-65- Nichts geht über Neugier

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Ich bekam mich irgendwie in den Griff und schluckte die Pastete mit großer Mühe herunter.
,,Was?", fragte ich mit heiserer Stimme. Ich bemerkte Bomburs Blick auf mir, doch glücklicherweise war dieses Gespräch nicht das einzige im Raum. Nori erzählte gerade begeistert von dem noch immer intakten Wassersystem und die meisten Zwerge folgten tranceartig seinen Lippen. Dann wird sich Gloin über das angebliche Klopfen in Thorins Bad noch mehr wundern... Prima.
,,Es scheint, als habe er dich aufgelesen. Weißt du, warum er durch die Hallen spaziert ist?" Erleichtert blies ich die angehaltene Luft aus meinen Lungen. Balin sorgte sich also nur um Thorin und nicht um die Möglichkeit, dass wir beide Zeit miteinander verbracht haben könnten. Alleine. Ich lehnte mich beruhigt in dem Stuhl zurück.
,,Das musst du ihn selbst fragen", antwortete ich neutral und nahm einen Schluck aus dem Silberkelch vor mir. Natürlich war er mit süß-herbigem Met befüllt.
,,Er hat dir nichts erzählt?", hakte Balin deutlicher nach. Ich schüttelte den Kopf und setzte den Kelch wieder ab.
,,Nein." Bevor er mich weiter ausfragen konnte, stopfte ich meinen Mund mit Pastete bis zum Anschlag voll und auch Balin fing endlich an, den Teller vor sich zu beachten. Es gab noch einmal eine Runde Nachschlag und offensichtlich meldete ich mich dafür. Ich merkte, dass Balin noch immer etwas auf dem Herzen lag und ich versuchte tatsächlich, ihn abzulenken. Denn ich befürchtete, sein Kopf käme doch noch auf ein Ergebnis, das der Wahrheit unangenehm nahe kam. Nicht, dass Balin nichts von Thorin und mir wüsste, er hatte mich ja vor einigen Tagen darauf angesprochen und das ziemlich im Detail. Dennoch wusste er nicht, in welchem Grad Thorin und ich uns angenähert hatten. Und noch pflegte ich den Wunsch, das kleine Geheimnis zwischen Thorin und mir kleinzuhalten und alleine mit ihm in dieser Blase der Unbeschwertheit zu leben, bevor die ganze Welt davon erfährt. Oder, ich war wahrscheinlich einfach nur paranoid.
,,He, Balin", sagte ich mit einem geselligen Lächeln und erhielt seine Aufmerksamkeit, ,,was genau ist das hier für ein Esssaal? Er ist so... riesig. Und eindrucksvoll." Ich stutzte.
,,Gut, das sind auch die anderen... aber der hier ist so... uh..." Balin lächelte zaghaft.
,,So farbenfroh?", setzte er meinen Satz zu Ende. Ich nickte stark.
,,Genau. Wer saß hier schon alles vor uns, Balin?" Sein Lächeln nahm etwas schwelgendes und träumerisches an sich und mit diesem Blick ließ er seine Augen über den Saal schweifen.
,,Diese Halle liegt sehr nah an der Oberfläche, drum war sie immer einfach zu erreichen. Sie diente grundlegend zur Empfangnahme von Gästen, von hohen Gästen. Zwergenkönige, Elbenkönige und Menschenkönige fanden ihren Weg in den Ablâg kuzru. Indessen war es vor allem das Forum der sieben Königreiche. Hier trafen sich die Königshäuser der Zwerge und berieten sich in den Zeiten des Friedens und des Krieges." Meine Ohren spitzten sich. Sogleich fühlte ich ein leichtes Unbehagen und rutschte auf dem Stuhl umher.
,,Wirklich? Und wir... essen hier einfach?", fragte ich zögerlich. Es fühlte sich merkwürdig an, hier zu sitzen und zu speisen, trotz des Hintergrundes, dass hier vor einer langen Zeit Könige gesessen hatten. Doch Balin klopfte mir nur mutmachend auf die Schulter.
,,Wieso denn nicht? Auch dieser Saal erinnert uns an das frühere Leben, das wir zurücklassen mussten." Sein Blick glitt zuerst schräg zu seinem Bruder, der vertieft auf seinen leeren Teller starrte, und dann zu unserem König. Dieser wurde von Gloin vollgequatscht, schien es aber vollkommen auszublenden und genau wie Dwalin in seinem eigenen Kopf versunken zu sein. Ich bemerkte, wie das Lächeln auf Balins Gesicht eine Verschmitztheit annahm. Ein amüsanter Gedanke schien ihn wohl eingeholt zu haben. Er drehte sich wieder zu mir.

,,Thorin ist in seiner Jugend oft hier gewesen. Als junger Zwergenprinz musste auch er seinen Pflichten nachgehen und da gehörten 'langweilige' Audienzen dazu." Es war kaum möglich, sich einen Thorin im jüngsten Alter eines heranwachsenden Zwerges vorzustellen, doch der Gedanke daran ließ mich von innen erwärmen. Balins lächelnder Ausdruck verflüchtigte sich und er sah betroffen auf den Tisch herunter.
,,Er war doch kaum älter als vierundzwanzig, als der Berg uns genommen wurde..." Ich machte große Augen.
,,Was?!" Mein Kopf drehte sich zu Thorin. Ob wegen Gloins Geschichten, seinen eigenen Gedanken oder Balins leiser Stimme, der König unter dem Berge hatte nichts von unserem kleinen Gespräch über ihn mitbekommen. Auch bemerkte er meinen starren, verwilderten Blick nicht, wofür ich sehr dankbar war.
,,Und ob. Er war ausgesprochen jung, viel zu jung für eine Tragödie wie diese. Du musst wissen, Bilbo, so wirklich erwachsen ist ein Zwerg erst ab dem ersten Jahrhundert, das er abzulesen an der Länge seines Bartes trägt." Erst ab einhundert Jahren gilt ein Zwerg als mündig? Das ist viel. Da kann ich froh sein, ein Hobbit zu sein. Denn dort gehöre ich seit zwanzig Jahren schon den Ausgewachsenen an. Ob mich die Zwerge selber deshalb als übermäßig jung sehen? Bestimmt. Balins Mundwinkel wanderten in die Höhe und er beugte sich ein Stück zu mir vor.
,,Demgemäß verhalten sich Fili und Kili recht angebracht. Gewiss ist auch das Bärtestutzen im heutigen Zeitalter vielmehr eine ästhetische Angelegenheit als eine Hingabe zu den zwergischen Normen." Die Bartlänge ist entscheidend für das Alter eines Zwerges? Das kann doch keiner wirklich für voll nehmen... Ich sah Balin schräg von der Seite an und unterdrückte dann ein Prusten, das sich stattdessen wie ein Hickser anhörte.
,,Wirklich? Bartlänge? Daran scheinen sich aber die wenigsten hier zu halten. Schau dir nur Kili an!", warf ich witzelnd ein. Kili mit seinen stark übersehbaren Bartstoppeln. Doch die Euphorie in mir verschwand im nächsten Moment. Kili. Fili. Bofur. Oin. Bard. Tilda. Sigrid. Bain. Die Menschen aus der Seestadt. Wer weiß, wer von ihnen noch übrig ist... Eine große weiche Hand legte sich auf meine Schulter und es war nicht die von Balin, wie erwartet, sondern die von Bombur. Vor meinen Augen herrschte die absolute Dunkelheit. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich meine Ellenbogen auf den Tisch gedonnert und mein Gesicht in meine Hände vergraben hatte. Bomburs sanfter Klopfer katapultierte mich zurück in die Wirklichkeit. Langsam nahm ich die Hände von meinen Augen.
,,Sie haben es geschafft, Bilbo. Da bin ich mir ganz sicher. Du kennst sie. Nicht mal ein Feuerspucker kann sie aufhalten." Ich nickte Bomburs Worten zu, doch sie erreichten mich nicht. Stattdessen lenkte ich mich ab.
,,Bombur, nach deiner Bartlänge zu urteilen, musst du ziemlich viele Jahre auf dem Buckel haben." Ich setzte ein Lächeln auf und warf ihm einen Blick von der Seite zu.
,,Ohja. Das stimmt. Glaube, ich wurde einhunderteinundvierzig diesen Frühling. Oder schon mehr?" Grübelnd legte er die Stirn in tiefe Falten und streichelte gedankenvoll seinen karottigen Bart lang.
,,Du weißt es nicht?", lachte ich und schüttelte fassungslos den Kopf. Bombur selbst setzte ein Grinsen auf und zuckte demütig mit den Schultern. Eine kurze Stille legte sich über uns, in der Bombur über sein wahres Alter grübelte und ich die Krümel auf meinem Teller zählte. Dann sah ich zu meiner Linken.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 24, 2023 ⏰

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King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt