Kapitel 25

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Am nächsten Morgen war ich nach dem kurzen Schlaf auch dementsprechend gerädert, als meine Mutter mich aus dem Bett warf. Gähnend schlurfte ich in die Küche, wo der Rest meiner Familie bereits beim Frühstück versammelt war. Auch Francesca war da und grinste, als sie mich völlig zerknautscht ankommen sah. Ich streckte ihr kurz die Zunge raus und nuschelte ihr dann Frohe Weihnachten zu. Sie würde nachher und morgen mit zu meinen Großeltern kommen - wie eigentlich jedes Jahr, seit sie mit Gabriel zusammen war. Außer ihren Eltern hatte sie keine wirkliche Familie mehr und die hatten nichts dagegen, wenn ihre Tochter in unsere Familie integriert wurde - im Gegenteil. Und auch Francesca mochte meine Familie - oder zumindest den Großteil davon. Ich war allerdings froh, dass niemand von mir erwartete, dass ich Daniele mit zu den Familienfesten brachte - gerade jetzt zu Weihnachten. Unsere Beziehung war immer noch ziemlich brüchig und ich hatte nichts dagegen, ein bisschen Abstand zwischen uns zu haben. Aber zum Glück hatte er eine große Familie, die natürlich gerade an Weihnachten immer zusammensaß und da ich selbst bei meinen Großeltern eingeladen war, war das nie ein Thema gewesen - auch wenn weder Danieles Eltern noch meine wirklich etwas dagegen gehabt hätten. Dieses Jahr hatte Daniele das Thema tatsächlich kurz angesprochen - vermutlich, um mir zu zeigen, wie ernst es ihm war. Aber ich hatte mit der Begründung abgelehnt, dass ich dann sicher Stress mit meinen Eltern bekommen würde. Auch Danieles Weihnachtsgeschenk, eine Kette mit einem wirklich schönen Herzanhänger hatte ich bisher nicht umgelegt, ohne dass ich genau sagen konnte warum. Er hatte sie mir am letzten Schultag feierlich überreicht und ich hatte mich höflich bedankt. Zuhause war die Schachtel allerdings schnell in einer Schublade gelandet. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber es wäre mir auch heuchlerisch vorgekommen, die Kette zu tragen, wo ich mich innerlich so sehr von meinem Freund distanziert hatte. Immer wieder stellte ich mir die Frage, warum ich noch mit ihm zusammen war, obwohl ich längst keine Schmetterlinge mehr im Bauch hatte. Die ehrliche Antwort war... Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht Gewohnheit. Oder die Angst, meinen Eltern die Wahrheit über Daniele zu sagen. Ich hatte auch irgendwie Angst, nach Daniele keinen anderen Jungen mehr zu finden. Und ich wusste nicht, wie er auf eine endgültige Trennung reagieren würde. Würde er dann ausrasten? Oder zum Stalker werden, der mich auf Schritt und Tritt verfolgte? Alles war möglich. Die Kette, die ich mit Paddy teilte, trug ich dagegen täglich - gut unter meiner Kleidung verborgen. Ohne sie hätte ich mich irgendwie nackt gefühlt. Aber auch Paddy trug die Kette seit ich sie ihm geschenkt hatte ständig, wie er mir gestern anvertraut hatte. Ein schönes Gefühl, denn so waren wir uns immer irgendwie nahe - egal wie weit wir voneinander entfernt waren. Diese Nähe hatte ich zu Daniele eben nicht mehr und ich konnte sie auch nicht einfach spielen. Bei Francesca war das etwas ganz anderes. Sie gehörte zur Familie und auch meine Verwandten hatten sie längst akzeptiert oder mochten sie sogar genau wie umgekehrt.
Ein paar wenige Verwandte waren tatsächlich in Ordnung und mit meiner Cousine Alina verstand ich mich sogar ziemlich gut. Schade nur, dass ausgerechnet sie in Hamburg wohnte und wir uns deshalb nur sehr selten sahen - so wie jetzt an Weihnachten oder bei besonderen Familienfeiern. Aber wir schrieben uns mindestens ein Mal in der Woche und telefonierten regelmäßig. Natürlich hatte ich ihr auch von den Kellys erzählt, die sie ganz okay fand und wir planten, auf jeden Fall gemeinsam ein Konzert zu besuchen, wenn sie in Hamburg oder der näheren Umgebung waren. Paddy hatte sicher nichts dagegen, wenn ich ausnahmsweise jemanden mitbrachte und Alina war ganz sicher niemand, der ihm weinend um den Hals fallen würde. Zumal sie Joey ohnehin viel interessanter fand. Auf Alina freute ich mich also tatsächlich, genau wie auf ihre Eltern - nur auf Anastasia hätte ich gut verzichten können. Ihre Art nervte mich einfach nur und mir grauste es jetzt schon davor, mich wieder von ihr vollquatschen zu lassen, wie lasterhaft ich doch war, weil ich einen Freund hatte. Oder was auch immer ihr sonst so einfiel. Vermutlich wäre sie tot umgefallen, wenn ich ihr von meiner Freundschaft zu Paddy erzählt hätte. Aber auch sonst gab es einige Verwandte, mit denen ich selbst an solchen Familienfeiern am liebsten nichts zu tun gehabt hätte. Meine Cousine Victoria zum Beispiel oder ihre Eltern, die nur zu gern ihre hochnäsigen Nasen über mich rümpften, weil ich keine Modelfigur hatte. Was ging sie das bitte an? Ständig gaben sie mit irgendetwas an - mal mit teuren Familienurlauben, ein anderes Mal mit Victorias Noten, denn sie war natürlich die Beste in ihrer Klasse auf einer sündhaft teuren Privatschule. Die Liste ließ sich schier endlos fortsetzen. Meine Eltern hätten sich das ebenfalls leicht leisten können, aber wenigstens waren sie in dieser Hinsicht normal. Sie wollten zwar, dass mein Bruder und ich etwas Ordentliches lernten - oder besser studierten -, aber das konnte ich sogar noch nachvollziehen und ein wenig Ehrgeiz hatte ich auch. Immerhin hatte ich auch Träume, die ich mir erfüllen wollte und das ging nun einmal nur mit dem nötigen Kleingeld. Aber ansonsten waren Gabriel und ich nicht unbedingt verwöhnt. Klar, wir wohnten in einem schönen Haus, aber meine Eltern achteten darauf, dass wir nicht sofort alles bekamen. Wenn wir uns etwas wünschten, mussten wir es uns selbst erarbeiten, was ich nicht einmal schlecht fand. Auch auf Markenkleidung legten weder Gabriel noch ich gesteigerten Wert - mein Bruder sogar noch mehr als ich. Für mich musste Kleidung eigentlich nur bequem sein und da spielte der Preis keine große Rolle. Zum Glück sahen meine Eltern das ähnlich. So etwas wie MakeUp war für meinen Vater ohnehin ein NoGo. Victoria dagegen... Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mittlerweile nicht mehr nur ein oder zwei Kleiderschränke besaß, sondern ein komplettes Ankleidezimmer. Und was sie im Monat für ihr MakeUp und was sonst noch in ihren Augen dazu gehörte ausgab... Da hätte wohl mein komplettes Taschengeld für sechs Monate nicht ausgereicht. Ihr Vater war irgendein hohes Tier in einer bekannten Firma und verdiente Summen, die selbst meinem Vater die Tränen in die Augen trieben, obwohl er als Rechtsanwalt wirklich gut verdiente. Nein, Victoria und ich lebten definitiv in zwei komplett unterschiedlichen Welten und das war auch gut so. Menschen wie sie waren mir ein Graus. Aber wie hieß es doch so schön? Karma is a bitch und irgendwann würde auch die verwöhnte Victoria auf ihr gepudertes Näschen fallen.

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