Der Feuermeister
Onish ballt in ohnmächtiger Wut beide Hände zu Fäusten. Die jungen Shahraní sind nicht zu sehen. Er fürchtet, dass sie ertrinken oder zu leichten Opfern des Shalen werden. Der Schattenwandler bemerkt nicht, wie Dánirah ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legt, während er überstürzt seine Energiereserven auffüllt. Erst als Talisha ihn unsanft mit ihrer Schnauze anstößt, wendet er ihr unwillig seine Aufmerksamkeit zu.
‹Kej beschützt die Shahraní. Kümmere dich um den Shalen.›
«Ich weiß. Ich habe nur keine Ahnung, wie! Meine Magie reicht nicht.»
‹Du hast Freunde. Lass es uns zusammen versuchen!›
Onish blickt sich auf dem Schiff um. Delani hat die Verfolgung des Fischerboots aufgenommen, das während dem Löschen des Brandes einen beträchtlichen Vorsprung gewann. Das kleine Boot läuft höher am Wind als das flache Flussschiff. Dafür ist dieses länger und erreicht dadurch höhere Geschwindigkeiten. Akim, Rihàn und drei Krieger bedienen kompetent die Segel. Langsam nähern sie sich dem Fischerboot. Onish erkennt, das Hajtash mit einem Fischernetz hantiert, vermutlich will er die Shahraní aus dem Meer ziehen. Von den Drachen ist aber keine Spur zu erkennen. Erst jetzt fällt dem Schattenwandler auf, dass Kej immer noch auf ihrer Flöte spielt. Er wendet sich an Talisha.
«Was tut sie?»
‹Sie beschützt die Shahraní. Sie hat ihnen gesagt, sie sollen sich ins Meer fallen lassen. Ihre Kraft ist noch zu gering, um dem Shalen zu widerstehen. Aber wenn sie sich vor ihm verschließen, kann er sie nicht kontrollieren.›
«Wie können sie unter Wasser überleben?»
‹Erinnerst du dich, wie sie jagen? Sie sind magische Wesen und gute Taucher. Mach dir um sie keine Sorgen. Wir müssen Hajtash aufhalten!›
Entschlossen wendet sich Onish ab und sucht nach Sanesh. Der junge Magier steht nur wenige Schritte entfernt neben Liha an der Reling, die zerzauste Krähe auf seiner Schulter. Alle drei blicken finster zum Boot des Shalen hinüber.
«Sanesh, Liha, ich brauche eure Hilfe!»
Der Krieger und der Junge rücken näher, um Onishs Plan zu lauschen. Er ist einfach, aber nicht ungefährlich. Dánirah nickt den beiden Schattenwandlern aufmunternd zu.
«Das kann gelingen. Ich werde Delani sagen, was ihr vorhabt. Was denkst du, Liha?»
«Es ist unsere beste Chance. Gib mir einen Moment um die Bogenschützen einzuweisen. Darf ich deinen Bogen benutzen, Onish?»
«Das ist ein Jagdbogen, kein Kampfbogen.»
«Genau. Die Bogen meiner Männer sind für Reiter gedacht, deiner ist länger und hat die größere Reichweite. Das könnte ein entscheidender Vorteil sein.»
Wortlos reicht Onish dem Feldherrn von Kelèn seinen Bogen und den Köcher mit gefiederten Pfeilen. Er selber wird kaum Zeit finden, ihn zu benutzen.~ ~ ~
Während der Fischer sein Boot in Richtung Insel steuert, versucht Hajtash mit dem großen Fischernetz klarzukommen. Er will damit die Shahraní einfangen, die näher zum Land hin ins Meer fielen. Der Shalen war überrascht, dass sein Schutzbann sie zum Abstürzen brachte. Aber offensichtlich besitzen die jungen Drachen keine Abwehrkräfte gegen magische Angriffe. Sie fielen wie Steine aus dem Himmel, sobald er sie attackierte. Ungeduldig ruft er nach der Tochter des Fischers. Er hat ihren Namen vergessen. Das Mädchen zittert vor Angst. Trotzdem packt es wie befohlen die andere Seite des Netzes. Immer wieder wirft es ängstliche Blicke hinüber zum näherkommenden Schiff. Inzwischen gelang es dort drüben, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Hajtash lächelt abschätzig. Ihm steht genug Sonnenfeuer zur Verfügung, um das Schiff immer wieder in Brand zu setzen. Er will aber damit warten, bis die Distanz geringer wird. Wenn es ihm gelingt, mehrere Brände gleichzeitig zu legen, wird das Löschen schwieriger.
Wo nur die Shahraní bleiben? Inzwischen müssten sie die Stelle erreicht haben, an der sie hinunterfielen. Hajtash spürt ihre Präsenz deutlich, wenn auch verschleiert. Ist es möglich, dass die Drachen bewusstlos auf dem Meeresgrund liegen? Er zieht mehr Energie in seinen Körper, um die Verbindung zu verstärken. Die Shahraní befinden sich ganz in der Nähe. Wo sie nur stecken? Noch einmal folgt er seiner magischen Verbindung. Plötzlich spürt er genau, wo sie sind. Sein Mund verzieht sich zu einem schmalen Lächeln. Nur noch wenige Bootslängen trennen ihn vom ersten Drachen. Dessen Gedanken sind vernebelt, wohl vom magischen Bann des Shalen, vielleicht auch, weil er tief im Wasser liegt. Er ist reglos und wird bestimmt eine leichte Beute. Gespannt sucht Hajtash das kristallklare Wasser ab. Als sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, erkennt er den weißen Sand des Meeresgrunds ganz deutlich. Einzelne Fische flitzen durch das spärliche Seegras. Und dort vorn liegt ein goldgefleckter Drache mit ausgestreckten Flügeln am Grund!
Hajtash richtet sich auf, um seine Energiereserven zu füllen. Überrascht stellt er fest, dass die Sonne in einer dichten Wolkenbank verschwunden ist. Am Horizont ziehen sich schwarze Gewitterwolken zusammen.
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Onish | Wattys 2015 Gewinner
FantasyDer junge Schattenwandler Onish soll sein abgelegenes Tal verlassen, um in der weißen Stadt Lelai seine Ausbildung abzuschließen. Als er unterwegs der Ausreißerin Kej begegnet, ahnt er nicht, dass das Schicksal ihn und seine neue Bekannte bis ans nö...