Onish 2-1 Ratsversammlung

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Zweites Buch

Licht und Schatten

Ratsversammlung

An diesem Abend steigen dichte Herbstnebel aus dem Tal auf und filtern wie Rauchschwaden durch die dunklen Tannen. Silàn steht auf der Zinne ihres Burgturms und beobachtet, wie die Sonne im Westen hinter den Bergen von Eshte versinkt. Es ist kühl und sie zieht ihren Mantel enger um die Schultern. Die Wolken glühen orange und verfärben sich im verblassenden Licht von blutrot zu grau. Endlich zeichnen sich gegen den dunkler werdenden Himmel zwei Schatten ab. Die Königin beobachtet bewundernd, wie sich mit mächtigen und eleganten Flügelschlägen zwei ihrer wichtigsten Gäste nähern. Rasche Schritte von der Turmtreppe her lassen Silàn einen Blick in diese Richtung werfen. A'shei tritt an ihre Seite und legt ihr einen Arm um die Schultern. Sie lächelt ihrem Partner zu, wie immer fasziniert davon, mit welcher Sicherheit der Schattenwandler spürt, dass seine Freundin Noak sich nähert.
«Ist alles für das Treffen bereit?»
«Fjenis meint ja, soweit überhaupt möglich. Hamain ließ den Hof des Mondbaums vorbereiten, wie du vorgeschlagen hast. Nun müssen nur noch unsere Gäste eintreffen.»
«Keine Angst, sie werden kommen.»
Zusammen beobachten sie, wie die beiden Drachenschatten sich rasch nähern. Die riesigen Hrankaedí wirken für normale Augen wie Schatten am nächtlichen Himmel. Es braucht eine besondere Begabung, ihre wirkliche Form zu erkennen. Aber darüber macht sich Silàn keine Gedanken. Ihre silbernen Augen leuchten freudig, als ihre alten Freunde zur Landung auf dem Turm ansetzen.
«Noak, Ranoz. Herzlich willkommen!»
Mit raschen Schritten tritt sie zu ihrem Drachenfreund und legt ihm die Arme um den schuppigen Hals. A'shei begrüßt unterdessen Noak genau so herzlich. Aber dann wird Silàn ernst.
«Ich bin froh, dass ihr da seid. Es ist Zeit, zu beraten, was wir tun. Die magische Aktivität im Reich der Sonne nimmt von Tag zu Tag zu, und ich befürchte, dass nichts Gutes dahintersteckt.»

Die mächtigen Flügelschläge der beiden Drachenschatten lassen das Laub des Mondbaums rauschen, als sie sich geschickt auf dem freien Platz im obersten Burghof niederlassen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie hier landen. Silàn und A'shei lassen sich mit leuchtenden Silberaugen von den Rücken ihrer Freunde gleiten. Es ist immer ein besonderes Erlebnis, Hrankaedí zu reiten, auch nach so langer Zeit und für die kurze Strecke vom Turm hinunter in den Hof des Mondbaums. Mit einem freundlichen Schnauben begrüßt Salik die Besucher. Ranoz bestimmte den jungen Hrankae damals, als Silàn den Samen des Mondbaums Silfanu pflanzte, zu dessen Hüter. Seitdem nimmt Salik dieses Amt mit großem Ernst und Würde wahr. Er verbringt die Tage in den Höhlen unter Silita-Suan und zieht in der Nacht seine Kreise am Himmel um die Burg. A'shei weiß, dass sich die Menschen unten im Tal Legenden erzählen von den Drachen, die die Burg der Königin der Nacht bewachen.
Der Vollmond wirft sein silbernes Licht in den Burghof. Im Schatten unter dem Mondbaum liegt zusammengerollt eine helle Gestalt. Sie hebt den Kopf und goldene Augen blinzeln den Neuankömmlingen entgegen. Silàn begrüßt ihre alte Verbündete freudig.
«Talisha! Bist du schon lange hier? Ich habe gar nicht bemerkt, dass du angekommen bist.»
‹Silàn. Ich grüße die Königin. Fjenis hat mich heraufgeführt. Er macht Fortschritte, er strahlte heute fast gar keine Angst aus.›
Talisha benutzt wie üblich ihre Gedankenstimme. Silàn lächelt über die Bemerkung ihrer Wolfsfreundin und sogar Ranoz lässt ein amüsiertes Schnauben hören. Die Wölfin und die beiden Drachenschatten haben sich längst aneinander gewöhnt und zählen zu den engsten Vertrauten der Königin der Nacht. Silàn genießt es, von all ihren alten Freunden umgeben zu sein. Sie wird aber rasch wieder ernst. Dass ihre Vertrauten heute hier versammelt sind, hat seinen Grund. Sie ließ zum Rat der Wesen der Nacht rufen. Mit dem Einbruch der Dunkelheit und dem Aufgang des Mondes kann es nicht mehr lange dauern, bis die anderen Ratsmitglieder eintreffen.

Silmiras Auftritt ist wie immer spektakulär. Im Mondlicht bilden sich einige tanzende Funken, die sich vermehren und zu einem Wirbel zusammenziehen, bis schließlich die silberne Gestalt des Mondlichts zu erkennen ist. Die Seherin der Nsilí trägt wie immer lange fließende Gewänder, die bis zu ihren zierlichen, bloßen Füßen reichen. Ihr silbernes Haar steht in alle Richtungen und lässt Silmira zusammen mit dem breiten Lachen in ihrem kantigen Gesicht und den großen Silberaugen sehr jugendlich wirken. Aber Silàn weiß, dass sie im gleichen Jahr geboren wurde wie ihre Mutter. Sie begrüßt ihre Patentante herzlich. An Silmiras Seite nimmt Ihraj Gestalt an, der Anführer der Nsilí aus Gerin. Kurz darauf wirbeln mit einem leisen Glockenläuten einige handtellergroße Kugeln über die Hofmauer. Sie scheinen von innen in allen Regenbogenfarben zu leuchten. Silàn streckt ihnen eine offene Hand entgegen und eine der Kugeln lässt sich sanft auf ihrer Handfläche nieder. Ihre Stimme ist nur für die Königin zu hören.
‹Silàn ruft zum Rat. Xylin sind gekommen. Seltsame Magie bewegt sich unter der Sonne.›
«Die Xylin haben richtig beobachtet. Etwas Ungewöhnliches geht im Reich der Sonne vor. Deshalb sind wir heute hier versammelt. Aber lasst uns noch ein wenig warten, ich habe auch die Kaedin und die Ijenkaedí zur heutigen Versammlung gebeten.»
Bevor jemand etwas erwidern kann, betritt ein blonder Mann den oberen Burghof. A'shei lächelt seinem alten Freund Fjenis aufmunternd zu. Es gehört Mut dazu, als Mensch so vielen Wesen der Nacht gegenüberzutreten. Aber Fjenis und seine Frau Hamain führen seit langem den Haushalt für Silàn und A'shei, sie sind sich inzwischen einiges gewohnt. Fjenis nickt den Hrankaedí zu und bestaunt einen Moment lang die beiden Nsilí, bevor er gefasst das Wort an die Königin richtet.
«Silàn, soeben hat eine Besucherin die Burg erreicht. Sie sagt, dass sie dich in einer wichtigen Angelegenheit sprechen muss. Ihr Name ist Dánirah.»
Silàns Augen weiten sich und sie wirft A'shei einen überraschten Blick zu. Die Wahrträumerin der Tannarí ist für sie beide eine alte Bekannte. Allerdings haben sie seit Jahren nichts von ihr gehört. Dass Dánirah ausgerechnet jetzt auftaucht, kann kein Zufall sein. Silàn wendet sich entschlossen an Fjenis
«Sei doch so gut und bring Dánirah hierher. Ich bin sicher, dass sie etwas zu unserer Versammlung beizutragen hat.»
Fjenis nickt und macht sich mit einem letzten Blick auf die beiden Mondlichter auf den Weg. A'shei blickt seinem Freund nachdenklich hinterher. Der Kelen stammt ursprünglich aus Penira, der Hauptstadt des Sonnenkönigs. Dort lernte A'shei ihn kennen, als er versuchte, Silàn zu befreien, die von der Königin der Dunkelheit gefangengehalten wurde. Fjenis und seine Freunde halfen ihm damals mehr als einmal und schließlich zogen der junge Kelen und seine Frau Hamain mit Silàn und A'shei nach Eshte, um die verfallene Burg Silita-Suan wieder aufzubauen. Die beiden sind deshalb für die Königin der Nacht und ihren Partner viel mehr als nur Angestellte. Abgesehen davon ist ihr ältester Sohn nur wenige Monde älter als Tanàn, die Tochter von Silàn und A'shei. Ihre Tochter wurde im selben Sommer geboren wie Tanàns Bruder He'sha. Heute Abend passt Hamain auf alle vier Kinder auf, wie immer, wenn Geschäfte der Nacht die Königin beanspruchen.
A'shei wird durch die Ankunft der Kaedin aus seinen Gedanken gerissen. Die kleinen Dunkelheiten lieben das Klima von Eshte nicht. Trotzdem halten sie ständigen Kontakt mit Silàn und haben sich unten im Tal in einem Sumpfgebiet einen Unterschlupf eingerichtet. Da sie nicht fliegen können wie die Hrankaedí oder Xylin, bewegen sie sich verhältnismäßig langsam fort. Ähnliches gilt für die Ijenkaedí, die großen Dunkelheiten. Sie sind die ältesten Wesen der Nacht und leben sehr zurückgezogen. Sie sagten Silàn aber vor langer Zeit ihre Treue zu und stehen unverrückbar zu diesem Schwur.
Drei Kaedin bilden heute die Delegation. Wie die Xylin und die Hrankaedí ziehen sie es vor, die Burg nicht durch für Menschen gebaute Tore zu betreten. Stattdessen klettern sie wie Flecken konzentrierter Dunkelheit über die Burgmauer. Noch während sie von Silàn begrüßt werden, folgt ihnen auf dem gleichen Weg ein Ijenkae. Die große Dunkelheit ist für alle nur als dichter schwarzer Nebel sichtbar. Aber Silàn erkennt dieses spezielle Ijenkae, das ihr vor Jahren im Kampf gegen die Usurpatorin Femolai zur Seite stand. Noak, die sich am besten mit den großen Dunkelheiten verständigen kann, begrüßt es mit einem Gedankenbild, das vom Ijenkae freundlich erwidert wird. Nun sind alle Vertreter der Wesen der Nacht versammelt und der Rat könnte beginnen. Aber Silàn wartet auf den unangemeldeten Gast. Es dauert nicht lange, bis Fjenis die Tanna in den Hof des Mondbaums führt.
«Dánirah, herzlich willkommen. Was führt die Wahrträumerin der Tannarí ins Silitatal?»
«Silàn, A'shei, Freunde der Nacht. Verzeiht, wenn ich eure Versammlung störe. Ich bringe Nachricht von Dánan in Atara.»
Silàn bedeutet Dánirah und Fjenis, sich zu den anderen auf einige große Steine beim Mondbaum zu setzen. Fjenis blickt sich unsicher um und folgt der Aufforderung erst, als A'shei ihm aufmunternd zunickt. Silàn bleibt als einzige stehen.
«Meine Freunde. Es freut mich, euch alle hier zu sehen. Aber dieses Treffen hat einen Grund, der mich beunruhigt. Die meisten von euch spüren Verschiebungen im magischen Gleichgewicht. Bereits seit einigen Monden wirkt jemand große Magie. Vor einem halben Mond wurde dann auf einen Schlag eine enorme Menge magischer Energie freigesetzt. Ich weiß, dass es sich nicht um Magie der Nacht handelt. A'shei ist sich sicher, dass keine Schattenmagie verwendet wurde. Wir gehen inzwischen davon aus, dass ein unbekannter Magier große Mengen von Sonnen- oder Feuermagie mobilisiert. Das ist etwas, was nicht vorkam, seit Pentims Großvater Kerim den Feuerkult verbot. Weiß jemand von euch mehr über diese Ereignisse?»
Die Wesen der Nacht bleiben stumm. Schließlich ergreift Ranoz, der Älteste der Drachenschatten, mit rumpelnder Stimme das Wort.
«Ahranan. Was du sagst, können wir alle bestätigen. Vor einem halben Mond wurde große Magie von einer Art, die uns unbekannt ist, geübt. Irgendetwas wurde damals freigesetzt. Vielleicht weiß unser Gast mehr zu berichten?»
Alle Blicke richten sich auf Dánirah. Die Tanna streicht sich eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat. Ihre Armringe klimpern leise.
«Meine Königin, mein König. Ich bringe Grüße von Dánan vom Berg, die sich über die gleichen Ereignisse Sorgen macht. Und ich bringe zwei Träume, die ich nicht zu deuten weiß. Der erste kam bereits vor vielen Monden und war voller Feuer. Ich sah ein blondes Sonnenkind, einen Jungen, der scheinbar von Flammen verzehrt wurde. Er schrie, als wäre er in einem Feuer in unendlicher Qual gefangen, aber die Flammen verbrannten ihn nicht wirklich. Danach war ich auf einem Platz in einer Stadt, wohl in Penira. Zahllose aufgebrachte Menschen warfen etwas in ein großes Feuer. Das nächste Traumbild schien mir freundlicher. Ein Mädchen mit grünen Augen und flammend rotem Haar saß an einem Feuer im Schnee und lachte fröhlich. Danach zeigte mir der Traum kahle Berge, aus deren Felsen Flammensäulen stiegen. Und zuletzt sah ich Drachen vor einem feuerroten Himmel. Ich konnte diesen Traum nicht deuten und beschloss deshalb, Dánan um Rat zu fragen. Wir hofften, dass ich in Penira eine Erklärung finden würde. Dánans Schüler Onish zog unterdessen nach Norden, um Jakrim in Lelai von meinem Traum zu berichten. In Penira hörte ich, dass tatsächlich wieder ein Feuermeister, ein Shalen, dort aufgetaucht ist. Es gibt auch Gerüchte, dass Pentim das Verbot des Feuerkults aufgehoben habe.»
A'shei unterbricht Dánirah mit einer Handbewegung.
«Das ist richtig. Ich habe die Information von Liha, und Pentim selbst bestätigte sie. Er war allerdings der Meinung, ein einzelner Feuermagier könne nicht viel Schaden anrichten. Der König sah sich gezwungen, das Verbot aufzuheben, weil nur der betreffende Magier seinem kranken Sohn helfen konnte.»
«Fjenis, wie alt müsste Pentims Sohn jetzt sein?»
Der Kelen lässt sich Silàns Frage durch den Kopf gehen, bevor er meint, der junge Mirim sei jetzt etwas über sechs Sommer alt. Dánirah nickt.
«Das bestätigt den ersten Teil meines Traums. Der Keleni-Junge im Feuer ist Pentims Sohn!»
«Ja, das könnte sein. Hast du in Penira herausgefunden, was der zweite Teil des Traums bedeutet?»
«Nein, ich hörte nur Gerüchte. Es schien mir aber wichtig, euch davon zu berichten. Ich wusste nicht, dass A'shei bereits mit Pentim in Kontakt stand. Deshalb zog ich bald wieder los. Es gibt in meinem Traum vieles, was ich nicht verstehe. Da ist zum Beispiel diese rothaarige Nirahn. Ich weiß nicht, welche Rolle sie spielt, aber ich bin sicher, dass sie wichtig ist.»
‹Ich habe das Mädchen gesehen. Sie ist tatsächlich Nirahn, sie heißt Kejlàn ta-Nouillac und ist mit Onish unterwegs.›
Überrascht richten sich die Blicke aller, die Talisha verstehen können, auf die Wölfin. Silàn übersetzt für die anderen. Dánirah vergegenwärtigt sich noch einmal ihr Traumbild, bevor sie Fragen an Talisha richtet.
«Bist du dir sicher, dass es die Nirahn aus meinem Traum ist? Oder könnte es sich zufällig um eine andere Person handeln?»
‹Ich glaube nicht an einen Zufall. Kej ist etwas Besonderes. Sie besitzt eigene Magie und Onish hilft ihr, sie zu entwickeln. Welche Rolle sie in diesen Ereignissen spielt, wird die Zukunft zeigen.›
Die Wölfin blickt Silmira auffordernd an. Aber die Seherin der Nsilí schüttelt bedauernd den Kopf. Ihre Gabe funktioniert nicht so. Jetzt, wo sie von der Nirahn weiß, kann sie versuchen, sie in ihren Visionen zu finden. Aber vermutlich wird nichts dabei herauskommen, was Dánirah nicht bereits weiß. Deren Träume sind erstaunlich präzise und zuverlässig, wenn auch nie einfach zu deuten. Entschlossen wendet sich die Nsil an die Versammlung.
«Ich kann Dánirahs Traum nicht deuten. Aber ich bin wie Talisha der Meinung, dass das Mädchen bei Onish die Nirahn aus dem Traum ist. Ich hatte selber eine Vision, in der der junge Schattenwandler Onish eine Rolle spielte. Was mich beunruhigt ist, dass es darin ebenfalls Drachen gab. Und zwar nicht unsere Freunde, die Hrankaedí, sondern Shahraní, die legendären Feuerdrachen.»
Noak, die die Unterhaltung laufend für das Ijenkae übersetzt, räuspert sich.
«Das Ijenkae sagt, die Erdstöße während des letzten Dunkelmondes hätten den letzten Schatz der Sharaní freigelegt.»
«Was ist der letzte Schatz der Shahraní?»
Silàn blickt sich fragend in der Runde um. Dánirah zieht hörbar die Luft ein.
«Vielleicht erklärt das meinen zweiten Traum. Er kam zu mir in der Nacht vor dem Erdbeben. Da war eine karge Gebirgslandschaft, ich weiß nicht wo sie liegt. Auf jeden Fall schien der schlafende Berg zu erwachen, sich regelrecht zu schütteln und flüssiges Feuer auszuspeien. Der Traum dauerte lange und war sehr eindrücklich. Zuletzt bildete sich in der Flanke des Berges eine gezackte Spalte und darin lagen, wie in einem Nest aus Felsen, fünf große Eier. Ich verstand den Traum nicht, aber am nächsten Tag zur Mittagszeit schüttelte sich die Erde ungewohnt heftig und ich frage mich, ob da nicht ein Zusammenhang besteht.»
«Eier der Shahraní... Es gibt darüber Legenden. Ich glaube, langsam verstehe ich, was dieser Sonnenmagier vorhat.»
Silmira Stimme ist leise, fast nur ein Flüstern. Trotzdem ist allen klar, wovon sie spricht. Ranoz lässt ein Rumpeln tief in der Kehle hören. Silàn mustert ihren Drachenfreund nachdenklich, bevor sie ein Gedankenbild für das Ijenkae formuliert. Noak übersetzt für die anderen.
«Die Ahranan fragt, ‹wo›?»
Die Antwort der großen Dunkelheit zeigt eine karge Gebirgslandschaft, Lavaströme und Ascheregen. Selbst Noak hat Mühe, die eindrücklichen Bilder für alle in Worte zu fassen. Dánirah nickt ernst.
«Das ist das Bild aus meinem Traum. Wo liegt diese Landschaft?»
«Das Ijenkae ist sich nicht sicher, und ich weiß auch nicht bestimmt wo das sein könnte. Vielleicht in einem abgelegenen Tal von Eshekir oder Eshte, vielleicht sogar Nirah oder Sellei. Irgendwo, wo es noch aktive Feuerberge gibt.»
Noak klingt unsicher. Silàn ist überrascht, die Hrankae kennt die Berge von Eshte und Eshekir wie niemand sonst. Hilfesuchend blickt sie Ranoz an. Seine Stimme ist belegt.
«Eshekir, vielleicht. Nirah ist möglich, ich bin nie über das Frostgebirge hinaus geflogen. Die Feuerberge von Eshte kenne ich alle. Es gibt nicht mehr viele, die aktiv sind. Und je weiter nördlich, desto unwahrscheinlicher wird es, einen wachen Feuerberg zu finden. In Sellei liegt ein Gipfel, der Shatosh heißt. Eine Legende sagt, dort hätten früher Shahraní gelebt. Aber das Feuer des Bergs ist längst erloschen. Ich war vor langer Zeit selber einmal dort.»
Silàn wirkt nachdenklich. A'shei weiß, dass sie sich ihre Entscheidung gut überlegt. Sie ist verantwortlich für das Wohlergehen der Wesen der Nacht. Wenn sich das Machtgleichgewicht im Reich der Sonne entscheidend verschiebt, wird das früher oder später Auswirkungen auf das Reich der Nacht haben. Alle warten gespannt auf den Entschluss der Königin.
«Wenn es stimmt, dass dieser Feuermagier in Penira verantwortlich für diesen magischen Energieschub und damit das Erdbeben war, ist er gefährlich. Sollte er es tatsächlich geschafft haben, intakte Eier der Shahraní zu finden, kann ich mir nur vorstellen, dass er sie unter seine Kontrolle bringen will. Ich schlage deshalb vor, dass wir die Eier suchen. Das ist eine Aufgabe für die Hrankaedí, die sich in den Bergen auskennen. Zudem sollten wir versuchen, mit Onish und seiner geheimnisvollen Nirahn-Begleiterin Kontakt aufzunehmen. Talisha, glaubst du, du kannst deinen jungen Freund finden? Da er nach Lelai unterwegs ist, können dir die Kaedin aus dem Sumpfland des Haon oder die Nsilí aus Gerin vielleicht helfen. Silmira, ich möchte dich bitten, auch die Nsilí zur Mithilfe zu bewegen. Die Xylin werden Botschaften übermitteln. Wir treffen uns hier zum nächsten vollen Mond. Lasst uns hoffen, dass wir diese Eier finden, bevor sie in die Hände des Feuermagiers geraten.»

Onish | Wattys 2015 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt