Am nächsten Morgen wachte ich mit ziemlich geröteten und geschwollenen Augen durch das Weinen auf. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es fast neun Uhr war. Das zum Thema täglich gleiche Routine. Mein Körper brauchte nicht einmal mehr einen Wecker, um zu wissen, wann er an welchem Tag aufstehen musste. Irgendwie ziemlich gruselig. Ich seufzte und überlegte, ob ich tatsächlich aufstehen oder doch lieber weiter schlafen sollte - einfach, um mal ein wenig gegen die täglich gleiche Routine zu rebellieren. Mein Vater war eh wütend und hatte ja schon angekündigt, was er tun wollte. Da machte es wohl auch keinen Unterschied mehr, ob ich ihn noch ein wenig mehr reizte. Vielleicht sollte ich das letzte bisschen Freiheit, das ich noch hatte bevor ich in dieses fürchterliche Internat musste, ausnutzen. Von Anastasia wusste ich, dass die Nonnen dort den Schülern fast keine Freiheiten gaben und jedes noch so kleine Vergehen mit harten Strafen geahndet wurde. Na ja, so groß war der Unterschied zu Zuhause nun auch nicht, wenn ich ehrlich war. Vielleicht würde ich mich dort sogar freier fühlen, als bei meinen Eltern - auch wenn das seltsam klang. Wenn ich gut lernte und mich an die Regeln hielt, durfte ich vermutlich sogar öfter nach draußen als es hier der Fall war. In der Schule gelang mir das schließlich auch und mich an Regeln zu halten, war ich ja mehr als gewohnt.
Anastasia hatte es im Internat natürlich super gefallen. Sie war auch so ein richtiger Strebertyp, der genau so war, wie es meinem Vater wohl am besten gefallen hätte. Es hatte nie Jungs in ihrem Leben gegeben und sie wirkte mit ihren 20 Jahren vom Verhalten her gut doppelt so alt. Sie ging abends gegen 21 Uhr ins Bett und ich konnte mich nicht erinnern, dass sie einmal mit irgendwelchen Freunden ausgegangen wäre. Höchstens mal ins Kino oder einen Kaffee trinken. Ich war durch meine Eltern ganz sicher kein Partygänger und durfte dafür auch gar nicht lange genug nach draußen, aber selbst ich hatte mit meinen Freundinnen ein wenig Spaß gehabt. Wir hatten Zuhause Discos veranstaltet, weil ich keine richtige Disco betreten durfte oder waren mit ein paar Jungs schwimmen gewesen. Vollkommen harmlos, aber für mich war selbst das ein Stück Freiheit. Anastasia dagegen wäre nicht einmal in ein öffentliches Schwimmbad oder einen See gegangen. Im Badeanzug herumzulaufen, war ihr schon viel zu freizügig und ein Bikini ihr schlimmster Albtraum. Sie war die perfekte Stepford - Hausfrau und das Leben einer Nonne war einfach perfekt für sie. Ich fragte mich manchmal, wie Anastasia in ihrem jungen Alter so alt hatte werden können - zumal ihre Eltern so ganz anders waren wie meine. Sie erlaubten ihren Kindern fast alles und sie waren beinahe geschockt gewesen, als Anastasia freiwillig in das Internat hatte gehen wollen. Aber so konnte es scheinbar auch laufen. Vielleicht hatten wir ja einfach die falschen Eltern erwischt - anders war es wohl kaum zu erklären.
Letztes Jahr hatte ich Anastasia zu einer Grillparty mit meinen Freunden mitgenommen - einfach, um ihr zu zeigen, wie anders das Leben sein konnte. Um es kurz zu sagen: es war ein komplettes Desaster gewesen. Anastasia hatte meinen Freundinnen immer wieder erklärt, wie schlimm sie es fand, dass sie in ihren Augen so freizügig herumliefen - nur weil sie bei über 30 Grad Tops oder kurze Kleider trugen. Überhaupt sollten Frauen sich brav verhalten, um Männer nicht zu verführen blabla. Die perfekte Tochter meines Vaters eben. Meine Freundinnen waren aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen, während ich mich in Grund und Boden schämte. Seitdem hieß Anastasia bei meinen Freunden nur noch die Nonne. Selbst Daniele und Gabriel, der ja auch eher konservativ war, hatten den Kopf geschüttelt. Ich stellte mir vor, wie Gabriel seine Verlobte Francesca versuchen würde in hochgeschlossene Kleider zu stecken. Sie würde ihm einen Vogel zeigen. Francesca war so ungefähr der lebensfroheste Mensch, den ich kannte - mit bunten Haaren, Tattoos und Piercings. Ich bewunderte sie und manchmal fragte ich mich, wie zwei so gegensätzliche Menschen wie sie und Gabriel überhaupt zusammenpassten. Aber die zwei liebten sich zum Missfallen meines Vaters sehr und er duldete Francesca gerade so, weil sie es ernst meinte - trotz ihres Äußeren. Außerdem war sie der liebste und hilfsbereiteste Mensch, den ich neben Claire und Gabriel kannte. Wann immer jemand Hilfe brauchte, war Francesca sofort zur Stelle. Sie war wie eine große Schwester für mich und machte mit mir auch mal verrückte Sachen. Zum Beispiel hatte sie meine eigentlich honigblonden Haare letztes Jahr kupferrot gefärbt. Mir hatte das wirklich gut gefallen, aber mein Vater war fast ausgerastet und hatte mir verboten, so etwas jemals wieder zu tun.
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The Rollercoaster Called Life...
FanficEine Geschichte über die Achterbahn des Lebens - voller Höhen und Tiefen, Lachen und Weinen. Und eine Geschichte über eine ganz besondere Verbindung, die viel mehr ist als Freundschaft und Liebe. Eine Geschichte über Seelenverwandtschaft, die gleich...