Onish 3-16 Die Inseln von Tansha

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Die Inseln von Tansha

Hajtash streicht sich eine Strähne seines grauen Haars hinter das linke Ohr. Er trägt es offen, wie bei den Feuermagiern üblich, obwohl das beim Reiten unpraktisch ist. vermutlich geht diese Tradition auf den Wunsch zurück, sich von den verhassten Schattenwandlern zu unterscheiden. Der Shalen lässt den Gedanken fallen und wirft einen Blick zur Sonne, die im Zenith steht.
Hajtash genießt die langen, sonnigen Tage in der nördlichen Steppe. Hier gibt es keinen Mangel an magischer Energie. Während seine Begleiter in der Sonne erbarmungslos schwitzen, blüht er förmlich auf. Inzwischen spürt er klar die Richtung, in der sich die jungen Shahraní befinden. Er ist versucht, den Weg zu verlassen und direkt auf sein Ziel zuzusteuern. Aber sowohl die Pferde wie auch seine Begleiter sind in dieser dürren Landschaft auf die spärlichen Wasserstellen angewiesen. Er ist überzeugt, dass er selber hier viele Tage lang überleben kann, indem er einzig von der Energie der Sonne zehrt. Trinkwasser scheint ihm im Moment unter dem Einfluss von soviel magischer Energie überflüssig. Allerdings bleib der Rest eines Zweifels, ob er tatsächlich längere Zeit ohne Wasser überleben würde. Er weiß sehr wohl, dass unbeschränkter Zugriff auf magische Energie gefährliche Illusionen verursachen und zur Selbstüberschätzung verleiten kann. Deshalb hält er sich weiterhin an den Weg, der glücklicherweise fast direkt nach Norden und in die Richtung der Shahraní führt.
Die vier Söldner ertragen die Hitze besser als die Feuerkultanhänger, die das gemäßigte Klima von Penira gewohnt sind. Immer wieder muss der Shalen das Tempo drosseln, damit die erschöpften Männer, Frauen und Pferde wieder aufholen können. Er würde am liebsten Energie an seine Begleiter und die Tiere abgeben. Aber die Erfahrung mit Tejlish im vergangenen Winter lässt ihn davon absehen. Er kann sich nicht leisten, eines der Pferde zu verlieren und damit die Reisegeschwindigkeit weiter herabzusetzen. Mit einem resignierten Seufzen treibt er sein erschöpftes Pferd an. Bis zur nächsten Wasserstelle ist es noch weit.

~ ~ ~

Onish springt mit der ordentlich vorbereiteten Leine an Land und belegt sie geschickt an einem Poller. Rihàn nimmt die Trosse im richtigen Moment an Bord dicht und grinst ihm zu. Kurz darauf ist das Schiff sicher vertäut. Akim zurrt das Ruder fest. Er ist zufrieden.
«Bist du sicher, dass du nicht bei uns anheuern möchtest, Onish? Das war ein ausnehmend elegantes Anlegemanöver!»
Onish schüttelt lachend den Kopf. Akim und Rihàn versuchen seit Tagen scherzhaft, ihre Gäste zum Bleiben zu überreden. Dabei wissen die Geschwister genau, dass ihre Freunde dringend den Schattenwandler Jakrim aufsuchen müssen. Seit Kejs Unterhaltung mit der Sturmkrähe ist allen klar, dass der günstige Wind sie nicht zufällig in Rekordzeit von Haonjit nach Lelai brachte. Kej schickte die Krähe bereits vor zwei Tagen zurück zu Sanesh und Jakrim, um ihre bevorstehende Ankunft anzukünden. Onish lächelt immer noch beim Gedanken an den zerzausten Vogel, der mit schräg gelegtem Kopf und intelligenten Knopfaugen Kejs Flöte lauschte.

Der Gehilfe des Hafenmeisters tritt zum Schiff. Delani kennt den alten Mann schon lange und beginnt, mit ihm um die Gebühren für den Liegeplatz zu feilschen. Onish und Kej helfen unterdessen Akim und Rihàn mit der Ladung. Obwohl Onish so rasch wie möglich Jakrim aufsuchen will, fühlt er sich Delani gegenüber verpflichtet, der ihnen diese schnelle Reise ermöglichte. Zum Glück sind die Formalitäten bald erledigt. Der Eigentümer der Fracht schickt einen Vertreter vorbei, der sich um die Waren kümmert, sobald sie auf dem Pier bereitstehen. Sie müssen nur das Ausladen besorgen.
Onish wischt sich den Schweiß von der Stirn und sieht sich nach Kej um. Diese hilft Rihàn beim Schließen der Ladeluke. Die beiden jungen Frauen arbeiten so effizient Hand in Hand, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Von ihrer ursprünglichen Abneigung gegeneinander ist nichts mehr zu spüren. Akim klopft Onish kameradschaftlich auf die Schulter. Delani nickt dem jungen Schattenwandler zu.
«Wir sind fertig. Wenn du möchtest, kannst du nun den Magier besuchen.»
«Ja, ich glaube es ist das Beste, wenn wir losziehen. Obwohl ich keine Ahnung habe, wie wir in den Palast und bis zu Jakrim kommen. Das letzte Mal hatten wir Glück, dass Mila uns den richtigen Personen vorstellte.»
Akim zuckt die Schultern. Er wirft seinem Vater einen fragenden Blick zu.
«Vielleicht sollte ich mitgehen und nach Sanesh fragen, als Familienmitglied.»
Bevor Onish auf das Angebot eingehen kann, lässt Rihàns überraschter Aufschrei alle aufblicken.
«Sanesh!»
Tatsächlich, über den Pier läuft Sanesh mit strahlendem Gesicht auf das Schiff zu. Rihàn schwingt sich mit einem Sprung über die Reling und schließt den Bruder in die Arme. Delani und Akim zögern nicht, ihrem Beispiel zu folgen. Onish und Kej bleiben allein an Bord zurück, während sich die lange getrennte Familie herzlich begrüßt. Da bemerkt Onish die hochaufgerichtete Gestalt Jakrims, der einige Schritte entfernt mit einem zufriedenen Lächeln die Szene beobachtet. Der junge Schattenwandler wendet sich Kej zu. Ihr Blick ruht auf dem zerzausten schwarzen Vogel, der laut krächzend über dem Hafen seine Kreise zieht.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt