Onish 3-17 Eine Tasse Tee

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Eine Tasse Tee

Liha steigt mit steifen Gliedern aus dem Sattel. Die heutige Etappe war lang und setzte sogar dem alten Krieger zu. Der Rhythmus der Reise wird inzwischen einzig und allein von der Lage der Wasserstellen bestimmt. Während er seinem erschöpften Pferd den Sattel abnimmt, beobachtet der Kommandant verstohlen seine Männer. Einige können sich kaum mehr auf den Beinen halten. Trotzdem kümmern alle sich zunächst um ihre Tiere. Das ist gut, es bedeutet, dass ihre Moral noch nicht zerrüttet ist. Einer nach dem anderen führt sein Pferd zu der Wasserstelle, die von einem Gürtel aus grünen Pflanzen und üppigen Bäumen umgeben ist. Liha kennt diese Sorte Pflanzen kaum. Er reiste bisher nur selten nach Norden und noch niemals durch die Wüste.
Die Gegend ist eindrücklich, aber einsam. Weiter im Süden begegneten sie ab und zu Menschen, die ihre Herden durch die Steppe führten. Seit einigen Tagen durchquerten sie nur noch trostlose Ebenen aus Geröll und Sand. Die üppige Vegetation rings um die Wasserstelle ist eine wohltuende Abwechslung. Schon bald sind erste Scherzworte zu hören. Liha ist beruhigt. Solange die Krieger scherzen, werden sie durchhalten. Er muss ein Lachen unterdrücken, als einer der Veteranen trocken bemerkt, im letzten Winter in Sellei hätte er etwas von der hier angestauten Wärme vertragen können. Die meisten dieser Männer waren tatsächlich im vergangenen Winter bei Hajtashs Verfolgung dabei. Liha weiß, dass er sich auf sie unter allen Umständen verlassen kann. Zu den wenigen Neulingen in der Gruppe gehören die beiden Fährtenleser, die er als Ersatz für Berim bestimmte. Sie machen ihre Aufgabe gut, Liha kann sich nicht über sie beklagen. Aber er vermisst Berims stille Freundschaft. Sein Stellvertreter ist Kirem, ein schweigsamer alter Krieger der Königsgarde, der meist ein mürrisches Gesicht macht. Liha kennt ihn von verschiedenen Feldzügen her und schätzt seinen gesunden Menschenverstand. Er beobachtet, wie Kirem Numesh, dem jüngsten Mitglied der Truppe, aufmunternd auf die Schulter klopft und ihm dem Sattel abnimmt. Tatsächlich ist der Junge kurz vor dem Zusammenbruch. Kirem wirft seinem Kommandanten einen kurzen Blick zu, bevor er Numesh in ein Gespräch verwickelt und zum Wasser führt. Liha überlässt dem Veteranen die Betreuung, wohlwissend dass es dem jungen Krieger peinlich wäre, seine Schwäche vor ihm einzugestehen. Stattdessen nimmt er sich Zeit, einige Schritte in die Wüste hinauszugehen. Es tut gut, sich nach dem langen Ritt die Beine zu vertreten und seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während seine Männer das Lager aufbauen. Er weiß, dass sie es schätzen, wenn er ihnen dabei nicht im Weg steht. Zu helfen verbietet ihm sein Rang.
Obwohl er den Respekt und die Achtung seiner Männer besitzt, sehnt sich Liha manchmal nach ihrer Kameradschaft. Aber heute verdrängt er solche Gedanken. Der Abend ist zu schön, um ihn nicht in vollen Zügen zu genießen. Ein sanfter Wind streicht über den heißen Sand. Im Westen reflektieren langgezogene Wolken orangerot und golden das letzte Licht der Sonne, die blutrot in der Dünenlandschaft versinkt. Sofort wird es kühler. Liha verschränkt fröstelnd die Arme und wendet sich zum Lager zurück. Am Himmel leuchten die ersten Sterne. Ein Feuer flackert einladend und über den Köpfen der darum herum sitzenden Krieger kräuselt sich der Rauch ihrer Tabakspfeifen. Numesh sitzt neben Kirem und hat wieder ein Lächeln im Gesicht, während er den maßlosen Übertreibungen eines Kameraden lauscht. Liha kennt die Geschichte. Er selber schickte den damals unerfahrenen Jungen auf die Reise, die ihn wegen eines unerwarteten Hochwassers am Keli beinahe das Leben kostete. Der Mann bewies Erfindungsgeist und Mut, Eigenschaften, die ihm Lihas Aufmerksamkeit und eine Beförderung sicherten. Der Krieger lächelt dem Kommandanten zu. Liha nickt und setzt sich zwischen seine Männer, um scheinbar interessiert der Geschichte zu folgen. Er hütet sich, den Erzähler zu unterbrechen oder zu korrigieren. Aus Erfahrung weiß er, dass diese Anekdote immer geeignet ist, die Männer zum Lachen zu bringen und von den anstehenden Strapazen abzulenken.

~ ~ ~

Delani steuert sein Schiff geschickt durch die größer werdenden Wellen nach Westen. Sie verließen den Seehafen von Lejit bei Sonnenuntergang mit auslaufender Flut. Inzwischen ist es beinahe dunkel und Onish bewundert die Fähigkeit des Schiffers, sich an dem kleiner werdenden Leuchtfeuer von Lejit zu orientieren und einen Kurs zu halten, der sie ins offene Meer hinausführt.
Der kräftige Wind, der ihnen tagelang zu einer schnellen Fahrt nach Norden verhalf, hat deutlich nachgelassen. Trotzdem sind sie zügig unterwegs. Rihàn, Kej und Sanesh stehen plaudernd an der Reling und beobachten die Krähe, die ungeduldig auf dem schwankenden Deck herumhüpft. Akim leistet Onish und dem Schiffer beim Ruder Gesellschaft, Talisha schläft an ihrem Lieblingsplatz vor dem Mast. Sie kann sich für Schiffsreisen immer noch nicht begeistern. Daj und Hama blieben in Lelai in den Ställen des Palastes zurück. Delani wollte die Pferde nicht aufs offene Meer mitnehmen und Jakrim bot großzügig an, sich um sie zu kümmern.
Am meisten überrascht Onish immer noch, dass Dánirah sie begleitet. Die Tanna steht im Bug des Schiffes, wo der Wind an ihrem langen Haar und ihren dunklen Röcken reißt. Sie ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Der Schattenwandler nimmt an, dass sie meditiert. Er vermutet, dass sie letzte Nacht einen ihrer Träume hatte. Aber bis jetzt wollte sie nicht darüber reden. Onish verzichtet darauf, sie auf den Traum anzusprechen. Er ist sicher, dass sie die Freunde informieren wird, sobald sie dazu bereit ist. Delani wirft einen Blick zum Horizont und in die Segel.
«Ich denke, ihr solltet euch alle hinlegen. Ich werde das Boot steuern, bis wir von den Untiefen frei sind, Akim. Dann kannst du mich zusammen mit Kej ablösen. Onish und Rihàn sollen die Morgenwache übernehmen.»
«Ja, machen wir. Sanesh kann bei dir bleiben und uns wecken, falls du uns brauchst.»
«Gut. Sagst du bitte Dánirah Bescheid, Onish? Es macht mir Angst, wenn sie nachts allein dort vorne steht.»
Onish macht sich wortlos zum Bug auf. Das Schiff bewegt sich deutlich stärker als auf dem Fluss und er muss sich immer wieder festhalten. Beinahe wird ihm von den unvorhersehbaren Bewegungen übel. Dánirah steht entspannt an der Reling. Sie gleicht die Bewegungen der Wellen geschickt mit ihren Beinen aus. Die Tanna dreht Onish das Gesicht zu, als er näherkommt.
«Es ist lange her, dass ich übers Meer gefahren bin. Ich vergaß beinahe seine unberührbare Schönheit.»
«Ich habe das Meer heute zum ersten Mal gesehen. Es macht mir ein wenig Angst.»
«Du bist der Schattenwandler vom Weg, Onish. Das Meer ist nicht dein Element. Aber Angst brauchst du nicht zu haben. Dies ist ein ausgezeichnetes Schiff und Delani kann damit umgehen.»
«Ich weiß. Trotzdem bittet er uns, nach hinten zu kommen und zu schlafen.»
Dánirah nickt und folgt Onish zurück ins Heck des Schiffes. Aber statt sich in die Kajüte zurückzuziehen, die Delani ihr anbietet, sucht sie an Deck einen Platz, um ihre Decke auszurollen. Rihàn, Kej und Akim sind bereits unter Deck verschwunden, Sanesh und sein Vater unterhalten sich leise beim Ruderstand. Onish beschließt, es Dánirah gleich zu tun. Schon beim Gedanken daran, unter Deck zu gehen und die stickige Luft in der Kabine zu atmen, rebelliert sein angeschlagener Magen. Deshalb streckt er sich auf den Decksplanken neben Talisha aus, die ihm sofort den Kopf auf die Schulter legt. Er blickt hinauf in den endlosen Sternenhimmel und lässt sich von den Bootsbewegungen in den Schlaf lullen.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt