Onish 1-5 Der Erbe von Kelèn

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Der Erbe von Kelèn

Pentim streicht sich müde eine Strähne goldblondes Haar aus der Stirn. Er sollte es dringend schneiden lassen. Aber im Moment hat er genug andere Sorgen. Der Sonnenkönig spielt gedankenverloren mit einem zusammengeknüllten Stück Papier in seiner Tasche während er seine Gattin betrachtet, die erschöpft auf ihrem Bett eingeschlafen ist. Ihr langes, weißblondes Haar fällt ihr wirr über die blassen, eingefallenen Wangen. Ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Die anhaltende Sorge um ihren erstgeborenen Sohn zehrt an den Kräften der Königin.
Der Junge ist seit beinahe zwei Monden zu krank, um sein Bett zu verlassen. Er magerte in dieser Zeit stark ab, seine Arme und Beine wirken nur noch wie zerbrechliche Stöckchen, überzogen von rotem Schorf. Pentim fällt es schwer, seinen früher so fröhlichen und aufgeweckten Sohn in diesem Zustand zu sehen. Hilflos deckt der König von Kelèn den unruhig schlafenden Jungen besser zu, bevor er sich seiner jüngeren Tochter zuwendet. Diese schläft friedlich und mit rosigen Wangen, den kleinen Daumen in den Mund gesteckt. Pentim seufzt beinahe unhörbar. Talai vermisst die Aufmerksamkeit ihrer Mutter und den älteren Bruder. Sie ist noch zu klein, um zu verstehen, weshalb niemand mit ihr spielen will. Pentim fehlt neben den Regierungsgeschäften die Zeit, sich genügend um das Kind zu kümmern. Dabei wollte er seiner Familie trotz seiner Stellung ein guter Vater zu sein.
Aber in den letzten Monden geriet sein behütetes Familienglück aus dem Gleichgewicht. Zunächst wirkte die Krankheit seines Sohnes wie ein harmloses Fieber, etwas, das alle Kinder durchmachen. Pentim bemühte sich, die Ängste seiner Frau zu besänftigen. Er weiß, dass die Königin dazu neigt, sich übermäßig viele Sorgen zu machen. Der persönliche Heiler der Königsfamilie versicherte beruhigend, dass es sich um eine harmlose Kinderkrankheit handle und dass das Fieber in wenigen Tagen fallen werde. Aber allen Bemühungen zum Trotz besserte sich der Gesundheitszustand des Jungen nicht. Im Gegenteil, er wurde von Tag zu Tag schwächer, aß kaum etwas und warf sich die meiste Zeit in einem unruhigen, von Albträumen gequälten Fieberschlaf hin und her.
Pentim setzte alles daran, seinem Sohn und Thronfolger zu helfen. Er ließ in der Stadt nach Heilern und Magiern suchen, lud sie in den Palast ein und gebot seinen Untergebenen, ihre Ratschläge zu befolgen, seien sie noch so exotisch. Der Junge wurde in Schwitzbäder gesteckt, mit zahllosen Kräuterteekuren versorgt, mit Salben eingestrichen, mit unzähligen Bannsprüchen belegt und mit fremdländischen Heilzaubern besungen. Nichts zeigte die gewünschte Wirkung.
Schließlich bestand der Vater der Königin darauf, einen von ihm persönlich ausgesuchten und empfohlenen Magier beizuziehen. Pentim wollte aufgrund eines unguten Gefühls nicht auf dieses Anliegen einsteigen, gab aber gab dem Drängen seiner Gattin nach. Er konnte ihr gegenüber nicht überzeugend begründen, warum er den Vorschlag ihres geliebten Vaters nicht befolgen wollte. Die Situation war kompliziert.
Der König heiratete Fanlaita kurz nach dem Feldzug nach Linar, auf ausdrückliche Empfehlung seiner Berater. Vor dem Krieg hatte Pentim die Hoffnung gehegt, Femolai, die selbsternannte Königin der Dunkelheit werde eine Partnerschaft mit ihm eingehen. Aber die stolze Magierin hatte ihn hingehalten und für ihre eigenen Pläne benutzt. Schließlich unterlag sie in einem magischen Duell der rechtmäßigen Königin der Nacht, Silàn von Silita. Damit wurde es dringend, dass Pentim eine Frau fand und Nachkommen zeugte. Eine glanzvolle Hochzeit mit einer beliebten Schönheit aus Penira war nach Kriegsende und Femolais Verschwinden eine politische Notwendigkeit. Die Bürger Kelèns sollten den Krieg und seine Unannehmlichkeiten sobald als möglich vergessen. Denn obwohl Penitims Armee kaum Verluste erlitten hatte, waren viele Krieger Femolais nicht von dem Heereszug zurückgekehrt. Ihre Armee hatte, genau wie Pentims eigene, aus jungen Männern aus Kelèn bestanden. Manche Angehörige von Gefallenen waren mit dem Ausgang des Krieges unzufrieden und verlangten lautstark Rechenschaft. Sie wollten wissen, warum Pentim dem von Drachenschatten bedrängten Heer Femolais nicht zu Hilfe geeilt sei. Sie brachten kein Verständnis für seinen Friedensbund mit Silàn auf. Denn bald wurde bekannt, dass die gefürchteten Drachenschatten in ihrem Dienst standen.
Deshalb beherzigte Pentim die Bitten seiner engsten Berater und bat die junge Schönheit Fanlaita um ihre Hand. Als unverheiratete einzige Tochter eines angesehenen Hauses war sie eine ideale Anwärterin auf die begehrte Position als Gattin des Sonnenkönigs. Die Hochzeit war großartig. Sie dauerte einen ganzen Mond und über das glänzende Fest in der Hauptstadt Penira wird bestimmt noch in vielen Generationen gesprochen. Fanlaita war eine wunderbare Braut, eine weißblonde Kelen mit strahlendblauen Augen. Das Volk liebte sie von Anfang an. Neun Monde nach dem Hochzeitsfest schenkte sie Pentim den erhofften Sohn und Erben. Dieses zweite freudige Ereignis genügte, um die Eindrücke des Krieges verblassen zu lassen. Die Keleni waren stolz auf ihre Königsfamilie und die Schatten, welche die Herrschaft Femolais über die Hauptstadt und das ganze Land geworfen hatte, waren bald vergessen.
Aber Pentims Verhältnis zu seinem Schwiegervater war von Anfang an nicht ungetrübt und entspannte sich bis zum heutigen Tag nicht. Ginadim besitzt nicht nur große Ländereien, sondern auch hohes Ansehen bei den noblen Bürgern Peniras. Die Verbindung mit dem Haus Diun verschaffte ihm zusätzliche politische Bedeutung, die er schonungslos ausnutzt. Pentim erkannte früh die Problematik der Situation, allerdings nicht früh genug, um die Hochzeit zu verhindern.
Am schwierigsten scheint ihm der Hang seines Schwiegervaters zum Fanatismus. Ginadim vertritt in manchen Dingen öffentlich eine Meinung, die der König weder teilen noch gutheißen kann. Zum Beispiel tritt er vehement gegen die Verträge ein, die den wandernden Tannarí und den ehemals verfeindeten Lelliní erlauben, gleichberechtigt mit Keleni Handel zu treiben. Pentim ist sehr stolz auf diese Verträge, das Resultat der Friedensverhandlungen in Linar. Sie beendeten einen Konflikt, von dem niemand weiß, wann er begann.
Leider hofften die königlichen Berater vergeblich, dass der Vater der Braut sich durch die organisierte Hochzeit der Regierungsmeinung annähern oder seine Stimme etwas mäßigen würde. Pentim hätte Ginadim schon längst ungeduldig in seine Schranken verwiesen, wenn er nicht Rücksicht auf die Gefühle Fanlaitas nehmen würde. Denn obwohl es sich ursprünglich um eine politische Heirat handelte, lernte der Sonnenkönig seine jüngere Frau rasch lieben und will sie weder verletzen noch gegen sich aufbringen. Deshalb lenkte er auch diesmal ein und ließ Ginadims Magier seinen kranken Sohn untersuchen.
Seit seit dem Besuch des Magiers sind zwei qualvoll lange Tage vergangen. Pentim holt den zusammengeknüllten Brief aus der Tasche, um ein weiteres Mal die Nachricht zu lesen, die er heute Abend erhielt. Darin behauptet der dreiste Mann, er sei ihm ein Leichtes, dem kranken Kind zu helfen. Allerdings verlangt er dafür einen Preis, den Pentim nicht zu zahlen bereit ist.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt