Onish 1-10 Magie und Zauberei

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Magie und Zauberei

Pentim und Fanlaita stehen Hand in Hand am Bett ihres Sohnes. Aus dem Nachbarzimmer ist gedämpft Talais fröhliches Lachen zu hören. Sie ist mit ihrem Kindermädchen in ein Spiel vertieft. Unterdessen schläft Mirim so friedlich, wie er es seit Beginn der Behandlung durch Ginadims Heiler meistens tut. Wenn er erwacht, glänzen seine Augen aber immer noch fiebrig und er erkennt seine Eltern kaum. Trotzdem ist deutlich erkennbar, dass es ihm besser geht. Seine Haut ist weniger gerötet, die verschorften Stellen beginnen zu verheilen. Seine Stirn ist noch heiß, aber er verglüht zumindest nicht mehr im Fieber.
Die Königin lehnt ihren Kopf müde gegen Pentims Schulter.
«Glaubst du, er wird wieder ganz gesund?»
Pentims Blick wandert vom Gesicht seines Sohnes zu den farbigen Lichtflecken, welche die Sonne durch die bemalten Glasscheiben auf den Boden zeichnet. Sie scheinen immer in Bewegung zu sein, wie das Schicksal selbst.
«Ich weiß es nicht, Fanlaita. Aber ich hoffe es sehr. Im Moment geht es ihm besser als seit vielen Monden. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.»
«Hajtash hat versprochen, heute nach ihm zu sehen.»
Pentim hört die Hoffnung in der Stimme seiner Frau, während ihm selber ein kalter Schauer über den Rücken rieselt. Hajtash ist der Heiler, den ihr Vater Ginadim empfahl. Pentim empfindet dem Mann gegenüber tief verwurzeltes Misstrauen. Dieses beruht nicht nur in seiner Beziehung zum Vater der Königin. Der Sonnenkönig lernte auf dem harten Weg, Magiern gegenüber vorsichtig zu sein. Dies ist allerdings nicht der Moment, Fanlaita darauf hinzuweisen. Er seufzt kaum hörbar und formuliert seine Gedanken vorsichtig.
«Ich bin sicher, dass er sein Bestes tut, Mirim zu helfen.»
«Ich weiß. Vater sagt das auch immer. Es dauert nur so lang, es ist zum Verzweifeln. Manchmal wacht Mirim auf und erkennt mich einen kurzen Moment lang. Aber dann blickt er wieder durch mich hindurch und versinkt in seine Traumwelt. Hajtash meint, das sei notwendig, damit er die Krankheit von innen her besiegen kann. Aber es schmerzt so sehr, ihn in diesem Zustand zu sehen.»
Pentim legt seiner Frau zärtlich einen Arm um die Schultern und wischt mit dem Zeigefinger die einsame Träne weg, die über ihre Wange rollt. Er kann ihren Schmerz nachempfinden.
«Wenn der Heiler nachher kommt, kannst du ihn ja fragen, ob es noch etwas anderes gibt, was wir tun können.»
«Das werde ich. Aber er sagt immer das Gleiche, wir müssten Geduld haben. Kannst du nicht hierbleiben? Vielleicht wäre er dir gegenüber gesprächiger.»
Pentim bezweifelt das. Hajtash weiß sehr genau, dass der König ihm nach seiner Erpressung nicht wohlgesinnt ist. Der Magier begegnet dem König mit an Verachtung grenzender Arroganz. Pentim toleriert dieses empörende Verhalten nur seiner Gattin zuliebe. Dieser gegenüber ist Hajtash ausgesprochen freundlich und korrekt. Früher oder später wird die Situation eskalieren. Pentim hofft allerdings, dass es seinem Sohn bis dahin entscheidend besser geht. Aber auch an diesen Gedankengängen lässt er Fanlaita lieber nicht teilhaben.
«Es tut mir leid, meine Liebe. Ich muss heute dem Landgericht vorsitzen. Die Menschen in Kelèn sind auf meine Aufmerksamkeit angewiesen.»
Es ist deutlich zu erkennen, dass die Königin davon nicht begeistert ist. Pentim weiß aber um ihren Ehrgeiz und hat längst gelernt, sie damit zu beeinflussen.
«Ich möchte auch lieber hier bei euch bleiben, Liebste. Aber ein König muss sich um sein Reich und seine Pflichten kümmern, auch wenn er dazu keine Lust hat. Das Landgericht ist eine wichtige Gelegenheit, dem Volk zu zeigen, dass ich seine Anliegen ernst nehme. Ich werde sobald als möglich hierher zurückkommen.»
Pentims Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Fanlaita richtet sich gerader auf und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie ihren Gatten zum Abschied in die Arme schließt und ihm einen Kuss gibt. Pentim lächelt ihr stolz zu.

