-4- Waghalsige Idee

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,,Nun wenn es einen Schlüssel gibt ... dann gibt es auch irgendwo eine Tür dazu!", schlussfolgerte Fili strahlend, als hätte er den Denkanstoß des Jahrhunderts abgelegt. Dwalin fuhr sich über das Gesicht, dabei sah es so aus, als müsste er ein Stöhnen unterdrücken. Gandalf nickte Fili nur abwimmelnd zu und zeigte dann mit seinem Zeigefinger auf den Berg und die linken Schriftzeichen auf der Karte.
,,Jene Runen beschreiben einen geheimen Durchgang zu den Unteren Hallen des Berges", merkte Gandalf an und ich lehnte mich wieder ein wenig über den Tisch, um die Runen deutlicher erkennen zu können. Dabei achtete ich darauf, dass ich dem Zwerg neben mir nicht allzu sehr auf die Pelle rückte, doch ihm schien der Abstand zu reichen.
,,Es gibt also doch noch einen Eingang!", bekannte Kili begeistert, doch Gandalf schüttelte den Kopf.
,,Nur, wenn wir ihn finden, und dies erweist sich als ziemlich verworren. Geschlossen sind Zwergentüren unsichtbar und nicht einmal die Ältesten von euch können ihre Sichtbarkeit hervorrufen." Er gab ein Seufzen von sich und zeigte verdeutlichend auf die Karte.
,,Die Lösung ist gewiss irgendwo hier in dieser Karte verborgen, nur besitze ich nicht die Fähigkeit, diese zu finden. Doch gibt es andere in Mittelerde, die genau das können und die Antwort wird euch nicht erfreuen." Gandalfs Blick schweifte zu Thorin, der ihn erwiderte und abwartend eine Augenbraue hob. Gandalf hielt kurz inne, dann sprach er weiter:
,,Wenn wir tatsächlich so weit kommen sollten, wie ich es mir erhoffe, kommt mein Anliegen ins Spiel. Denn die Tat, die ich mir vorstelle, beruht auf Heimlichkeit und benötigt dazu ein gewisses Maß an Mut." Jetzt sah Gandalf plötzlich zu mir und ich richtete mich wie von der Tarantel gestochen auf. Ich fing seinen eingehenden Blick auf und spürte sogleich eine Anspannung in meiner Brust anbahnen. Wieso schaut er ausgerechnet mich an?
,,Doch, wenn wir vorsichtig und klug sind, denke ich, dass wir es schaffen können." Sogar Thorin Eichenschild drehte sich zu mir um und musterte mich schon wieder von Kopf bis Fuß. Dass mich seine Blicke warum auch immer nervös machten, war hoffentlich nicht ganz so offensichtlich, wie ich dachte.
,,Ach, darum brauchen wir einen Meisterdieb!", rief Ori und meine Augen wanderten von dem Zwerg vor mir zu ihm. Da hat er wohl Recht. Bei einem Drachen brauchen sie den besten Dieb von ganz Mittelerde. Was immer sie genau von ihm stehlen wollen...
,,Mmh, und zwar einen guten. Den besten, möchte ich meinen. Einen Drachen auszutricksen ist kein Zuckerschlecken", trug ich mit sicherer Stimme vor.
,,Und, seid ihr das?" fragte Gloin und sah komischerweise direkt in meine Augen. Ich soll kein Zuckerschlecken sein?, dachte ich und dachte lieber noch einmal nach. Die Zwerge drehten sich zu mir um und sahen ebenfalls geduldig in mein Gesicht. Oder sehen sie an mir vorbei? Im dämmrigen Licht war dies schwer zu erkennen. Fragend sah ich sie an und drehte mich nach hinten um, da ich dachte, sie redeten mit jemandem, der hinter mir stand. Doch als dort keiner war, wurde mir klar, dass sie mit mir sprachen und ich drehte mich noch stutziger wieder nach vorne.
,,Ich soll was sein?" Sie starrten mich an und eine bedrückende Stille folgte. Oin hob die Hände in die Luft und zeigte auf Gandalf, der blitzartig aufsah.
,,Er hat gesagt, er ist der beste. He!", rief er und klopfte mit dem Trichter auf den Tisch. Doch ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
,,Was, ich? Nein! Nein, nein, nein. Ich bin kein Dieb. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas gestohlen", gab ich offen zu und fühlte mich auch sehr selbstsicher bei der Aussage. Ja, da bin ich doch sehr ehrenhaft. Im Gegensatz zu den Sackheim-Beutlins, die immer noch nach meinem Silberbesteck her sind. Mir kommt es auch so vor, als wäre der eine oder andere Löffel auf mysteriöse Weise abhanden gekommen... Hm. Ich bemerkte, dass Thorin wenig begeistert den Blick wieder von mir nahm. Hab ich was Falsches gesagt?
