Kapitel 61

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Nach einer mehrstündigen Fahrt durch die herrliche Landschaft, erreichten wir schließlich eine der nördlichsten Halbinseln Irlands - Fanad. Ich war ziemlich erstaunt, was wir hier oben im Norden Irlands wollten - quasi am entgegengesetzten Teil von Cobh. Tarzan steuerte ein Cottage in der Stadt Letterkenny an und ich konnte kaum glauben, was ich sah. Das Cottage lag direkt an einem riesigen Leuchtturm. So etwas hatte ich noch nie gesehen und ich konnte es kaum erwarten, endlich auszusteigen. Noch aus dem Auto heraus schoß ich mehrere Fotos und strahlte Paddy an, der ebenfalls breit grinste. Ich hätte ihn am liebsten einfach nur umarmt und geküsst, weil ich mich so freute, aber das traute ich mich dann doch nicht, auch wenn Tarzan oder Barby sicher nichts dazu gesagt hätten. Wenn das hier seine Überraschung war... dann hatte er auf jeden Fall einen absoluten Volltreffer gelandet. Am liebsten wäre ich direkt zum Strand gelaufen, den ich schon vom Auto aus sehen konnte und der zu herrlichen Spaziergängen förmlich einlud. Ich war mir ziemlich sicher, dass das Barby von ihrer Enttäuschung trösten würde, dass wir nicht zu ihrem Strand in Cobh gegangen waren. Das hier war mindestens genau so gut - vielleicht sogar noch besser.
Auch Barby wurde jetzt wach, als Tarzan auf dem großen Parkplatz des Cottages hielt. Eigentlich waren es sogar drei Cottages, die dicht beieinander standen und durch einen großen Parkplatz miteinander verbunden waren - alle zu Füßen des beeindruckenden weißen Leuchtturms. Vermutlich hatten in den Häusern die Leuchtturmwärter mit ihren Familien gelebt. Außer unserem Auto stand nur noch ein einziges Auto auf dem Parkplatz. Auch Barby strahlte, als sie den Leuchtturm und die gemütlich aussehenden Häuser entdeckte. Offenbar war es auch für sie eine Überraschung gewesen, dass wir an diesem herrlichen Ort übernachten würden. Ihre Augen funkelten wie Diamanten und sie schien mit einem Mal kein bisschen müde mehr zu sein.

"Sieht aus, als würden wir heute doch noch an den Strand gehen", stellte ich augenzwinkernd in Barbys Richtung fest. "Auch wenn es nicht euer Strand in Cobh ist."

Barby nickte strahlend und sprang förmlich aus dem Auto. Paddy lachte heiser über den Enthusiasmus seiner Schwester und zwinkerte mir zu. Auch ich musste über Barbys Freude schmunzeln, die Anstalten machte, sofort zum Strand zu laufen.

"Barbarina, wait for us", rief Paddy seiner Schwester hinterher, nachdem er eilig ausgestiegen war. "We'll go to the beach all together, okay? Just have a little patience. Let's get in first and get our stuff in our rooms."

Tatsächlich blieb Barby stehen und sah ein wenig enttäuscht zu ihrem jüngeren Bruder. Ich konnte ihre Enttäuschung verstehen, aber Paddy hatte Recht. Es war tatsächlich besser, wenn wir alle zusammen zum Strand gehen würden und vorher unser Gepäck ins Haus brachten. Während Paddy und Tarzan das Gepäck aus dem Kofferraum holten, ging ich zu Barby und legte den Arm um ihre Schulter.

"Sei nicht traurig", tröstete ich Barby und drückte sie. "Wir gehen auf jeden Fall zum Strand und schauen uns den Sonnenuntergang an."

Barbys Miene hellte sich bei meinen Worten wieder auf und sie nickte begeistert. Paddy gesellte sich zu uns, während Tarzan den Schlüssel für das Haus besorgen wollte. Aber noch bevor Tarzan losgehen konnte, kam ein etwas griesgrämig drein schauender Mann in dickem Winterpulli, Cordhose und Gummistiefeln auf uns zu. Mit dem dichten roten Bart und den wild abstehenden Haare sah er genau so aus wie man sich einen typischen Iren vorstellte - obwohl es hier vermutlich nicht mehr rothaarige Menschen als in Deutschland gab. Aber Menschen dachten eben gerne in Klischees.

"What can I do for you guys?", erkundigte sich der Mann mit einer sehr tiefen und erstaunlich freundlichen Stimme, die nicht zu seinem grimmigen Äußeren passte. "Are you searching for something?"

Tarzan erklärte dem Mann kurz, dass wir neue Gäste waren und gern den Schlüssel zu einem der Cottages hatten. Der Fremde nickte kurz und musterte uns dann ein wenig neugierig. Ich hätte zu gern gewusst, was er wohl dachte. Vermutlich hielt er uns für zwei befreundete Liebespaare. Dann deutete der Fremde auf eines der Cottages, das am dichtesten am Strand lag und ging dann wieder davon, um einen Schlüssel zu besorgen. Er schien kein Mann der vielen Worte zu sein und ich musste ein wenig schmunzeln, weil mich seine Art irgendwie an die Menschen in dem Dorf erinnerte, in dem meine Großeltern ihr Ferienhaus hatten. Auch die Leute dort waren eher wortkarg, aber wenn es darauf ankam, waren sie sofort hilfsbereit.
Tarzan und Paddy kümmerten sich um das Gepäck und wir steuerten das Cottage an, auf das der Mann gedeutet hatte. Es war wirklich wunderschön - klein und unglaublich gemütlich. Neben dem Eingang standen zwei große Kübel mit Blumen, die sofort für ein einladendes Ambiente sorgten und ich konnte die vermutlich selbstgemachten Häkelgardinen an den Fenstern erkennen. Ich war sofort in das kleine Haus verliebt und konnte mir direkt vorstellen, hier zu leben. Das hier war genau das Haus am Meer, das ich mir immer vorgestellt hatte. Ich sah kurz zu Paddy herüber, der scheinbar ähnliche Gedanken hatte und schmunzelte. Es war unglaublich friedlich hier - die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen.

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt