Kapitel 44

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Die Zeit verging wie im Flug und pünktlich klingelte es an der Haustür. Ich wollte gerade zur Tür gehen, als ich aus den Augenwinkeln sah, dass Paddy sich eine Tomate vom Brunchbuffett stibitzte. Dieser kleine Tomatenjunkie.

"Hey", tadelte ich Paddy sanft und klopfte ihm leicht auf die Finger. "Hände weg von den Tomaten. Die paar Minuten kannst du jetzt auch noch warten."

"Aber sie schmecken so gut", schmollte Paddy. "Und sie rufen nach mir."

Blitzschnell schnappte sich Paddy noch eine weitere Tomate und schob sie sich frech grinsend in den Mund. Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Paddy und seine Tomaten - das war wirklich eine Sache für sich. Aber er sollte ruhig essen und ich war froh, dass er scheinbar guten Appetit hatte. Ich strich Paddy kurz über die Wange und eilte dann zur Tür, als meine Mutter meinen Namen rief.
Die ersten Gäste, die eintrafen waren meine Lieblingsgroßeltern und Anastasia mit ihren Eltern und Geschwistern. Auch meine restlichen Verwandten wollten noch kommen - leider auch meine nervige Cousine Victoria, auf die ich überhaupt keine Lust hatte. Aber sie gehörte leider zu meiner Familie und meine Eltern waren der Meinung, dass ich sie einladen sollte. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich zumindest einigermaßen vernünftig verhielt und ich fragte mich, ob ich Paddy vielleicht hätte vorwarnen sollen.

"Hallo mein Schatz", begrüßte mich meine Großmutter Luise und zog mich in eine liebevolle Umarmung. "Noch einmal alles Gute zum Geburtstag. Auch wenn er schon ein paar Tage her ist." Sie strich mir über die Wange. "Du siehst phantastisch aus. So erwachsen. Und deine Augen leuchten vor Glück."

Ich lächelte verlegen, aber sagte nichts weiter dazu. Meine Großmutter hatte die Angewohnheit, genau wie Barby immer direkt den Punkt einer Sache zu erfassen. Und sie war eine der typischen Großmütter, die einem auch als Erwachsener noch am liebsten in die Wange kneifen wollten mit den Worten Bist du aber groß geworden. Aber genau dafür liebte ich meine Oma und hätte sie niemals hergegeben.
Ich erwiderte die Umarmung und kraulte dann erst einmal Bosko, der schon ungeduldig an mir heranschnupperte. Der Gute war mittlerweile auch nicht mehr der Jüngste und schon ein wenig grau um die Schnauze. Aber das hinderte ihn nicht daran, Kaninchen hinterher zu jagen oder seiner größten Leidenschaft, dem Buddeln, nachzugehen. Er war einfach eine Seele von Hund und wedelte begeistert mit dem Schwanz, als ich seine Ohren kraulte. Wäre er eine Katze, hätte er vermutlich lauthals geschnurrt und wie von Sinnen seinen Kopf an mir gerieben.

"Glückwunsch", brummte jetzt auch mein Großvater Werner, der wie immer sehr wortkarg war und umarmte mich ebenfalls. "Mein großes Mädchen."

Auch wenn mein Großvater nicht viel sagte, war seine Liebe deutlich zu spüren und ich hatte einen Kloß im Hals. Im letzten Jahr hatte er einen leichten Schlaganfall erlitten und war seitdem nicht mehr so fit wie vorher. Es ärgerte ihn, dass er nicht mehr im Garten arbeiten konnte und auch keine langen Spaziergänge mehr mit seinem geliebten Vierbeiner machen konnte. Eigentlich sollte er einen Rollator benutzen, aber meist war ihm das zu lästig und er grantelte ziemlich herum, wenn meine Großmutter ihn daran erinnerte. Er wollte einfach nicht alt sein. Die Krankheit meines Großvaters hatte mir deutlich vor Augen geführt, wie vergänglich das Leben sein konnte und dass auch geliebte Menschen nicht ewig lebten. Das machte mir Angst und ich versuchte nicht zu oft daran zu denken. Für mich würde mein Großvater immer mein großer starker Held sein, auch wenn er deutlich gebrechlicher geworden war. Es schien fast so, als hätte ihm die Krankheit auch ein bisschen den Lebensmut genommen. Er hatte abgenommen und seine vorher so strahlenden Augen wirkten trüber. Aber auch wenn es der Lauf der Welt war, wollte ich einfach nicht akzeptieren, dass mein Großvater vermutlich in ein paar Jahren sterben würde. An diesem Tag würde für mich einfach die Welt untergehen und ich nahm mir fest vor, noch so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Immerhin wusste ich nicht, wie viele Feste wir noch gemeinsam feiern würden.
Bevor ich mich Anastasia und ihrer Familie zuwandte, sah ich noch einmal meinen Großeltern nach, die sich auf den Weg in Richtung Wohnzimmer machten. Meine Großmutter hatte meinen Großvater untergehakt und führte ihn langsam. Es war ein rührendes Bild und ich wünschte mir wieder einmal, irgendwann im hohen Alter auch so liebevoll mit meinem Mann umzugehen. Vielleicht würde es ja tatsächlich Paddy sein. Auch wenn meine Großeltern sich streiten konnten, liebten sie sich noch immer und gingen unglaublich liebevoll miteinander um. So etwas wollte ich eines Tages auch erleben. Auch meine Mutter sah den beiden nach und ich konnte in ihren Augen eine Mischung aus Liebe und Traurigkeit erkennen. Sie hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern, auch wenn sie mit ihrem Schwiegersohn nicht immer einverstanden waren und hatte sich sehr um meinen Großvater gekümmert, als er im letzten Jahr im Krankenhaus gelegen hatte. Ich konnte mir vorstellen, dass es für meine Mutter noch schlimmer als für mich sein würde, wenn ihre Eltern eines Tages starben. Auch ihr wurde vermutlich jetzt immer mehr bewusst, wie zerbrechlich und alt vor allem mein Großvater geworden war.

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt