Onish 1-19 Der Schattenwandler von der See

674 73 23
                                    

Der Schattenwandler von der See

Henaj führt ihre Begleiter über den Hof zu einer unauffälligen Seitenpforte des Ratsgebäudes. Das dunkle, beinahe schwarzem Holz, steht in deutlichem Kontrast zum polierten weißen Kalkstein der Mauen. Die Gardistin öffnet die Tür mit einem Schlüssel und verschließt sie hinter der kleinen Gruppe wieder. Onish beobachtet Mila, der dieses Vorgehen zu kennen scheint. Kej sieht sich interessiert in dem menschenleeren Gang um, der sie tief in den Gebäudekomplex hineinführt. Ihre Schritte hallen laut auf dem glattpolierten Steinboden. Die Decke wird von einem Gewölbe gebildet. Das einzige Licht fällt durch ein schmales, hochliegendes Fenster am Ende des Gangs. Zahlreiche verschlossene Türen aus dunklem Holz führen in angrenzende Räume. Ungefähr auf halbem Weg durch das Gebäude biegt Henaj links in ein Treppenhaus ab, um sie im oberen Stockwerk durch einen weiteren langen Flur zu führen. Schließlich öffnet sie mit ihrem Schlüssel eine der Türen und bittet ihre Besucher in einen hellen, schlicht ausgestatteten Raum. Um einen einfachen Tisch stehen fünf hölzerne Stühle, die Wände sind weiß gekalkt und kahl. Durch ein großes Fenster fällt Sonnenlicht in den Raum.
«Bitte wartet hier. Ich bin gleich zurück.»
Onish blickt zu Mila. Dieser wirkt nicht beunruhigt und Henaj strahlt keine Bedrohung aus. Deshalb setzt sich Onish wie Mila auf einen Stuhl, um zu warten. Kej tritt ans Fenster, aber das Glas ist milchig und erlaubt keinen Blick nach draußen. Enttäuscht setzt sie sich ebenfalls. Alle schweigen, es scheint unangebracht, in diesem Raum zu sprechen. Henaj hält Wort und kommt bald zurück. Sie drückt Mila ein kleines Paket in die Hand, das der Junge wortlos unter seinem Hemd versteckt. Dann wendet sie sich an Onish.
«Jakrim wird dich empfangen. Aber er hat nur kurz Zeit, verschwende sie nicht. Deine Freunde können hier auf Dich warten, oder ich bringe sie wieder nach draußen.»
Mila und Kej werfen sich einen kurzen Blick zu.
«Wir bleiben.»
«Gut, dann komm.»
Onish folgt der Gardistin über eine weitere Treppe in die zweite Etage. Hier stehen zwei Wächter in leichten Rüstungen. Sie nicken Henaj zu und lassen sie passieren. Die Böden sind in diesem Stockwerk mit Teppich ausgelegt und an den Wänden hängen Bilder. Onish vermutet, dass sie sich nun in einem Wohnbereich befinden. Henaj mustert ihn.
«Das sind die persönlichen Arbeitsräume der Ratsmitglieder. Es ist eine Ehre, hier empfangen zu werden.»
Onish nickt. Die Atmosphäre des Gebäudes bedrückt ihn. Er befindet sich zum ersten Mal in einem steinern Haus mit mehr als zwei Stockwerken. Langsam atmet er ein und aus, um seinen Herzschlag zu beruhigen. Henaj bemerkt zum Glück nichts von seiner Aufregung. Leise klopft sie an eine Türen und öffnet sie auf einen kaum hörbaren Zuruf von drinnen. Sie bedeutet Onish, einzutreten und schliesst die Tür hinter sich.
«Ratsmitglied Jakrim, das ist der Besucher, den Mila, Sohn von Tòmani mitbrachte.»
Jakrim steht von seinem Arbeitstisch auf. Er ist sehr alt, sein Gesicht von zahlreichen Falten durchzogen. Aber seine braunen Augen blinzeln freundlich. Langes weisses Haar fällt ihm über die Schultern. Jakrim trägt das traditionelle graue Gewand eines Schattenwandlers. Damit erinnert er Onish an seinen ersten Lehrer Antim. Der alte Mann mustert Onish eingehend. Dieser spürt, dass Jakrim ihn auch mit seinem ausgeprägten magischen Sinn studiert. Schließlich wendet er sich entschlossen an Henaj.
«Lass der Kommission für Fernhandel ausrichten, dass ich heute nicht an der Besprechung teilnehmen kann. Sag ihnen, ich müsse mich persönlich um einen dringenden Notfall kümmern.»
«Jawohl, Ratsmitglied Jakrim. Soll ich Mila und das Mädchen, das mit ihm gekommen ist, wegschicken?»
Jakrim betrachtet den Jungen nachdenklich.
«Nein, sieh zu, dass sie zu essen bekommen und lass sie in den hinteren Garten bringen. Wir werden später zu ihnen hinunter gehen.»
Henaj nickt und verlässt eilig den Raum, allerdings nicht, ohne Onish einen neugierigen Blick zuzuwerfen. Dieser bemerkt davon nichts. Seine Augen hängen an der hageren, hochaufgerichteten Gestalt Jakrims. Er spürt die grosse magische Ausstrahlung dieses Mannes, seine innere Ruhe und Ausgeglichenheit. Auch darin ähnelt Jakrim seinem alten Meister Antim. Er zuckt überrascht zusammen, als der Schattenwandler das Wort an ihn richtet.
«Nun, vielleicht sollten wir uns zuerst besser kennenlernen. Du hast einen weiten Weg zurückgelegt, um mich zu besuchen, junger Kelen.»
«Ich bin Onish aus Atara, Schüler von Antim und Dánan vom Berg. Dánan schickt mich zu dir, um meine Ausbildung abzuschließen.»
Jakrim hebt überrascht die Augenbrauen. Er bedeutet Onish, sich in einen gepolsterten Sessel zu setzen und nimmt ihm gegenüber Platz.
«Onish aus Atara. Ich wusste, dass Dánan in ihrem einsamen Tal einen jungen Schattenwandler ausbildet. Aber dass du inzwischen erwachsen bist, war mir unbekannt. Wie geht es Dánan?»
Onish berichtet kurz zusammengefasst von den Ereignissen, die ihn zum Verlassen seiner Heimat brachten. Jakrim ist ein guter Zuhörer. Er stellt nur Fragen, wenn sie zum Verständnis notwendig sind. Als Onish zum Schluss kommt, reibt er sich nachdenklich das glattrasierte Kinn.
«Dánirahs Träume sollte man immer ernst nehmen. Ich konnte in letzter Zeit gewisse Zeichen einer magischen Bedrohung beobachten. Allerdings scheint sie sich nicht bis nach Lellini auszudehnen. Ich kenne ihre Natur nicht. Aber vielleicht weißt du ja mehr? Du hast fast das ganze Land durchquert, um von Atara hierher zu reisen.»
Onish zuckt die Schultern. Es war eine lange Reise, aber eine spezielle magische Bedrohung nahm er nie wahr. Er beschließt, die Gelegenheit zu nutzen, um Jakrim von Kej und Sanesh zu erzählen. Obwohl er den Schattenwandler kaum kennt, ist er der einzige, der ihm vielleicht Rat geben kann. Jakrim hört sich die Geschichte aufmerksam an, das Kinn in die Hände gestützt. Diesmal stellt er keine Fragen. Zuletzt senkt Onish verunsichert den Blick auf seine Hände. Jakrims tiefes Lachen lässt ihn überrascht aufblicken.
«Dánan schickt dich zu mir, um deine Ausbildung abzuschließen. Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, das ich dir beibringen kann. Jeder Schattenwandler hat andere Stärken und Schwächen. Mir scheint, deine Begabung liegt darin, die magische Begabung anderer zu entdecken.»
«Ist das nicht Zufall? Ich empfange oft mehr von den Gefühlen und Wünschen anderer Menschen, als für mich gut ist. Aber ich hatte bisher nie den Eindruck, magische Begabungen speziell gut zu erkennen.»
«Nun, zusätzlich zu dem Kind, das Dánirah zu Dánan brachte, hast du in kurzer Zeit nicht nur diese Nirahn mit ihrer Musikmagie gefunden, sondern auch einen begabten Schattenwandler. Das sind mehr Nachwuchstalente, als ich in meinem ganzen Leben entdeckt habe.»
Onish lässt sich das durch den Kopf gehen. Vermutlich hat Jakrim recht. Er erinnert sich, dass Dánan sich darüber beklagte, wie selten begabte junge Schattenwandler sind. Die meisten sterben, bevor sie eine Ausbildung erhalten. Er selber, Miràn und Sanesh hatten großes Glück. Antims letzter Schüler vor Onish war A'shei, das ist bereits lange her.
«Wenn du keine eigenen Schüler hast, könntest du dich dann um Sanesh kümmern? Er ist sehr stark, aber ich verstehe seine Art der Magie nicht. Er kann das Wetter verändern, Gewitter entstehen lassen. Ich fürchte, dass er großen Schaden anrichtet, wenn er keine richtige Betreuung erhält.»
«Ich erfülle hier wichtige Aufgaben, Onish. Ich weiß nicht, ob daneben Zeit bleibt, zwei Schüler zu betreuen. Was genau sollte ich dir nach Dánans Wünschen beibringen?»
«Ich weiß nicht, Dánan hat sich nicht klar geäußert. Sie meinte, es sei Zeit, bei dir meine Ausbildung abzuschließen.»
Jakrim kann ein Lächeln über Onishs enttäuschten Gesichtsausdruck nicht unterdrücken. Er steht entschlossen auf und bedeutet dem Jungen, ihm zu folgen.
«Komm, ich möchte gerne deine Musikmagierin und diesen Sanesh kennenlernen. Ich kenne Dánan. Manchmal verrät sie nicht all ihre Beweggründe.»
Onish folgt dem Schattenwandler durch die Gänge des Ratsgebäudes. Sie nehmen einen anderen Weg, aber der Junge ist zu sehr in Gedanken vertieft, um darauf zu achten. Er rätselt über Jakrims letzte Bemerkung und fragt sich, was er von dem Schattenwandler halten soll. Er hat längst den Überblick verloren, in welchem Gebäudeflügel sie sich befinden, als Jakrim ihn durch eine schmale Pforte hinaus in einen Hof führt, an den ein Garten angrenzt. Onish atmet erleichtert auf, als er wieder unter freiem Himmel steht. Jakrim mustert ihn von der Seite.
«Du magst steinerne Häuser nicht?»
«Ich bin sie nicht gewohnt, genauso wenig wie große Menschenmengen.»
Jakrim nickt ernsthaft. Er führt Onish in den Garten. Eigentlich ist es eher ein Park, mit großen Grünflächen, unterteilt von gepflegten Blumenbeeten, beschnittenen Hecken und mächtigen Bäumen. Sie folgen einem gewundenen Kiespfad.
«Dass du Menschenmengen nicht magst, liegt an deiner Begabung. Ich selber hatte in deinem Alter ähnliche Probleme. Du musst lernen, dich abzuschirmen. Das ist nicht besonderes schwierig. Stell dir vor, dass du einen dichten Mantel aus Schattenmagie webst. Er soll unsichtbar sein und dich vollständig umschließen. Gestalte ihn so, dass er die Hitze der Sonne abhält. Komm, versuch es!»
Onish mustert den Schattenwandler skeptisch, folgt aber seinen Anweisungen. Aus dem Spiel der Schatten der Bäume auf dem Weg sammelt er Energie, um sie in einen Schutzbanns einzuleiten. Jakrim beobachtet ihn mit gerunzelter Stirn. Als der Junge soweit ist, lächelt er zufrieden.
«Sehr gut, du bist schnell. Nun veränderst du den Mantel so, dass er er nicht gegen Hitze wirkt, sondern fremde Emotionen von dir abhält. Kannst du dir das vorstellen?»
Onish bemüht sich, den Schutzbann umzuformen. Ein Lachen breitet sich auf seinem Gesicht aus, als es ihm gelingt. Jakrim schmunzelt.
«Siehst du? Wenn du einen bestimmten Bann nicht erwirken kannst, versuche einen anderen abzuwandeln. Ein guter Schattenwandler findet für solche Probleme immer eine Lösung. Es gehört Übung dazu, aber du hast noch viel Zeit, um zu lernen.»
«Viel Zeit? Wie meinst du das?»
Bevor Jakrim antworten kann, biegen Sie um eine Hecke. Da, auf einer Bank, sitzen Mila und Kej, in ein Gespräch vertieft. Der Junge springt auf, als er den Schattenwandler erkennt, um ihn stürmisch zu umarmen.
«Jakrim! Wie geht es dir?»
«Danke Mila, gut. Und wie geht es dir und deinen Eltern?»
Der blonde Junge beginnt sofort zu erzählen. Jakrim mustert unterdessen Kej. Diese zieht ihren Hut tiefer ins Gesicht, wie um sich zu verstecken. Onish schubst sie an und flüstert ihr zu, dem Schattenwandler gegenüber nicht unhöflich zu sein. Das Mädchen verzieht den Mund. Als Mila den Austausch bemerkt, unterbricht er seine Erzählung.
«Jakrim, das ist Kej, sie kommt aus Nirah.»
«Das sehe ich. Was bringt eine Nirahn so weit in den Norden?»
Kej zuckt verlegen die Schultern. Onish ist überrascht. Seine Begleiterin ist sonst nie um eine Antwort verlegen. Jakrim bedeutet seinen Besuchern, dem Weg weiter zu folgen. Bald erreichen sie dessen Ende bei einem kleinen Teich, der von mächtigen Bäumen beschattet wird. Jakrim weist auf eine Gruppe von großen Steinen.
«Setzt euch. Nun, Onish, zu deinen Fragen. Das wenige, was ich dir beibringen konnte, habe ich dir bereits gezeigt. Alles weitere wirst du selber herausfinden, wenn die Zeit reif ist. Du bist ein Schattenwandler und ich bin sicher, dass du in der Gilde deinen Platz findest.»
«Aber Dánan sagte, meine Ausbildung ...»
«Die ist soweit abgeschlossen, wie es überhaupt möglich ist, eine Ausbildung zu beenden. Dánan schickte dich auf diese Reise, um dir das zu zeigen. Dazu, und um mir den Bericht von Dánirahs Traum zu übermitteln. Leider kann ich diesen auch nicht deuten. Aber ich bin sicher, dass er ernst zu nehmen ist. Aber dazu später.»
Onish versucht, das Gesagte zu verarbeiten. Der Schattenwandler fixiert unterdessen Kej mit strengem Blick.
«Nun zu dir, junge Frau. Was führt dich von Nirah nach Lellini?»
Kej weiß, dass es keinen Ausweg gibt. Stockend beginnt sie, zu erzählen. Jakrim und Mila hören gespannt zu. Schließlich nickt der alte Schattenwandler. Er wirft Onish einen Blick zu. Der Junge vermutet, dass ihm das rothaarige Mädchen in Dánirahs Traum zu denken gibt. Aber Jakrim lässt sich nichts anmerken.
«So etwas dachte ich mir. Erzähl mir mehr über deine magische Begabung.»
Kej ist entsetzt. Vorwurfsvoll blickt sie Onish an. Aber Jakrim wehrt ab.
«Du strahlst deine Magie gerade sehr deutlich aus. Vielleicht kann dir Onish beibringen, wie du das verhindern kannst. Dazu musst du noch vieles lernen. Spielst du mir etwas vor?»
Zögernd und immer noch misstrauisch holt Kej ihre Flöte hervor. Sie spielt eine leise Melodie. Nach und nach entspannt sie sich, wird sicherer und legt mehr Gefühl in ihre Musik. Mila schließt die Augen und Jakrim lächelt zufrieden. Als Kej aufhört, wendet er sich an Onish.
«Deine Befürchtungen sind unbegründet. Aber ich glaube, das weißt du selbst. Du solltest Kej zeigen, wie sie mit ihrer Magie arbeiten kann. Sie benutzt eine andere Energiequelle als du, aber die Prinzipien bleiben gleich. Alles weitere wird die Zeit zeigen.»
«Du meinst, ich soll ihr Lehrer sein?»
«Hat sie dich nicht bereits darum gebeten?»
Onish senkt den Blick. Ist er wirklich bereit, eine solche Aufgabe zu übernehmen? Jakrim meint, seine Ausbildung sei abgeschlossen. Das bedeutet, er ist jetzt ein Schattenwandler und sollte beginnen, wie einer zu denken. Fragend blickt er Jakrim an. Der alte Magier nickt kaum merklich. Onish richtet sich auf versucht selbstbewusst zu wirken als, er Kej in die Augen sieht.
«Möchtest du, dass ich dir zeige, wie du deine Magie einsetzen kannst, Kej?»
«Gerne, wenn dir das recht ist.»
Jakrim ist mit der Antwort zufrieden.
«Sehr gut. Nun zum weiteren Vorgehen. Mila, dein Vater will nach Süden ziehen?»
«Ja, wir brechen morgen nach Kelen und Eshte auf. Ich habe deine Nachrichten bereits erhalten.»
«Gut. Und wo ist im Moment dieser junge Schattenwandler, von dem du erzählt hast, Onish?»
«Das Schiff seines Vaters liegt unten am Kai.»
Jakrim überlegt einen Moment und erläutert dann seinen Plan.

~ ~ ~

Delani blickt seinem jüngsten Sohn nach, der an der Hand des großen Fremden in Richtung Stadt davongeht. Was für Sanesh wohl das Beste ist, bricht ihm beinahe das Herz. Rihàn nimmt seine Hand, Tränen in den Augen. Kej legt ihr einen Arm um die Schultern. Sie weiß genau wie es ist, einen Bruder zu verlassen.
«Ich bin sicher, dass er zurückkommt. Jakrim kann ihm sehr vieles beibringen, so dass er nie wieder krank wird.»
Rihàn nickt und wischt sich die Augen aus. Akím wendet sich an Onish.
«Vielen Dank. Ich weiß nicht, wie du ein Ratsmitglied von Lelai überzeugen konntest, sich um Sanesh zu kümmern, aber dafür sind wir dir etwas schuldig.»
Onish schüttelt den Kopf. Er weiß, dass Jakrim als Schattenwandler verpflichtet ist, sich um den Nachwuchs der Gilde zu kümmern, so wie er selber auch. An ihm ist es nun, die Botschaft Jakrims  und den Bericht von Dánirahs Traum nach Süden zu tragen, auf eine abgelegene Burg im fernen Eshte. Tòmani wird unterdessen nach Penira ziehen, um mit dem Sonnenkönig Pentim zu sprechen. Er hat versprochen, für Kej und Onish Pferde zu besorgen, damit sie schneller vorankommen. Sie wollen am nächsten Morgen aufbrechen.
Delani unterbricht Onishs Gedankengänge mit einem Seufzen.
«Akím hat recht, wir stehen in eurer Schuld. Wenn alles stimmt, was Jakrim erzählt, ist es ein Wunder, das Sanesh noch lebt. Und nun hat er die Möglichkeit, seine Fähigkeiten richtig zu entwickeln. Werden wir euch zwei wiedersehen?»
«Ich weiß nicht, Delani. Tòmani besorgt uns Pferde, wir ziehen morgen wieder nach Süden, mit Botschaften für die Königin der Nacht. Ich hätte sehr gerne das Meer gesehen. Vielleicht komme ich ein anderes Mal dazu ...»
Sie verabschieden sich herzlich von ihren Freunden, um zu Tòmanis Lager zurückzukehren. Es wird bereits dunkel. Kej räuspert sich leise.
«Danke, dass ich bei dir bleiben darf.»
«Bist du sicher? Wolltest du nicht auch das Meer sehen? Du hättest es vielleicht besser bei Delani oder Tòmani. Der Weg nach Eshte ist lang und der Sommer geht bald zu Ende.»
«Ich komme aus den Bergen von Nirah, ich bin lange Winter gewohnt. Was ich wirklich will, ist bei dir bleiben und lernen, wie ich meine Magie einsetzen kann.»
Nachdenklich beobachtet Onish, wie im Lager der Händler die ersten Lichter aufleuchten. Diese eine Nacht wissen sie noch, wo sie schlafen können. Danach sind sie auf sich allein gestellt, er und seine neue Schülerin. Er ist am Ziel seiner Reise angekommen, nur um festzustellen, dass dies erst der Anfang ist.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt