Kapitel 33

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In den nächsten Wochen versuchten meine Eltern tatsächlich alles, um Daniele und mich wieder zu versöhnen - ganz egal, was ich darüber denken mochte. Auch wenn ich mich weigerte, überhaupt mit Daniele zu reden, luden sie ihn jeden Tag zu uns nach Hause ein und zwangen mich, mit ihm zu unterhalten. Ein Entkommen war quasi unmöglich, denn so lange ich mich nicht wieder mit Daniele zusammengerauft hatte, durfte ich das Haus nicht verlassen.
Zuerst schloss ich mich jedes Mal in meinem Zimmer ein, wenn ich hörte, dass Daniele unser Haus betrat - ich wollte ihm auf keinen Fall begegnen. Auch wenn ich versuchte, das Erlebte zu vergessen - die nur langsam verblassenden blauen Flecke an meinen Handgelenken erinnerten mich jeden Tag aufs Neue daran. Außerdem hatte ich einige Tage leichte Kopfschmerzen und mir wurde schwindelig, wenn ich meinen Kopf zu schnell bewegte. Nicht selten lag ich auf meinem Bett und weinte. Ich wollte nur noch weg von hier und überlegte sogar, einfach aus dem Fenster zu klettern und wegzulaufen - egal wohin. Ich konnte nicht einmal mit irgendjemandem reden, weil mein Vater mein Telefon konfisziert hatte und ich auch das Haus nicht verlassen durfte. Ein oder zwei Mal kam Claire vorbei, um wenigstens am Fenster mit mir zu reden, aber mein Vater bekam das mit und verscheuchte sie mit ziemlich barschen Worten. Ich fühlte mich wie eine Gefangene - und im Prinzip war ich das ja auch, obwohl ich fast erwachsen war. Aber um aus meinem Gefängnis auszubrechen, fehlte mir der Mut. Ich hatte Angst, dass es danach nur noch schlimmer werden würde.
Lediglich meinen Bruder durfte ich sehen, der hin und wieder vorbeikam. Natürlich bekam er mit, was Zuhause passierte, aber auch Gabriel konnte mir nicht wirklich helfen. Was sollte er auch groß tun? Auch er verstand nicht, warum meine Eltern so sehr auf Daniele als meinen Freund beharrten, wenn ich ihn nicht mehr liebte. Meine Verletzung an den Handgelenken verbarg ich vor Gabriel, um keinen Ärger heraufzubeschwören. Ich wusste, dass mein Bruder ausflippen würde, wenn er erfahren würde, dass ich bei einem gewalttätigen Freund bleiben sollte, um irgendeine seltsame Vorstellung meiner Eltern zu erfüllen - und auch noch als Schuldige dargestellt wurde. Daniele wurde von meinen Eltern dagegen Honig um den Bart geschmiert und mir wurde beinahe übel, wenn ich mitbekam, wie meine Mutter förmlich vor Daniele im Staub lag. Ich fragte mich wirklich, was bei ihr falsch gelaufen war. Normal war das jedenfalls nicht. Daniele genoß dieses Verhalten natürlich und schien sich wie ein König zu fühlen, dem das Fußvolk huldigte.

Nach etwa drei Wochen war ich schließlich mürbe geworden und ertrug es nicht mehr, eingesperrt zu sein. Um endlich wieder zumindest ein wenig Freiheit zu genießen, ließ ich mich wieder auf Daniele ein, der über meinen gebrochenen Widerstand triumphierte. Er entschuldigte sich zwar halbherzig bei mir, aber das war mir egal. Ich hätte ihm ohnehin nicht geglaubt. Dafür hatte ich in den letzten Monaten einfach zu oft seine hässliche andere Fratze gesehen, die vor wenigen Wochen stärker denn je aus ihm herausgebrochen war. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass meine Eltern dieses Verhalten so widerstandslos hinnahmen - gerade mein Vater, der als Anwalt häufiger mit solchen Fällen zu tun hatte. Oft fragte ich mich, wie mein Vater guten Gewissens seine Klienten vertreten konnte. Aber vielleicht war er ja bei diesen Fällen auch auf der Seite der Täter. Eine andere Erklärung konnte es für mich beinahe nicht geben. Und ich hätte auch zu gern gewusst, was wohl in meiner Mutter vorgehen mochte, die so unterwürfig war. Ich war immer noch sehr enttäuscht von ihr, aber ich versuchte trotzdem ihre Motive irgendwie zu verstehen. Welche Mutter ließ es zu, dass ihre Tochter so etwas erlebte und zwang sie auch noch,
bei ihrem Peiniger zu bleiben - dem sie auch noch Verständnis entgegenbrachte? Aber egal wie sehr ich auch darüber grübelte - eine echte Antwort fand ich nicht. Nur eine, die mir absolut nicht gefiel und die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Nachdem ich schließlich mehr oder weniger freiwillig nachgegeben hatte und mich wieder mit Daniele traf, bekam ich endlich ein paar Freiheiten zurück. Ich durfte mich wieder mit Claire treffen und etwas mit meinem Bruder unternehmen. Darüber war ich unendlich erleichtert, auch wenn ich Danieles Gegenwart nur sehr schwer ertragen konnte. In seiner Gegenwart war ich immer angespannt und fühlte mich unwohl, während Daniele nach seiner Entschuldigung - wenn man es so nennen wollte - einfach so tat, als wäre nichts geschehen. Ich war erleichtert, dass er Ende August endlich zum Bund gehen würde und ich ihn so nur noch am Wochenende sehen musste. Vor allem zu Beginn unserer erzwungenen Versöhnung, konnte ich es kaum ertragen, wenn Daniele meine Hand nahm und hatte den Instinkt, meine Hand einfach wegzuziehen. Aber jedes Mal hielt Daniele meine Hand nur noch fester, sodass ich ihm nicht entkommen konnte. Wenn er mich küssen wollte, hatte ich das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu wollen. Ich versuchte dem irgendwie aus dem Weg zu gehen, aber um zumindest nach außen hin ein harmonisches Bild vorzuspielen, musste ich wenigstens hin und wieder auf Daniele eingehen. In meinem Inneren weigerte ich mich, ihn meinen Freund zu nennen und für mich war es nicht mehr als ein Schauspiel, um ein Stückchen Freiheit zurückzuerlangen. Das war ziemlich kräftezehrend, aber ich hatte keine Wahl. Daniele spürte natürlich meine innere Abwehr und versuchte mich unter Druck zu setzen, indem er mir drohte, meinen Eltern davon zu erzählen.

The Rollercoaster Called Life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt