Kapitel 6

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Am nächsten Morgen war ich früh wach und musste sofort an gestern denken. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich passiert war. Sollte ich wirklich für die Kellys arbeiten? Oder hatte ich das nur geträumt - genau wie der Fakt, dass Paddy heute Abend zum Essen kommen würde? Im Inneren meines Herzens hoffte ich, dass es wahr war, aber ich wollte mich nicht zu sehr freuen. Die Enttäuschung danach würde nur um so größer sein - das wusste ich aus Erfahrung.
Ich sprang förmlich aus dem Bett und machte mich für den Tag bereit. Selbst die langweilige Schule kam mir heute nicht ganz so schlimm vor. Auch wenn ich nicht ganz überzeugt war, dass mein Traum in Erfahrung gehen würde, wollte ich mich daran festhalten. So gutgelaunt wie wohl noch nie in meinem Leben kam ich schließlich in die Küche. Gabriel schlief noch, aber meine Mutter warf mir einen verwunderten Blick zu und selbst mein Vater schaute stirnrunzelnd über den Rand seiner Zeitung, als ich meine Eltern mit einem fröhlichen Guten Morgen begrüßte. Ich glaube, in meinem Leben war es noch nie vorgekommen, dass ich lächelnd am Frühstückstisch gesessen hatte, weil ich wie Paddy eher der Typ Morgenmuffel war. Ich setzte mich schwungvoll auf meinen Platz und griff grinsend nach meinen Smacks. Wie immer schüttelte mein Vater den Kopf über mich, aber dieses Mal meinte ich den Anflug eines Lächelns auf seinem sonst so ernsten Gesicht zu sehen. Ich konnte mich nicht erinnern, meinen Vater wirklich einmal lachend gesehen zu haben. Manchmal fragte ich mich tatsächlich, ob er außer zu Ärger überhaupt zu Emotionen fähig war, auch wenn das Unsinn war. Natürlich war er das, aber er hatte gelernt, seine Gefühle komplett zu unterdrücken - warum auch immer. Im Radio lief Ich war noch niemals in New York von Udo Jürgens und ich drehte breit grinsend den Ton lauter. Ich sang begeistert mit, bis mein Vater kopfschüttelnd nach kurzer Zeit den Ton wieder leiser drehte.

"Aleyna, was ist denn mit dir los?", wollte meine Mutter wissen und ließ eines ihrer seltenen Lachen hören. "So aufgedreht hab ich dich morgens ja noch nie erlebt."

"Keine Ahnung", gab ich fröhlich zurück und hob die Schultern. "Das Wetter ist toll und bald sind Ferien. Da muss man einfach gute Laune haben."

Ich grinste, während mein Vater bedeutungsvoll mit seiner Zeitung raschelte. Er wusste genau, dass meine Mutter es nicht mochte, wenn er beim Frühstückstisch Zeitung las - einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen es zwischen meinen Eltern offen Streit gab. Aber mein Vater sagte dann nur, dass er sich eben über das Geschehen in der Welt informieren wollte. Ich dagegen war sicher, dass er nur eine Gelegenheit suchte, um über die Politik zu schimpfen, die in seinen Augen kompletter Blödsinn war - was er jeden Morgen gern lautstark zum Ausdruck brachte. Für mich war Politik so ungefähr das Uninteressanteste, was es gab. Die Politiker machten am Ende ohnehin was sie wollten und für richtig hielten. Ich fragte mich plötzlich, ob sich Paddy wohl für Politik interessierte und was er so darüber dachte.

"Ich glaube, es liegt eher an einem bestimmten jungen Mann", brummte mein Vater und warf mir einen strengen Blick über den Rand seiner Zeitung zu. "Aber du hast einen Freund. Und ich will nicht, dass meine Tochter mit zahllosen jungen Männern..."

"Papa", gab ich genervt zurück und verdrehte die Augen. "Paddy ist ein Freund. Nicht mein Freund. Zwischen uns läuft nichts - und wird es auch nicht. Wir verstehen uns gut und können toll miteinander reden. Nicht was du wieder denkst."

"Na hoffentlich", nuschelte mein Vater und verschwand wieder hinter seiner Zeitung. "Ansonsten wirst du ihn nämlich nie wiedersehen und den Job kannst du auch vergessen. Aber ich werde ihm heute Abend mal genau auf den Zahl fühlen, was seine Absichten sind."

"Papa", stöhnte ich auf. "Du bist so peinlich. Wenn du das tust, hält Paddy mich für total bescheuert." Ich schüttelte den Kopf. "Er hat überhaupt keine Absichten. Genau wie ich. Wir sind einfach nur gute Freunde - nicht mehr und nicht weniger."

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt