Kapitel 32

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Am nächsten Morgen hieß es nach einem letzten gemeinsamen Frühstück vorerst für längere Zeit Abschied nehmen. Während Claire und ich noch ein paar Tage in Wien verbringen würden, ging es für die Kellys mit dem Flugzeug nach Stralsund, wo am Abend das erste von weiteren zahllosen Konzerten des restlichen Jahres stattfinden würde. Von dort aus ging es erst einmal ein paar weitere Tage durch Ostdeutschland, bevor es weiter quer durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und sogar Dänemark gehen sollte. Auch Auftritte in Paris und Stockholm waren geplant. Ganz abgesehen von zahllosen Fernsehshows, die ebenfalls noch auf dem Programm standen. In wenigen Wochen würden die Kellys auch zum ersten Mal auf der legendären Loreleybühne ein Konzert geben, das das Fernsehen live übertragen würde und im Herbst wollten sie eine eigene Weihnachtsshow mit verschiedenen Gästen aufzeichnen. Wirkliche Ruhepausen würde es für die Geschwister bis Weihnachten kaum geben. Um so wichtiger war es, dass sie an den wenigen Tagen ohne Termine ein wenig Kraft tanken konnten - so wie jetzt in Wien. Es war nicht zu übersehen, dass den dreien diese Tage gut getan hatten, auch wenn wir fast ununterbrochen unterwegs gewesen waren. Aber das war trotzdem etwas anderes, als jeden Abend auf einer Bühne oder vor Fernsehkameras zu stehen.
Die Stimmung am Frühstückstisch war bei uns allen sehr gedrückt und es war deutlich zu spüren, dass jedem von uns der Abschied unglaublich schwer fiel. Das Schlimmste daran war, dass niemand von uns vorhersagen konnte, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen würden, da die Kellys so wahnsinnig viel unterwegs waren. Noch vor einem Jahr war es kein Problem gewesen, die Wochenenden bei den Konzerten zu verbringen, aber jetzt musste ich tatsächlich Glück haben, dass es überhaupt noch Konzerte in der Nähe gab. Durch die Schule war ich leider an die Ferien gebunden und es war fast unmöglich, meinen Eltern zu erklären, dass ich quer durch Deutschland oder sogar ins Ausland reisen wollte, um meine Freunde zu sehen. Dazu waren Zugfahrten nun mal auch nicht ganz billig und ich besaß noch keinen Führerschein. Das machte es nicht gerade einfacher.

Nach dem Frühstück stand der endgültige Abschied bevor und es flossen einige Tränen. Paddy drückte mich fest an sich und auch Jimmy wollte Claire am liebsten gar nicht mehr loslassen. Auch Barby war sehr traurig und versicherte mir, dass sie mir so oft es ging schreiben würde. Es fühlte sich schrecklich an, meine besten Freunde gehen lassen zu müssen, ohne wirklich zu wissen, wann wir uns wiedersehen würden. Aber wir hatten keine Wahl. Erst als das Taxi zum Flughafen vorfuhr und Tarzan zum Aufbruch mahnte, ließ Paddy mich los. Bevor er in das Taxi einstieg, bat er mich noch einmal, mir auf jeden Fall die Kassetten anzuhören, die er mir geschenkt hatte und ich versprach es ihm.
Claire und ich winkten dem Taxi noch, bis wir es nicht mehr sehen konnten. Obwohl sie Jimmy erst kurze Zeit kannte, war es Claire deutlich anzusehen, dass ihr der Abschied nicht leicht fiel und auch in ihren Augen glitzerten Tränen. Noch immer fragte ich mich, wie sie das ihrem Freund Zuhause erklären wollte, aber das musste Claire ganz allein entscheiden. Es war schwierig zu sagen, ob Claire tatsächlich in Jimmy verliebt war oder ob es nur ein Strohfeuer war, für das es keine weitere Zukunft geben würde. Das konnte nur die Zeit zeigen.

Es war nicht leicht, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen und weder Claire noch ich waren besonders motiviert, etwas zu unternehmen. Aber auf der anderen Seite wollten wir auch unsere Tage in Wien genießen. Also machten wir so gut es ging das Beste daraus. Wir besichtigten verschiedene Kirchen und Museen, ein paar Friedhöfe und das Hundertwasserhaus. Auch eine ausgiebige Shoppingtour stand auf unserem Programm, die Claire unbedingt machen wollte und aßen in der Zuckerbäckerei. Am letzten Abend in Wien gingen wir sogar in die berühmte Staatsoper und schauten uns ein Ballett an. Ich fühlte mich ein wenig unwohl unter den eleganten Menschen, aber das Ballett war es auf jeden Fall wert und ich musste unweigerlich an Barby denken, der es sicher sehr gefallen hätte.
Als wir schließlich in den Zug nach Hause stiegen, war ich tatsächlich ein wenig traurig. Wien hatte mir unglaublich gut gefallen und ich nahm mir vor, irgendwann noch einmal hierher zurückzukehren. Es gab immer noch unglaublich viel, was wir noch nicht gesehen hatten und was sich zu entdecken lohnte. Während der Fahrt dachte ich noch einmal an die herrlichen und vollkommen unerwarteten Tage mit den Kellys und ich schaute mir noch einmal die Fotos an. Es waren wunderschöne Erinnerungen an unbeschwerte Tage und ich nahm mir vor, Paddy einen Bildband mit den schönsten Fotos zusammenstellen zu lassen, damit er sich genau wie ich immer wieder daran erinnern konnte. Erst jetzt dachte ich auch wieder an Daniele, aber ich musste zugeben, dass ich ihn nicht vermisst hatte und auch jetzt hielt sich die Vorfreude auf ein Wiedersehen eher in Grenzen. Schon bei dem Gedanken daran, ihn wohl morgen wiederzusehen, zog sich mir die Kehle zu. Es würde sicher nicht leicht werden, ihm wieder unter die Augen zu treten - auch wegen seines Verhaltens kurz vor meiner Abreise. Ich war beinahe erleichtert, dass er bald erst einmal ein Jahr lang zum Bund musste und ich ihn wohl nur am Wochenende sehen würde - auch wenn das bedeutete, dass es vermutlich noch schwieriger werden würde, meinen besten Freund zu sehen, weil Daniele sicher erwartete, dass ich die wenige Zeit die er hatte mit ihm verbringen würde. Darüber würde ich mir wohl noch dringend Gedanken machen müssen.

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