Während der König von zwei Gardisten begleitet die Treppen zum Gerichtssaal hinuntereilt, gesellt sich Duwish zu ihm. Pentim verlangsamt seine Schritte, damit sein fülliger Berater mit ihm mithalten kann. Wie üblich dauert es nicht lang, bis Duwish seine Gedanken zum Ausdruck bringt.
«Der König macht sich Sorgen über den zunehmenden Einfluss dieses Heilers.»
«Manchmal denke ich, dass du Gedanken lesen kannst, Duwish.»
«Keine magische Begabung bei mir, nur viel Erfahrung mit Menschen und Beobachtungsgabe. Es ist offensichtlich, dass der König soeben seine Familie besuchte. Wie geht es dem Thronfolger?»
«Besser. Aber ich fürchte immer noch, dass dieser Hajtash uns hinhält, uns etwas vormacht. Vielleicht liege ich falsch, bis jetzt kann ich ihm nichts vorwerfen. Aber das ungute Gefühl bleibt.»
Duwish zögert einen Moment, bevor er mit gedämpfter Stimme die Situation analysiert.
«Hajtash bezeichnet sich offen als Feuermagier. Der Feuerkult wurde bereits vor vielen Generationen verboten. Die Feuermagier waren damals angeklagt, Zauberei zu praktizieren. Ihre Gilde behauptete, das sei eine Haarspalterei, sie seien als Magier genau so respektabel wie die Schattenwandler. Die Debatte war lang und hitzig. Sie führte schließlich zum Verbot, Feuermagie öffentlich zu praktizieren. Sie wurde offiziell als Zauberei eingestuft. Trotzdem wurden in all diesen Generationen bestimmt zahllose Kinder mit einer Begabung für Feuermagie geboren. Ich frage mich, was mit ihnen geschah und wo sie heute sind. Ist es nicht seltsam, dass plötzlich ein einzelner Feuermagier hier auftaucht und versucht, das Vertrauen des Königs zu gewinnen?»
Pentim stellte ähnliche Überlegungen längst selber an. Er weiß zudem, dass Liha und Katim Duwishs Befürchtungen teilen. Selbst A'shei ergriff während seines kurzen Besuchs die Gelegenheit, Pentim unter vier Augen auf die potentielle Gefahr eines Wiederauflebens des Feuerkultes hinzuweisen. Katim beschäftigt sich seit Tagen nur noch mit den alten Aufzeichnungen über diesen Kult. Der König versucht sich immer wieder einzureden, dass das alles lange her ist, dass es in Kelèn seit Generationen keine Zauberei mehr gibt, dass die Gilde der Schattenwandler ein Wiederaufleben der finsteren Bräuche rasch erkennen und tatkräftig unterbinden würde. Aber er weiß selbst, dass er sich an einen dünnen Faden der Hoffnung klammert. Pentim nickt Duwish entschlossen zu, als sie gemeinsam die Eingangshalle des Landgerichtssaals betreten.
«Danke für deine Offenheit, Duwish. Ich kenne die Fakten leider nur zu gut. Und ich teile deine Befürchtungen. Ich habe im Moment aber leider nichts in der Hand.»
«Genau da liegt das Problem, mein König.»
Pentim würde gern etwas auf diese letzte Bemerkung seines Beraters erwidern. Aber die Türwächter öffnen in diesem Moment die Tore zum Saal und Pentim muss sich wohl oder übel der anstehenden Gerichtsgeschäfte annehmen. Während er würdevoll zu seinem Thron auf dem Podest schreitet, nickt er dem applaudierenden Volk freundlich zu. Aber er weiß, dass das Gespräch mit Duwish noch nicht abgeschlossen ist.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt