Kapitel 37

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Der letzte Tag in Hamburg war nicht gerade einfach für mich. Als ich mit Paddy allein in der Garderobe saß, versuchte er herauszufinden, was mit mir los war, aber ich schwieg eisern. Auch als er wie immer meine Hand nehmen wollte, wich ich geschickt aus und erinnerte ihn an seine Freundin - auch wenn mein Herz dabei laut schrie. Ich konnte sehen, dass ihn das verletzte, aber er nickte nur und behielt seine Hände danach in seinen Hosentaschen. Es fühlte sich seltsam und verkrampft an, darauf zu achten, meinem besten Freund nicht zu nahe zu kommen, aber ich musste es irgendwie schaffen. Auch den anderen fiel natürlich auf, dass sich etwas zwischen uns verändert hatte und ich erntete einige fragende Blicke.
An diesem Abend merkte ich zum ersten Mal, dass Paddy auf der Bühne unkonzentriert wirkte. Er vergaß seinen Text und irgendwie fehlte ihm heute auch die Leidenschaft, die er sonst an den Tag legte, wenn er sang. Ich merkte, dass sein Blick immer wieder kurz zu mir wanderte, wenn er sang, so als würde er irgendetwas suchen. Er tat mir leid, weil er nicht wusste, warum ich mich plötzlich so abweisend verhielt, aber wie sollte ich es ihm erklären? Ich konnte ihm wohl kaum sagen, dass ich weit mehr für ihn fühlte, als ich durfte und versuchen musste, mein Herz irgendwie unter Kontrolle zu halten, weil ich ihm einfach nicht nachgeben durfte. Es zerriss mich förmlich innerlich, aber wir waren beide mit einer anderen Person zusammen - und ich wollte, dass wenigstens Paddy die Chance hatte, irgendwann glücklich zu werden.

Ich war beinahe erleichtert, als wir wieder im Bus saßen und Richtung Köln fuhren. Wahrscheinlich würde ich morgen früh von dort aus nach Hause fahren - je eher desto besser. Es war mir egal, dass dort ein riesiger Ärger auf mich wartete, wie mir Gabriel erzählt hatte, mit dem ich kurz telefoniert hatte. Meine Eltern hatten mein Verschwinden natürlich sofort am nächsten Morgen bemerkt und sofort geschlossen, dass mein Bruder wusste, wo ich mich aufhielt. Gabriel hatte keine Wahl gehabt, als meinen Eltern zu gestehen, dass ich bei den Kellys war, denn meine Eltern wollten schon die Polizei einschalten. Mein Vater war darüber so aufgebracht gewesen, dass er sofort nach Hamburg fahren wollte, um mich dort abzuholen. Irgendwie hatte Gabriel es geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass ich wenigstens dort bleiben konnte, bis die Kellys wieder in Köln waren. Entweder würden mich meine Eltern dort abholen oder ich sollte so schnell wie möglich von selbst nach Hause fahren. Ich nahm es meinem Bruder nicht wirklich übel, dass er mich verraten hatte, denn ich wusste, dass er keine echte Wahl gehabt hatte - und das war immerhin noch besser, als wenn mich die Polizei abgeführt hätte.
Eigentlich hatten die Kellys erst morgen früh fahren wollen, aber sie hatten sich schließlich doch dafür entschieden, direkt nach dem Konzert aufzubrechen, auch wenn die Fahrt mit etwa viereinhalb Stunden relativ kurz war. Aber morgen wollten sie den ersten Teil ihrer Weihnachtsshow drehen und sie wollten vorher in Ruhe proben, damit alles glatt lief. Deshalb wollten sie möglichst schnell in Köln sein und auf dem Schiff übernachten. Mir war alles recht. Während der Fahrt redeten die Kellys über die Show und berieten noch einmal, welche Lieder sie singen wollten. Die Aufzeichnung würde über zwei Tage in einem riesigen Zirkuszelt am Rhein aufgezeichnet und kurz vor Weihnachten im Fernsehen gezeigt werden. Ein genaues Datum stand noch nicht fest, aber vermutlich Anfang Dezember. Soweit ich es mitbekommen hatte, wollten die Kellys am ersten Abend ohne Publikum auftreten und eine Mischung aus Musik und einer Art Rückblick auf ihre Geschichte machen. Am zweiten Tag sollten dann Fans dabei sein und sie würden sowohl allein als auch mit prominenten Gästen wie Johnny Logan und den Schürzenjägern singen. Leider wohl auch Gwen, auf die sich Maite riesig freute. Bei Paddy war ich mir da irgendwie nicht so sicher, aber ich hatte nicht vor, dieses Thema noch einmal zu erwähnen. Allein bei dem Gedanken daran wurde mir übel und ich war beinahe froh, dass ich es wohl nicht sehen würde, auch wenn ich mich eigentlich auf die Show gefreut hatte.

Während sich die Kellys wie immer ziemlich lautstark unterhielten, saß ich still daneben und hörte nur mit einem Ohr zu, während meine Gedanken ganz woanders waren. Paddy saß mir gegenüber und sah mich immer wieder an, aber ich ignorierte ihn die meiste Zeit. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Auf der einen Seite sehnte ich mich danach, dass er mich in den Arm nahm und auf der anderen Seite hatte ich genau davor Angst, weil ich nicht sicher war, ob ich dann meine Gefühle im Griff haben würde. In mir tobte ein fürchterlicher Kampf und ich hatte keine Ahnung, welche Seite am Ende gewinnen würde. Am liebsten hätte ich Paddy einfach entgegengeschrien, was ich fühlte.
Vor seinen Geschwistern tat Paddy so, als würde er nichts bemerken, aber ich spürte immer wieder seine Blicke auf mir ruhen und es schien ihm ziemlich schwer zu fallen, mich nicht direkt anzusprechen. Barby saß neben mir und schaute immer wieder zwischen Paddy und mir hin und her. Dabei lächelte sie und ich fragte mich, was sie wohl gerade dachte. Auch wenn sie oft in ihrer eigenen Welt lebte, bekam sie genau mit, was um sie herum passierte und sah die Dinge oft mit einer erstaunliche Scharfsicht - auch wenn sie geistesabwesend wirkte.

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt