Kapitel 1

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Ich kam aus einer Familie, in der alles genau vorherbestimmt und geplant war. Schon am Tag meiner Geburt - vielleicht sogar schon vorher -, stand für meine Eltern fest, dass ich später Abitur machen würde und danach studieren. Am besten Jura, um eines Tages die Kanzlei meines Vaters zu übernehmen. Natürlich hatte ich auch einen älteren Bruder, Gabriel, denn im Leben meiner Eltern musste alles seine Ordnung haben - zuerst ein Junge und drei Jahre später ein Mädchen. Und wie erwartet geschah es genau so. Zuerst wurde Gabriel geboren und dreieinhalb Jahre später dann ich, Aleyna. Gabriel hatte gerade sein Abitur beendet und würde bald zur Bundeswehr gehen, bevor er - ganz nach den Wünschen unseren Eltern - Medizin studieren würde. Er wollte Gehirnchirurg oder irgendetwas Ausgefallenes in der Richtung werden - eine Arbeit mit der er viel Anerkennung ernten würde. Auch etwas, was meinen Eltern sehr gut gefiel, die viel Wert auf Geld und Ansehen legten. Obwohl  wir komplett unterschiedlich waren, waren Gabriel und ich wie Pech und Schwefel. Unsere Freunde nannten uns manchmal die ungleichen Zwillinge oder etwas in der Art. Wo der eine war, war auch der andere. Gabriel war ein sehr realistischer und nüchterner Typ, der alles genau analysierte. Er wog immer ganz genau ab, bevor er sich für etwas entschied. Ich dagegen war eher die romantische Träumerin, die lieber auf ihr Herz hörte. Aber vielleicht ergänzten wir uns gerade deshalb so gut. Ich brachte Gabriel immer wieder dazu, auch mal ein wenig loszulassen und er wiederum weckte mich manchmal aus meinen Träumen, wenn ich mich zu sehr darin verlor. Auch wenn wir uns wie wohl alle Geschwister auch mal stritten, liebte ich meinen Bruder sehr und war unglaublich stolz auf ihn. Ich bildete mir zumindest ein, dass es umgekehrt genau so war.
Unsere Eltern zu beschreiben war auch nicht besonders schwer. Sie hatten sich in der Grundschule kennengelernt, als sie in derselben Klasse waren und mein Vater hatte schon damals beschlossen, dass er meine Mutter eines Tages heiraten würde. Und so war es auch gekommen. In der achten oder neunten Klasse waren sie ein Paar geworden und hatten nie einen anderen Partner in ihrem Leben gehabt. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie kurz nach dem Studium meines Vaters heirateten. So wie meine Mutter erzählte, hatten da schon die Namen ihrer späteren Kinder festgestanden. Die ersten Jahre ihrer Ehe hatte meine Mutter noch in ihrem Beruf als Krankenschwester gearbeitet, um ein wenig dazu zu verdienen, weil mein Vater sich erst noch einen Namen als Rechtanwalt machen musste. Mit dreißig wurde meine Mutter dann wie geplant schwanger und gab ihren Beruf auf, denn eine Mutter sollte Zuhause bei den Kindern sein. Außerdem verdiente mein Vater ja genug, um eine Familie zu ernähren. Seitdem war meine Mutter Hausfrau, obwohl mein Bruder und ich längst alt genug waren, um allein zurecht zu kommen. Gabriel war 19 und ich war vor kurzem 16 geworden. Ich fragte mich manchmal, ob meine Mutter wohl wirklich glücklich mit dem Leben war, das eigentlich nur von meinem Vater geplant wurde. Meine Mutter beschwerte sich nie, aber hin und wieder meinte ich eine gewisse Traurigkeit in ihren Augen zu sehen. Mir kam es manchmal so vor, als würden meine Eltern noch ein uraltes Rollenbild leben, in dem der Mann das Sagen hatte und die Frau zu gehorchen hatte. Auch unsere Familienurlaube liefen immer nach demselben Muster ab.  Wir fuhren jedes Jahr in dasselbe Hotel auf Norderney und verbrachten dort unsere Ferien. Ich hätte mir gern gewünscht, mal etwas anderes zu sehen und wie meine Klassenkameraden von den tollsten Urlaubszielen erzählen zu können. Auf Norderney kannte ich jeden Stein und langweilte mich immer öfter. Aber wenn ich darum bat, einmal mit Freunden oder wenigstens einer Jugendgruppe in den Urlaub fahren zu dürfen, um wenigstens ein paar Tage etwas anderes zu sehen, intervenierte mein Vater sofort. Das kam für ihn absolut nicht in Frage. Die Familie fuhr gemeinsam in den Urlaub - basta. Selbst Gabriel kam noch mit, obwohl er erwachsen war und längst seine eigenen Wege hätte gehen können. Aber wie mein Vater mochte er die immer gleichen Strukturen und ich vermutete, dass er irgendwann auch mit seiner eigenen Familie den Sommerurlaub auf Norderney verbringen würde. Das würde mir sicher nicht passieren. Ich wollte die Welt sehen und an all die Orte reisen, die ich nur aus dem Fernsehen oder aus Erzählungen kannte. Mein Leben sollte nicht aus der immer gleichen Routine bestehen. Mein Vater war ein sehr strenger Typ - ein typischer Patriarch. Das Essen hatte immer zur selben Zeit auf dem Tisch zu stehen und was er sagte musste gemacht werden. Meine Mutter gehorchte ohne Widerworte und erzog uns nach den Werten meines Vaters. Prügel gab es zwar nicht, aber wenn wir nicht gehorchten oder schlechte Noten nach Hause brachten, setzte es drakonische Strafen. Zum Beispiel wurde der ohnehin streng reglementierte TV - Konsum vollkommen verboten genau wie die wenigen Treffen mit Freunden oder was uns sonst etwas bedeutete. Ich war es gewohnt, viel zu lernen und wurde von meinen Klassenkameraden immer wieder als Streber bezeichnet. Wenn sie von Partys redeten oder was Teenager eben sonst in dem Alter machten, konnte ich nicht mitreden und nur staunen. Freunde hatte ich kaum, weil ich fast nie weg durfte. Nur ein paar alte Freundinnen aus dem Kindergarten gab es und meinen Freund Daniele, mit dem ich mittlerweile seit einem Jahr zusammen war. Ob ich wirklich in ihn verliebt war, konnte ich nicht sagen, aber ich genoß es, dass ich immer weg durfte, wenn er dabei war oder ich Zeit mit ihm verbrachte. Manchmal nutzte ich Daniele auch als Ausrede, um mich mit Freundinnen zu treffen oder bei ihnen zu übernachten. Daniele wusste das und spielte sogar mit, was ich ihm hoch anrechnete. Für meine Eltern stand fest, dass ich Daniele irgendwann heiraten würde - genau wie sie es getan hatten. Ich war davon noch nicht so überzeugt. Es gab da draußen noch so viel, was ich unbedingt entdecken wollte und ich konnte mir nicht vorstellen, mich jetzt schon festzulegen so wie Gabriel, der schon seit drei Jahren eine Freundin hatte, mit der er seit kurzem sogar verlobt war. Er war eben wie mein Vater - wenn auch nicht ganz so verbissen. Ich dagegen bewunderte meine beste Freundin Claire, die bereits ihren dritten Freund hatte und ihr Leben genoß. So frei wollte ich auch sein und nicht jeden Abend schon um 21 Uhr im Bett sein müssen - außer am Wochenende, wo es auch 22 oder höchstens 23 Uhr werden durfte. Ich wollte auch mal erst um 21 Uhr Zuhause sein müssen anstatt um 19 Uhr zum Abendessen. Aber da ließen meine Eltern nicht mit sich reden.

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