-54- Zwergisch

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Endlich nahm ich mir den furchtbaren Helm vom Kopf und stellte ihn neben mir ab. Wir schipperten schon seit einiger Zeit über den See, so lange, dass die Seestadt kaum mehr als einen winzigen Klecks am Horizont darstellte.
Mein Blick schweifte über den Einsamen Berg, der gigantisch und atemberaubend vor uns hinter dem Nebel des Seewassers ruhte. Er war übersät mit Schnee und Eis und als ich die dortig herrschende Kälte sogar von hier erfühlen konnte, zog ich mir den Mantel enger um die Schultern. Es war eine wunderschöne und gleichzeitig beklemmende Aussicht. Denn wer wusste schon, was uns dort oben erwartet.
,,Wir haben ... sechs Essenspakete, genügend Waffen, Schlafsäcke für ... hm, naja, fast jeden von uns, dann zweieinhalb Gallonen Wasser, acht Decken und einen... einen Kochtopf?" Balin, der gerade dabei war, die Vorräte aus der Seestadt durchzuzählen, drehte sich um und sah fragend zu Bombur.
,,Warst du das?" Bombur setzte sich auf und nahm die mit Krümeln besetzten Finger aus einem der Essenspakete.
,,Ja... und...? Wir können lange bis zum Berg brauchen... da kann man sich doch die eine oder andere Mahlzeit zwischendurch gönnen." Balin seufzte und nahm ihm das geöffnete Essenspaket aus den Klauen.
,,He!", rief er aus und stopfte sich schnell das Stück Knäckebrot, das er noch herausziehen konnte, in den Mund.
,,Ich glaube, du hattest voerst genug! Lassen wir den anderen auch noch etwas übrig", fand Balin und sah auf den Inhalt des Päckchens herab. Er kramte zwei in Papier eingewickelte Brote hervor und hielt sie in die Luft.
,,Nun... wer von euch hat noch nicht gefrühstückt?" Meine Augen rutschten auf das Essen in seinen Händen hinab und ich spürte das sehnliche Grummeln in meinem Magen. Die Zwerge lehnten alle ab, bis auf Bombur natürlich, während mir vor Hunger das Wasser im Mund zusammenlief. Doch etwas sagen wollte ich nicht.
,,Bilbo hatte noch nichts", ertönte Thorins Stimme neben mir und Balin drückte mir die Päckchen in die Hand. Etwas zurückhaltend nahm ich es an und schob das Papier zur Seite, doch nicht, ohne Thorin einen dankbaren Blick zuzuwerfen. Er stand neben mir am Bug des Kahns und sah achtsam auf mich herab, die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Während ich an dem Knäckebrot herumknabberte und nun dabei war, das zweite in Angriff zu nehmen, fragte ich:
,,Hast du... gar keinen Hunger?" Seine Augen, die mich die ganze Zeit über beobachteten, wanderten von meinem Gesicht über meinen Körper. Mir wurde heiß und ich senkte das Päckchen.
,,Nicht darauf", bekannte er mit dunkler Stimme und sah mir wieder in die Augen. Eindringlich. Mir schoss das Blut in die Wangen und bei dem Anblick lächelte er verschmitzt. Fies... Ich sah auf den Boden herab und aß weniger energisch weiter. Denn ich hätte auch viel lieber etwas anderes gekostet als dieses geschmacklose Brot. Nach drei Bissen bemerkte ich einen weiteren Blick auf mir. Mein Kopf drehte sich nach links, wo Balins Augen zwischen Thorin und mir hin und her huschten. Er fing meinen Blick auf und hob argwöhnisch eine Augenbraue. Oh oh... Ich sah schnell wieder nach unten und konzentrierte mich dann vollends auf das Essen, um Balins forschendem Ausdruck bloß aus dem Weg zu gehen. Doch dessen Augen blieben hartnäckig. Mein Retter schlechthin war Bifur, als er laut grummelte und alle Blicke auf sich zog.
,,E kall!", stieß er aus und zog den Mantel fester um seinen Körper. Dori seufzte entnervt und stocherte das Ruder müde durch das Wasser. Wir fuhren mitten durch eine Nebelwolke hindurch und Bifur knurrte bitter.
,,Mals tannuza!", grölte er, als man nicht mal mehr die Hand vor Augen sehen konnte. Einer der Zwerge, ich konnte ihn nicht zuordnen, stöhnte vor Griesgram auf und ein Ruder bollerte gegen den Kahn.
,,Sadrabmî ihiffin", hörte ich dann Doris Stimme sagen und wunderte mich, worüber sie sich denn so energisch unterhielten. Oder stritten. Fast augenblicklich gab Bifur schnaubend zurück:
,,Lu'!" Der Nebelschleier lichtete sich und ich konnte die Zwerge und unsere Umgebung wieder erkennen, wir waren dem Berg genauso weit entfernt wie vorher. Auch Bifurs Blick schweifte über die Landschaft und er verschränkte die Arme vor der Brust.
,,Mên sashfatmîn usubkai!", rief er in einer nörgelnden Stimme und Dori ließ vor Wut das Ruder fallen. Es fiel klappernd auf den Holzboden und ich blickte darauf. Was ist denn nur los? Könnt ihr bitte mal in unserer aller Sprache sprechen?
,,Itkit!", fauchte er zurück und beide funkelten sich zornig an, bereit, den anderen ins Wasser zu stoßen. Bifur hob die Faust und Dori schubste ihn streitlustig nach hinten.
,,IDRIBÎ!" Thorins herrscherische Stimme ließ die beiden innehalten und ihre Blicke senken. Dass ich dabei leicht zusammenzuckte und dann ein Erschaudern verspürte, war hoffentlich nicht zu sehen. Es folgte eine Stille, dann nahm Dori wortlos das Ruder wieder an sich und fuhr mit dem Voranbringen des Kahns an Dwalins Seite fort. Bifur drehte sich von uns weg und starrte verärgert auf das ruhende Wasser. Mein Blick schweifte zu Thorin, der sich wieder hinsetzte und die beiden beobachtete.
,,Worum ging es?", fragte ich ihn mit gesenkter Stimme und er sah zu mir.
,,War nichts Wichtiges", beschwichtigte er mich und schenkte mir ein kurzes Lächeln, das ich sofort erwiderte. Doch so einfach wollte ich nicht nachgeben.
,,Was hast du ihnen gesagt?", fragte ich und biss mir auf die Wangeninnenseite, um mein Grinsen aufzuhalten. Thorin sah mir amüsiert entgegen und schien genau zu wissen, was in mir vorging.
,,Nur, dass sie aufhören sollen." Jetzt verzog sich mein Mund zu einem Schmunzeln und Thorins Augen blitzten für einen Moment auf, dann lächelte er mir honigsüß zu. Wir sahen einander ausdrücklich in die Augen und mein Magen rumorte vor Glücksgefühlen.
,,Kannst... du mir etwas beibringen? Auf Zwergisch? Auf... Khuzdul?", flüsterte ich zaghaft und Thorin lehnte sich kokett nach hinten gegen die Bordwand.
,,Natürlich. Kommt darauf an, welche Wörter du wissen willst", sagte er mit einem herausfordernden Unterton und verstand wohl genau, worauf ich hinauswollte. Aber vielleicht auch nicht..? Sein wissendes Lächeln ließ mein Grinsen breiter werden und ich versuchte, mich schleunigst zusammenzureißen.
,,Erstmal nur die einfachen, denke ich... So etwas wie 'Ich heiße Bilbo'", meinte ich und sah ihn abwartend an. Seine Augen verließen mein Gesicht keine Sekunde.
,,Akhrâm-ê Bilbo." Er wusste, welche Auswirkungen die von ihm so dunkel ausgesprochenen Wörter auf mich hatten und blickte aufmerksam auf meine Wangen, die zu prickeln begannen. Wieso hört sich das auch nur so gut aus seinem Mund an? Es klingt so anziehend. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.
,,Agrahm é Bilbo...?", sprach ich schief und in einem fragenden Ton aus. Thorin schmunzelte und wiederholte das Wort, diesmal etwas langsamer und beim dritten Mal konnte ich es ganz angemessen aussprechen.
,,Und 'Ich bin ein Hobbit'?", fragte ich gleich nach und sah wie gebannt auf seine Lippen.
,,E Zantulbasn", sprach er ruhig. Meine Ohren kitzelten und ich flüsterte ihm ein forderndes ,,Nochmal" zu, auf das er mir ein vergnügtes Lächeln schenkte und dann meiner Bitte nachging.
,,E Zantulbasn." Meine Zunge fand meine Lippe, noch bevor ich es wirklich wollte. Ich lehnte mich vorsichtig nach vorne, um Thorin näher zu sein. In meinen Ohren klingelten seine Worte wider. Mein Blick huschte zu seinen stechend blauen Augen, die mir auffordernd entgegen leuchteten. Ich sah eindringlich in das dunkle Blau, als ich ihm die nächsten Worte kaum hörbar zuflüsterte:
,,Was heißt... 'Ich bin dein Hobbit'?" Doch bevor ich bei Thorin die Reaktion, die ich damit bezwecken wollte, entdecken konnte, trat eine Gestalt neben uns und wir beide sahen zu ihr auf.
,,Zantulbasn? Habe ich das richtig gehört? Wieso redet ihr darüber?", fragte Balin neugierig und setzte sich uns gegenüber an die Bordwand. Von Balins Auftreten genervt sah ich auf den Boden hinab und schwieg. Thorin, dessen prüfenden Blick ich auf mir spüren konnte, beantwortete seine Frage:
,,Ich bringe Bilbo nur ein paar Wörter auf Khuzdul näher und er wollte wissen, was 'Hobbit' bedeutet." Balins Blick huschte kurz zu mir, dann wieder zu Thorin.
,,Ja, und zwar Büschelfuß", legte er dar. Ich runzelte die Stirn und sah zwischen den beiden hin und her.
,,Büschelfuß?", stieß ich aus und beide Augenpaare wanderten zu mir, ,,das klingt aber nicht sehr höflich." Mein Blick glitt zu Thorin, der ihn sowohl entschuldigend als auch belustigt erwiderte. Bevor Balin wieder eine Augenbraue hob, sah ich auf meine Füße herab.
,,Das sind doch keine Büschel", fand ich und kratzte mir entrüstet an der Wange. Zwar war das Haar auf meinen Füßen nicht so ordentlich gekämmt wie sonst und ein wenig kraus, wie ich zugeben musste, doch büschelig waren sie allemal nicht.
,,Ich meine... hätte ich meinen Kamm dabei, sähen sie deutlich besser aus", gab ich zu und nahm die Hand von meiner Wange. Ich hob meinen Blick und sah die beiden abwechselnd an. Thorin warf mir ein niedliches Lächeln zu und meine Mundwinkel schossen in die Höhe. Seine blauen Augen funkten.
,,Glauben wir dir, Bilbo", mischte sich Balin wieder ein, doch seine Worte kamen an unsere Ohren nicht an. Wir waren nur auf den anderen fokussiert.
,,Aufgepasst, wir nähern uns dem Ufer!", rief Dwalin und ich wurde von jemandem angestoßen, sodass sich unser Blick brach. Ich drehte mich um und sah zu Gloin, der sich auf die Beine rappelte.
,,Ups, 'tschuldigung", brummte er und ich winkte bitter ab. Der Kahn steuerte auf das Ufer zu und fuhr über den Grund auf. Gloin sprang vom Kahn und die anderen Zwerge folgten ihm. Ich stand auf und hopste hinunter in den kalten feuchten Sand, der sich eklig an meine Fußsohlen haftete. Ich blickte hinauf zum Berg, der meilenweit vor uns lag. Das wird ein langer Weg.
,,Lasst die Rüstsachen hier, wir nehmen nur leichtes Gepäck mit. Dori, Nori, Ori, Bombur, ihr tragt die Provianttaschen, jeder nimmt sich eine Waffe und der Rest schultert die Schlafmatten", befahl Thorin und zog am Band seines Mantels, um ihn abzunehmen. Elegant fiel er ihm in die Hände und er warf ihn ins Boot. Dann begann er, seinen Brustpanzer abzuklemmen. Die Zwerge befolgten seinen Anweisungen und auch ich fing an, mir den schweren Mantel von den Schultern abzustreifen. Ich lehnte mich über die Wand des Kahns und griff nach einer Schlafmatte, die ich mir über die andere Schulter, dort, wo nicht der Stoffbeutel war, hängte. Dwalin und Gloin bedienten sich jeweils mit einer gewaltigen Axt und einem Kurzschwert am Waffenvorrat und Bifur nahm Ori kopfschüttelnd die dritte Tasche ab, die er sich gerade um den Hals schlingen wollte. Nach knapp fünf Minuten waren wir alle bepackt und brachen zum Marsch auf.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt