahnt, wieviel es die Königin kosten muss, den Vertrauten ihres geliebten Vaters so zu beschuldigen. Aber er ist sich sicher, dass sie mit ihrem Verdacht recht hat.
«Was meine Königin beobachtet, wirft ein schlechtes Licht auf Hajtash. Als Heiler wäre er verpflichtet, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um einem Kranken zu helfen. Ich glaube, wir können von Glück reden, dass der Thronfolger im Moment seinem Einfluss entzogen ist. Wie geht es ihm?»
«Von Tag zu Tag besser. Er hat heute zum ersten Mal wieder richtig Appetit gezeigt und sogar sein Bett verlassen, um einige Zeit mit seiner Schwester zu spielen. Nun schläft er ruhig und scheint keine Schmerzen zu haben.»
Katim nickt nachdenklich. Hajtash verließ Penira bereits vor einem Dreiviertel Mond. Es ist also denkbar, dass sein Zauber langsam nachlässt. Katim und Duwish lassen den Mann, der die Stelle des Shalen in den Feuerritualen einnimmt, immer noch heimlich beobachten. Obwohl es ihm gelingt, seine Anhänger jeden Morgen wie gewohnt in seinen Bann zu ziehen, nimmt die Anzahl der Besucher seit einigen Tagen nicht mehr zu. Duwish meint, das könnte mit dem Vollmond zusammenhängen. Aber Katim ist sich nicht so sicher. Es hat seit einer ganzen Weile keine gefährlichen Übergriffe der Feuerkultanhänger mehr gegeben, beinahe als hätte der Kult sich in den Alltag von Penira eingefügt. Aber Katim ist überzeugt, dass dies nur vorübergehend ist. Sobald der echte Shalen zurück ist, wird er bestimmt nicht zögern, seinen Einfluss weiter auszubauen. Insgeheim hofft der alte Diplomat, dass es dem Heerführer Liha gelingt, Hajtash irgendwie an der Rückkehr zu hindern. Er vermutet, dass der Ersatz-Shalen nicht annähernd dessen magische Kraft besitzt und sich mit dem Feuerritual jeden Morgen so verausgabt, dass er keine Energie mehr für andere Aktivitäten aufbringen kann. Deshalb glaubt der alte Berater des Königs, dass Fanlaitas Vermutung stimmt. Das bedeutet aber, dass es besser wäre, den Thronfolger aus der Hauptstadt wegzubringen, bevor Hajtash nach Penira zurückkehrt. Er bemüht sich, seinen Vorschlag diplomatisch zu formulieren.
«Falls der Verdacht der Königin stimmt, sollten wir ihren Sohn von hier wegbringen, bevor Hajtash Gelegenheit hat, seinen Einfluss zu erneuern.»
Katim beobachtet Fanlaitas Reaktion. Sie ist nicht annähernd so ablehnend, wie er es erwartet hat. Offenbar befasste sie sich auch schon mit diesem Gedanken. Sie blickt ihrem Gegenüber direkt in die Augen. Ihre Aussage zeigt Katim, dass er die Königin wohl bisher grundlegend unterschätzte.
«Ich bin bereit, alles für das Wohl meines Sohnes zu tun, Katim. Aber ich fürchte, dass es einen schlechten Eindruck auf das Volk macht, wenn Pentim den Thronfolger aus der Hauptstadt wegbringen lässt. Wir werden also einen gut durchdachten Plan benötigen, der uns erlaubt, Mirim in Sicherheit zu bringen ohne dass die Anhänger des Feuermagiers etwas davon bemerken. Uns bleibt nicht viel Zeit, denn ich bezweifle, dass wir Hajtash täuschen können. Deshalb bin ich hier. Was schlägst du vor, Katim?»

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt