Kapitel 58

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Der Silvestermorgen begann tatsächlich ziemlich entspannt. Zum ersten Mal seit langer Zeit brach nicht direkt nach dem Aufstehen Hektik aus, sondern es stand ein gemütliches Frühstück auf dem Programm. In den letzten zwei Jahren waren die Kellys gefühlt jedes Mal wenn ich dort gewesen war von einem Konzert zum nächsten gehetzt. Um so schöner war es jetzt, dass wir einfach in aller Ruhe zusammen sitzen und uns unterhalten konnten. Leider hatte ich nicht bei Paddy übernachten können, weil es wegen Theresa einfach zu gefährlich gewesen war, aber ich tröstete mich damit, dass ich noch einige Tage mit ihm verbringen würde. Und vielleicht war es auch besser so, denn ansonsten wären wir sicher übereinander hergefallen.
Die Stimmung am Frühstückstisch war ziemlich entspannt und fast schon gemütlich. Vielleicht lag es daran, dass Theresa, Maite, Tanja, Kira und ich dabei waren, aber es gab nicht einmal Streit. Selbst Angelo verzichtete auf seine üblichen kleinen Sticheleien gegen seinen älteren Bruder - vielleicht, weil er sich keine Blöße vor Kira geben wollte, die das vermutlich nicht sonderlich gut gefunden hätte. Was auch immer der Grund war - ich fand es angenehm, dass die beiden Brüder sich nicht schon am frühen Morgen stritten. Allerdings war es zwischen ihnen auch in den letzten beiden Tagen recht friedlich gewesen. Vielleicht weil beide einfach zufrieden waren. Auch Joey war sehr zuvorkommend zu Tanja und betätigte sich als echter Gentleman, der seiner Freundin jeden Wunsch von den Augen ablas. Das war ungewohnt, aber es war schön zu sehen und zeigte nur, wie viel ihm Tanja bedeutete. John tat ebenfalls alles für Maite, die ihm förmlich an den Lippen hing. Die beiden waren einfach ein supersüßes Paar, auch wenn ich nicht sicher war, ob die beiden fest zusammen waren. Ich wünschte den beiden auf jeden Fall sehr, dass sie glücklich miteinander werden würden. Paddy saß neben mir und nippte dieses Mal an seinem Tee, während er seine Finger wie so oft mit meinen verschränkt hatte und sie hin und wieder streichelte. Theresa musterte uns immer wieder in einer Mischung aus Skepsis und Ärger, aber zum Glück enthielt sie sich jedes Kommentars. Aber im Prinzip wäre es mir auch egal gewesen. Dafür genoß ich es einfach viel zu sehr, Paddy nahe zu sein.

Nach dem ausgiebigen Frühstück - das eigentlich aufgrund der recht späten Uhrzeit eher ein Brunch war - ging es mit dem Bus wieder zurück nach Rostock zu Kiras Familie. Ich war wirklich gespannt darauf, denn bisher kannte ich lediglich Kiras jüngeren Bruder flüchtig. Sie redete auch nicht wirklich viel über ihre Eltern, von denen ich bisher nur wusste, dass sie getrennt waren, seit Kira ein Kind war. Gemeinsam mit Gregor war sie bei ihrem Vater aufgewachsen, auch wenn sich ihre Eltern gut verstanden. Ich stellte mir Kiras Vater ein wenig spießig und eher konservativ vor, denn ich wusste, dass er Politiker gewesen war. Als Bürgermeister von Warnemünde hatte er auch dafür gesorgt, dass die Kellys vor vielen Jahren zwei Wochen in der Stadt gespielt hatten und hatte auch gleich seine Kinder zu den Geschwistern geschickt. Seitdem waren die beiden Familien eng befreundet.
Kira schien es irgendwie ein wenig unangenehm zu sein, als wir ihre Heimatstadt erreichten, auch wenn ihr Vater die Kellys genau so lang kannte wie sie selbst. Ich dagegen fand Rostock und insbesondere Warnemünde einfach wunderschön. Kira wohnte mit ihrer Familie in einer eher ruhigen Gegend mit vielen Einfamilienhäusern. Ich mochte die typischen Häuser mit den roten Ziegeln, die mich an das kleine Dorf am Meer erinnerten, in dem meine Lieblingsgroßeltern ein kleines Ferienhaus besaßen. Als Kind war es für mich eine Art Paradies gewesen und ich hatte es geliebt, einen Teil meiner Ferien dort zu verbringen. Es war einfach ein Traum, das Meer direkt vor der Tür zu haben und ich hatte fast den ganzen Tag am Strand gespielt. Mit knapp 200 Einwohnern war das Dorf wirklich winzig und ich war oft allein oder mit Gabriel umhergestreift. Mein Großvater war nicht unbedingt der Fan von Meer und bevorzugte den Wald, aber meiner Großmutter zuliebe hatte er sich überreden lassen, das Haus zu kaufen. Für mich war es ein Ort voller schöner Erinnerungen, aber ich war leider schon lange nicht mehr dort gewesen, auch wenn meine Großmutter mir angeboten hatte, auch allein dorthin zu fahren. Aber ohne meine Großeltern war es für mich irgendwie einfach nicht dasselbe. Leider waren sie seit einigen Jahren nicht mehr dort gewesen, weil es einfach zu weit geworden war - vor allem seitdem mein Großvater krank geworden war und immer öfter auf seinen verhassten Rollator angewiesen war. Meine Großmutter hatte mir anvertraut, dass ich das Häuschen eines Tages erben würde, weil ich in der Familie die Einzige war, die sich wirklich dafür interessierte. Natürlich freute ich mich darüber, aber andererseits wollte ich auch nicht wirklich daran denken. Immerhin würde das bedeuten, dass mindestens einer meiner Großeltern dann wohl verstorben sein würde. Aber ich wollte nicht, dass sie starben, auch wenn mein Großvater vor allem im letzten Jahr ziemlich abgebaut hatte. Ich liebte die beiden einfach zu sehr, um daran zu denken, dass sie irgendwann nicht mehr da sein würden.

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt