Begegnung in Linar
Hajtash lässt sich von einem Getreuen in den Sattel helfen. Er vermisst seinen Diener Tejlish, den er aus gesundheitlichen und strategischen Gründen in Penira zurückliess. Nun ist er mit seiner gemischten Gruppe aus Söldnern und Feuerkultanhängern bereits fast einen Mond lang unterwegs. Sie kommen gut voran, was nicht zuletzt daran liegt, dass er diesmal auf die schweren Wagen verzichtete. Da die Shahraní inzwischen geschlüpft und flügge sind, sind sie überflüssig. Sobald er die jungen Drachen in seiner Gewalt hat, werden sie zahm mit ihm nach Penira zurückkehren.
Mittags, wenn die Sonne am höchsten steht, lässt Hajtash seine Begleiter anhalten, um mit seinem durch die Blutrituale gestärkten magischen Sinn die Richtung zu überprüfen, in der die Shahraní zu suchen sind. Sie befinden sich immer noch im Norden, allerdings kann er die Distanz nicht schätzen. Aber das soll ihn im Moment nicht weiter beschäftigen. Spätestens am nördlichen Meer wird er seine Drachen einholen.
Er gibt seinen Begleitern das Zeichen, aufzubrechen. Sie gehorchen ohne zu murren. Seltsamerweise gibt es in dieser Gruppe weniger Spannungen als in seiner letzten Reisegesellschaft. Die fünf Feuerkultmitglieder bleiben unter sich. Sie sehen ihre Aufgabe darin, ihrem Shalen die Reise zu erleichtern. Den Kontakt mit den Söldnern beschränken sie auf ein Minimum. Diese haben nichts dagegen einzuwenden. Die drei düsteren Männer und die beiden wenn möglich noch grimmiger blickenden Frauen sind ausgesprochen wortkarg. Zu ihren Aufgaben gehören das Suchen des Weges, die Jagd und der Schutz der Gruppe vor Wegelagerern. Hajtash bezweifelt, dass eine bewaffnete Eskorte wirklich notwendig ist. Seit dem Frieden von Linar gelten die Straßen in Kelèn und Lelliní als sicher. Aber weil die Feuerdrachen geschlüpft sind und bereits einen eigenen Willen entwickelt haben kann er nicht ausschließen, dass sie ihm nicht freiwillig folgen werden. Schlimmstenfalls könnten sie ihn sogar angreifen. Ob allerdings fünf Söldner mit ebensovielen Shahraní fertig werden, steht offen. Es mögen alte und erfahrene Krieger sein, aber mit Drachen hat noch keiner von ihnen gekämpft.~ ~ ~
Es ist bereits viele Tage her, seit sich die Wege von Raill, Steim, Onish und Kej am Oberlauf des Keli trennten. Die beiden Krieger verabschiedeten sich nach der Überquerung des Miraipasses herzlich von ihren neuen Freunden und schlugen den direkten Weg zurück nach Penira ein. Onish war erleichtert, als sich Steim und Kej nur kurz umarmten. Offensichtlich war sein Anflug von Eifersucht doch unberechtigt.
Seit der Trennung ziehen die beiden Magier so schnell wie möglich nach Norden. Onish hat vor, nach Sellei zurückzukehren und mit den Diuneldí Kontakt aufzunehmen. Er weiß, dass auch die Xylin nach den seltsamen und scheuen Lichtwesen suchen. Bisher scheinen sie diese aber noch nicht gefunden zu haben. Zumindest haben Onish und Kej seit Tagen keine Xylin zu Gesicht bekommen.
Inzwischen haben sie das Dorf Nanar hinter sich gelassen und den Fluss Selin überschritten. Sie planen in den Weiler flussaufwärts zurückzukehren, in dem Laon und Alanain mit ihrer Familie leben. Dort erfuhren sie zum erstem Mal von der Existenz der Diuneldí. Kurz darauf begegneten sie einem solchen Funkenwesen. Sie hoffen, in dieser Gegend wieder auf sie zu stoßen. Onish fragt sich bereits zum wiederholten Mal, ob es wirklich keine Möglichkeit gibt, die scheuen Wesen zu rufen. Kejs Versuche mit der Flöte blieben alle erfolglos. Dabei waren die Diuneldí wie auch die Shahraní immer gerne bereit, sich mit der jungen Magierin zu unterhalten. Onish vermutet deshalb, dass die Lichtwesen tatsächlich nur in den Bergen von Sellei anzutreffen sind. Das würde auch erklären, warum sie in Legenden kaumvorkommen. Talisha ist als Späherin weit voraus unterwegs. Vielleicht hat sie Glück und stößt auf ein Diuneld.
Onish zügelt an einem geeigneten Rastplatz sein Pferd, um Kej herankommen zu lassen. Hama zeigt seit der Überquerung des Flusses Mühe, mit Daj Schritt zu halten. Besorgt stellt Onish fest, dass die braune Stute lahmt. Er wirft einen Blick zur Sonne, die tief im Westen steht und einige wenige Strahlen durch tiefliegende Wolken ins Flusstal schickt.
«Lass uns hier anhalten. Ich möchte mir Hamas Bein noch bei Tageslicht ansehen. Vielleicht kann ich etwas für sie tun.»
Kej nickt dankbar und lässt sich wortlos aus dem Sattel gleiten. Onish weiß, wie sehr sie an ihrer Stute hängt. Er kramt seinen Beutel mit Heilkräutern heraus. Zum Glück konnte er ihn in Silita-Suan mit A'sheis großzügiger Unterstützung wieder auffüllen. Sobald der Frühling den Winter verdrängt wird er hoffentlich Gelegenheit finden, selbst Kräuter zu sammeln. Im Moment ist aber das oberste Ziel, die Diuneldí aufzuspüren und mit ihrer Hilfe die Shahraní zu suchen.
Vorsichtig tastet Onish Hamas verletztes Bein ab, während Kej routiniert ein Feuer entfacht und Wasser aufsetzt. Die Stute muss gestern bei der Überquerung des Selin einen Fehltritt gemacht haben. Der harte Tagesritt auf Selleis schlechten Wegen verstärkten wohl die Entzündung. Onish sucht Kräuter hervor, die den Schmerz und die Schwellung lindern sollten. Er zerreibt sie zu einem feinen Pulver, das er mit weiteren Zutaten zu einer Salbe mischt. Der Schattenwandler ist so in seine Arbeit vertieft, dass er überrascht aufblickt, als die bekannten Klänge von Kejs Flöte das Rauschen des Selin übertönen. Über dem Fluss tanzt in den letzten Strahlen der Abendsonne eine Funkenwolke. Sie haben die Diuneldí gefunden.
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Onish | Wattys 2015 Gewinner
FantasyDer junge Schattenwandler Onish soll sein abgelegenes Tal verlassen, um in der weißen Stadt Lelai seine Ausbildung abzuschließen. Als er unterwegs der Ausreißerin Kej begegnet, ahnt er nicht, dass das Schicksal ihn und seine neue Bekannte bis ans nö...