,,Nun, ich fürchte da muss ich Herrn Beutlin zustimmen. Er sieht nicht aus als wäre er aus Diebesholz geschnitzt", bekannte Balin und ich nickte ihm mit einem breiten Lächeln zu.
,,Du hast es erfasst", sagte ich und hob meine Hände in die Luft, die ich auf Balin zeigte. Dann strich ich grinsend meine Hosenträger entlang, doch sobald ich Filis begaffenden Blick auf mir bemerkte, ließ ich sie mit einem Brr-Geräusch los.
,,Tja, schade drum, die Wildnis ist eben kein Ort für feine Leute, die weder kämpfen, noch sich zu wehren wissen", merkte Dwalin an und das führte zu einer lauten Diskussion der Zwerge, in der jeder durcheinander sprach und dem anderen unwirsch ins Wort fiel.
,,GENUG!" Ich zuckte vor Schreck zusammen und wich einige Schritte zurück. Gandalf war von seinem Stuhl aufgestanden und stützte die Hände auf den Tisch ab. Alles um ihn herum, die Decke, die Wände, der Tisch, die Stühle, alles wurde mit einem schwarzen Schleier verdeckt. Die Zwerge starrten ihn erstaunt an und Kili blieben die Worte im Halse stecken.
,,Wenn ich sage, dass Bilbo Beutlin ein Meisterdieb ist, dann ist er auch ein Meisterdieb, so wahr ich hier stehe." Wie bitte? Mein Mund öffnete sich, um verärgert darauf einzugehen, doch mir wurde eine Verteidigung meiner selbst nicht gegönnt. Ich bin kein Dieb!
,,Hobbits sind bemerkenswert leichtfüßig. Sie kommen an fast jedem unbemerkt vorbei, wenn sie wollen. Zudem sind sie klein und wendig und wissen sich sehr wohl zu wehren, aber mit Worten, nicht mit Äxten. Und während der Drache euch Zwerge ohne Weiteres wittern kann, ist der Geruch eines Hobbits unbekannt für ihn. Das bringt uns einen entscheidenden Vorteil bei der Tat." Meine Augen weiteten sich und ich trat einen Schritt auf Gandalf zu. Ich hob den Zeigefinger, um ihn von seinem Redegang abzuhalten und er ignorierte mich erneut. Empört sah ich auf den Boden und zog die Augenbrauen zusammen.
,,Ich sollte das vierzehnte Mitglied finden und ich habe mich für Herrn Beutlin entschieden. Ihr werdet meine Wahl akzeptieren oder euch einen neuen Hobbit und einen Zauberer finden müssen. Und wie unscheinbar Herr Beutlin für euch auch scheinen mag, ist es nur er, dem ich diese Aufgabe zutrauen würde. In ihm steckt mehr, als ihr erraten könnt und noch einiges mehr als er selber ahnt." Ich hob meinen Blick und schaute zu Gandalf, der ihn endlich auffing. Seine Mundwinkel zogen sich in die Höhe und ich schüttelte entgeistert den Kopf. Gandalfs Blick wanderte von mir zu Thorin und er lehnte sich zu ihm vor.
,,Du musst mir in dieser Sache vertrauen", flüsterte Gandalf und Thorins dunkle Augen huschten von Gandalf zu mir. Er begutachtete mich und ich stand wie erstarrt da, mein Ausdruck war angespannt. Nach einem ewig langen Augenblick sah er wieder zu Gandalf und ich atmete die Luft aus, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie angehalten hatte.
,,Also gut. Machen wir es auf deine Art", entschied er mit verhaltener Stimme und Gandalf lehnte sich zurück. Meine Augen wurden groß vor Panik.
,,Nein, nein...", murmelte ich und wurde einfach wie viele Male schon an diesem Abend übergangen.
,,Gebt ihm den Vertrag", forderte Thorin drängend und ich schluckte schwer. Was denn für einen Vertrag?! Bofur bollerte seine rauchende Pfeife auf die Tischplatte.
,,Aye, ab damit!", grölte er vergnügt und Fili lachte munter. Doch mir war zum Weinen zumute.
,,N-nein, bitte...", versuchte ich es erneut mit etwas erhobener Stimme und nahm abwehrend die Hände vor die Brust. Balin erhob sich vom Stuhl und zog eine gefaltete Pergamentseite aus der Innentasche seines roten Mantels hervor.
,,Ist nichts Schlimmes. Nur die übliche Zusammenfassung von Zahlungen aus der eigenen Tasche, Arbeitszeiten, Entlohnungen, Begräbniskosten, und so weiter. Der ganze langweilige Papierkram, könnte man sagen." Ich erstarrte und Balin reichte den Vertrag weiter an Thorin, der ihn mir sehr rücksichtsvoll gegen die Brust klatschte. Mit zittrigen Fingern griff ich danach.
,,Begräbniskosten?!", fragte ich kleinlaut und Balin zuckte nur die Schultern. Ich drehte mich von den Zwergen weg und klappte das Pergament auf. Eine ellenlange Seite fiel mir entgegen und rieselte hinunter auf den Boden.
,,Uff", gab ich erschlagen von mir und ließ meine Augen Stück für Stück über die Schrift gleiten. Ein Abenteuer für unseren geschätzten Meisterdieb, dem Hobbit Bilbo Beutlin, stand an erster Stelle. Mit einem unwohlen Gefühl murmelte ich die geschriebenen Worte vor mich hin:
,,'Bedingungen: Zahlung bei Lieferung, Gewinnbeteiligung ein Vierzehntel des Gesamtprofits, wenn überhaupt.' Wenn überhaupt? Huh. Na gut. Kann man machen, bei dem Reichtum." Ich hörte ein leises Kichern und konnte mir denken, dass es Fili oder Kili gehörte, doch las unbeirrt weiter:
,,Hm... 'Die Unterzeichner sind nicht haftbar für zugefügte, sich aus dem Verlauf ergebende Verletzungen, einschließlich, aber nicht ausschließlich ... Fleischwunden.' Was?" Ich stockte und dachte, ich hätte mich verlesen.
,,'Ausweidung'...", las ich weiter und kniff die Augen zusammen. Meine Hand griff nach der eingeklappten Seite des Pergaments und ich klappte sie auf.
,,Einäscherung?!", rief ich bestürzt aus und richtete meinen Blick auf die Zwerge. Balin lächelte mich zurückhaltend an. Thorin Eichenschild war aufgestanden und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er musterte jeden meiner Gesichtszüge, doch sein Ausdruck war undefiniert.
,,Oh ja, er schmilzt dir im Handumdrehen das Fleisch von den Knochen", merkte Bofur bei einem abtuenden Handwink an. Ich spürte, wie mir der Puls an meinen Hals pochte und schlug das Pergament zusammen.
,,Ohh", sagte ich leise und schluckte die Panik in meinem Körper herunter. Ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich und ich leichenblass aussehen musste.
,,Alles klar, Bursche?", fragte Balin und mein Bauch rumorte vor Übelkeit.
,,Huh? J-ja, geht", murmelte ich und stützte die Hände auf meine Beine. Ich atmete stoßweise aus und in meinem Kopf dröhnte es, als würde jemand mit Nagel und Hammer darauf einschlagen.
,,N-nur etwas schummrig", sagte ich und fuhr mir über die erhitzte Stirn. Da lehnte sich Bofur über den ganzen Tisch und verkündete angeheitert:
,,Stell dir einen gewaltigen Schmelzofen vor. Mit Flügeln!" Ich drückte meine Hand auf meine Hüfte, um mich weiter auf den Beinen zu halten. Beinahe kippte ich um.
,,Luft... ich... ich muss an die Luft", stammelte ich und spürte einen Knoten in meinem Bauch. Ich nahm die Hand herunter und hielt sie mir vor den Mund, in der Sorge, ich verlor gleich meinen Mageninhalt.
,,Ein Funken grellen Lichts, ein glühend heißer Schmerz, dir kullern die Augen aus, und puff! Du bist nur noch ein Haufen Asche! Das war's dann mit dir." Bofurs schreckliche Worte trommelten mir lärmend in den Ohren wider und ich merkte, wie sich ein dunkler Nebel vor meine Augen legte. Augen auskullern? Haufen Asche? Ich...
,,Huhh", atmete ich laut durch die Nase aus und mein Körper schwankte dabei. Ich nahm einen noch tieferen Atemzug und bekam dabei keine Luft. Mein Körper machte einen Satz.
,,Nee." Ich kippte zur Seite um und meine Sicht wurde schwarz.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt