Onish 1-16 Saneshs Talent

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Saneshs Talent

Liha lehnt sich auf seinem Stuhl vor und stützt das Kinn in die Hände. Die Sessel in Pentims Ratszimmer gehören in seinen Augen zu den unbequemeren des Palasts. Katim behauptete einst, Kerim, Pentims Großvater, habe dies absichtlich so eingerichtet, damit die Aufmerksamkeit der königlichen Berater garantiert sei und die Sitzungen kurz blieben. Vermutlich ist daran etwas Wahres. Liha fühlt sich hier auf jeden Fall stets an endlos lange Tage auf dem Pferderücken erinnert.
Pentims innerer Rat diskutiert zum wiederholten Mal die Optionen, die zur Kontrolle des neu aufblühenden Feuerkultes bestehen. Liha fröstelt immer noch, wenn er an sein morgendliches Erlebnis mit dem Priester denkt. Es fiel ihm damals nicht leicht, einen klaren Kopf zu bewahren und am nächsten Morgen verspürte er einen Drang, dem Ritual ein zweites Mal beizuwohnen. Deutlich fühlte er am eigenen Leib die Macht des Sonnenpriesters. Pentim war nicht erfreut, zu erfahren, das Mirims Heiler aktiv den Feuerkult aufleben lässt. Allerdings musste er zugeben, dass damit zu rechnen gewesen war. Der König traut sich aber nicht, den gefährlichen Mann verhaften zu lassen. Denn obwohl es seinem Sohn besser geht, ist dieser weiterhin auf die tägliche Behandlung durch Haitash angewiesen. Die Königin Fanlaita würde Ihrem Gemahl niemals verzeihen, wenn er den Retter ihres Sohnes schlecht behandeln würde.
Duwish, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt, drückt seine Befürchtungen aus.
«Es wird nicht lange dauern, bis er von der Königin verlangt, zusammen mit dem Thronerben an seinen Veranstaltungen teilzunehmen.»
Während Katim nachdenklich nickt, beobachtet Liha das Minenspiel seines Freundes Pentim. Auf dessen Gesicht zeichnet sich ungläubiges Entsetzen ab. Dann schüttelt der König den Kopf.
«Sie ist die Königin, er kann das nicht von ihr verlangen.»
«Er wird es subtiler angehen. Vermutlich beeinflusst er ihren Vater, oder er überzeugt die Königin, dass nur durch die Teilnahme an seinen Ritualen Mirims vollständige Heilung möglich ist. Er verfügt über Mittel, seine Ziele zu erreichen.»
Katims brüchige Stimme lässt keinen Zweifel zu. Liha befürchtet, dass der alte Berater recht hat, dass Pentim sich an Strohhalme klammert. Sein Heer und all seine Kriegserfahrungen nützen ihm wenig gegen diesen Feind. Duwish räuspert sich.
«Noch hat er nicht mit wirklich gefährlichen Ritualen und dem Aufhetzen der Menschen begonnen. Wir haben noch etwas Zeit. Vielleicht kann die Königin ihm klarmachen, dass öffentliche Auftritte nicht in Frage kommen?»
Alle Berater warten auf die Reaktion des Königs. Dieser runzelt die Stirn.
«Wenn Haitash ihren Vater beeinflusst, werde ich sie nicht davon abbringen können. Das ist ihre Schwäche. Aber sind wir überhaupt sicher, dass es dazu kommt? Vielleicht begnügt er sich mit den Morgenritualen, die Liha besuchte?»
«Ich habe nur eines besucht, und das war bereits zuviel. Es kostete mich große Anstrengung, die nächsten Tage fernzubleiben. Der Priester und seine Helfer beherrschen starke Magie. Wir dürfen sie nicht unterschätzen.»
Katim mustert Liha nachdenklich und wendet sich ein weiteres Mal an den König.
«Er wird sich nicht mit einfachen Ritualen begnügen. Das tun sie nie. Es geht hier um Macht, er wird nicht ruhen, bis er sein Ziel erreicht.»
«Und was ist sein Ziel?»
«Wenn ich die Schriften richtig interpretiere, wird er versuchen, Feuergötter ins Leben zu rufen. Dazu benötigt er Blutopfer. Er wird die Menschen aufhetzen und deine Position bedrohen, Pentim. Duwish hat recht, noch haben wir Zeit. Aber sie läuft uns unweigerlich davon.»

~ ~ ~

Onish liegt im Schatten des Segels auf den Decksplanken und versucht zu schlafen. Der Rhythmus der Schiffsreise ist für ihn noch ungewohnt. Er verbrachte die halbe Nacht am Ruder bei Delani, der ihm beibrachte, wie das Schiff gesteuert wird. Gegen Morgen ließ der Wind nach, wie bereits in der vorigen Nacht, und die Fahrt verlangsamte sich. Delani meint, das hänge mit der Topographie zusammen. Tagsüber erwärmt sich das höher gelegene, trockene Land Inoiras östlich des Flusses stärker als das Sumpfland von Lellini westlich des Haon. Dieses speichert dafür die Wärme länger. Dadurch entsteht bei schönem Wetter die Abendbrise, die Delani so gut als möglich ausnutzen will, bevor eine Nordwindlage das Vorankommen für das schwere Frachtschiff fast unmöglich macht.
Jetzt steht Rihàn am Ruder, während sich Kej in der kleinen Bordküche nützlich macht. Delani schläft in seiner Kajüte und Akím ist mit dem Sortieren und Reparieren von Tauwerk beschäftigt. Es ist bereits ihr zweiter Tag an Bord und Onish ist zuversichtlich, dass sie Lelai zügig näher kommen,. Gestern verbrachte er viel Zeit am Bett des kranken Sanesh. Er zählt zehn Sommer und sollte eigentlich fröhlich an Deck mithelfen. Statt dessen liegt er bleich und mit eingefallenen Wangen in seiner Koje. Onish glaubt zu wissen, was mit dem Jungen los ist. Aber noch ist er nicht sicher, wie er ihm helfen kann und vor allem, wie Delani seine Diagnose aufnehmen wird. Unruhig wälzt der junge Schattenwandler sich auf die andere Seite. Wenigstens schläft Sanesh ruhig und traumlos. Onish nimmt sich vor, mit Delani zu sprechen, sobald dieser an Deck kommt. Endlich fällt er in einen leichten Schlaf.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt