-47- Alles ändert sich

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Wir kamen ohne weitere Zwischenfälle an der Stelle an, die Bard uns beschrieben hatte und sammelten uns wartend vor der kleinen Hütte. Ich setzte mich auf eine leere Holzkiste und warf müde einen Stein in den See, der das Wasser um sich herum platschend aufwühlen ließ. Die Sonne war kurz davor, unterzugehen und die hellen rötlich-orangenen Sonnenstrahlen erleuchteten unsere Gesichter. Wenn jetzt eine Wache vorbeigekommen wäre, hätte sie uns unverzüglich entdeckt.
Mein Magen knurrte überlaut und ich hielt mir die Hand dagegen, um das Geräusch zu überspielen, doch die Blicke wanderten schon in meine Richtung. Eine große Hand legte sich tätschelnd auf meine Schulter und als ich aufsah, blickte mir Bombur mitleidig entgegen. Ich lächelte erschöpft zurück und warf dann den nächsten Stein zwischen die Holzstege hindurch in das Wasser. Plötzlich war ein dumpfes Klopfen zu hören und Dwalin sprang tatkräftig auf.
,,Na endlich", murrte er. Doch keiner von uns war wirklich dazu bereit, in das verdreckte und eisige Wasser hinabzusteigen, um dann aus einem Klosett wieder herauszukommen. So energiegeladen Dwalin auch aufgesprungen war, als erster wollte er nicht durch die Plörre waten.
,,Na komm, Dwalin." Thorin lehnte gegen einem großen Holzpfeiler und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. Dwalin fuhr zu ihm herum und kniff die Augen zusammen.
,,Wieso ich?", fragte er verdächtigend und sah nicht ganz geheuer zu Thorin. Dieser warf ihm einen erledigenden Blick zu.
,,Weil du dich am meisten von uns beschwert hast." Dwalin sah zu Boden und grummelte vor sich hin.
,,Was ich nicht alles für den König tue...", zischelte er und Thorin schmunzelte leicht amüsiert. Dwalin verschwand hinter der Hütte und einen Augenblick später war ein Platschen zu hören. Ich sah noch immer zu Thorin, der ohne Ankündigung meinen Blick aufnahm und ihn erwiderte. In meiner Brust entstand ein kitzelndes Gefühl. Dann gab er mir ein aufforderndes Kopfnicken in Dwalins Richtung.
,,Ich?", sagte ich mit zögerlicher Stimme und zeigte mit dem Finger auf meine Brust. Thorin nickte anordnend, doch ich rührte mich nicht.
,,W-warum gehst du nicht zuerst?", fragte ich geradeheraus und wartete angespannt auf eine Antwort. Ich spürte die Blicke der anderen auf uns beiden und wie sie uns neugierig in Augenschein nahmen. Thorin bemerkte es ebenso und löste seine verschränkten Arme, doch seine Augen verließen meine keine Sekunde.
,,Ich bin mir sicher, dass dort oben etwas Warmes zu Essen auf uns wartet und du wärst gleich der zweite, der davon kosten dürfte." Ich würde viel lieber etwas anderes kosten, merkte ich in Gedanken an und schluckte hart. Ich nahm meinen Finger herunter und blickte schnell woandershin.
,,Überredet", murmelte ich und drehte mich rasch um, damit keiner meine hochroten Wangen bemerken konnte. Unsicher wanderte ich hinter die Hütte und setzte mich auf den Steg dahinter nieder. Ich atmete noch einmal ruhig aus, sog dann die Luft ein und rutschte in das Wasser hinab. Es war so eisig und schneidend, dass mir gefühlt beide Arme und Beine einfroren. Ich öffnete meine Augen einen Spalt und sah ein kleines Licht über mir flackern. Hastig schwamm ich mit taubem Körper unter den Steg hindurch und peilte das Licht an. Mein Kopf brach durch das Wasser und ich schnaufte ergiebig. Eine Silhouette erschien über mir und ich sah eine Hand, die mir hilfsbereit entgegengestreckt wurde. Ich griff danach und stemmte mich mit meinem freien Arm an dem Kloschüsselrand hoch. Die Hand zog mich aus dem Wasser und ich blieb wankend auf dem Holzboden stehen. Sofort überkam mich eine eisige Kälte.
,,Danke", sagte ich mit heiserer Stimme und räusperte mich. Der Sohn von Bard lächelte mich schüchtern an und zeigte dann die Treppe hinauf.
,,Dort oben." Ich nickte ihm zähneklappernd zu und schlich zitternd die schmale Holztreppe hoch. Oben angekommen hörte ich schon den nächsten Zwerg und Oris angestrengtes Ächzen ertönen. Ich umfasste meine bebenden Schultern und sah mich in dem großen Raum um. Vor mir stand ein hölzerner Esstisch mit zwei Bänken drumherum und Schälchen gefüllt mit Gebäck; ein knisterndes Kaminfeuer thronte in der rechten Ecke und fraß sich durch das Feuerholz und zwei gemütlich aussehende Sessel waren dorthin geneigt. Die Wände waren mit unterschiedlichen Kerzenleuchtern, die den dunklen Raum ungleichmäßig beleuchteten und allerhand Angelmaterialien beschmückt. Ein großes Fenster mit violett-grauen Vorhängen prangte gegenüber einer Feuerstelle, auf der ein Kessel vor sich hinköchelte. Auf den Fensterbänken standen lauter bunter Bonbongläser und kleine gelbfarbene Topfpflanzen. Ich ging einen Schritt in den Raum und traf auf einen weiteren Menschen, ein jung aussehendes Fräulein, das eines der Töchter von Bard sein musste. Ihre hellblonden Haaren waren zu einem lockeren Zopf zusammengebunden und sie trug ein sandfarbenes Kleid. Sie sah mich überrascht an und ging nachprüfend an mir vorbei zu der Treppe und blickte hinunter.
,,Vater ... weshalb kommen lauter Zwerge aus unserem Klosett?", fragte sie verdutzt und mit sachter Stimme, während Bifur hinter Ori auftauchte. Ein anderes Menschlein, doch viel kleiner als die anderen, die ich bisher getroffen hatte, stand plötzlich vor mir und lächelte mich freudig an. Sie hatte strohblondes Haar, das sie in zwei geflochtenen Zöpfen trug. Ihr fliederfarbiges Kleidchen war mit Flicken bestückt.
,,Werden sie uns Glück bringen?", wollte das kleine Mädchen hoffnungsvoll wissen und zog mir am Ärmel. Da fiel mir auf, dass das Mädchen gar nicht so klein war, wie ich zuerst dachte. Sie war sogar fast so groß wie ich. Sag ich doch. Ich gehe hier als Kind durch. Sie zog mich an den Tisch vorbei und schob mich runter auf den Sessel neben dem prasselnden Kamin. Die Wärme des Feuers dämmte glücklicherweise mein Zittern. Ich sah zu Dwalin, der mit unerfreuter Miene neben dem Fenster stand und bei meinem Blick verärgert zur Seite sah. Was hab ich denn jetzt schon wieder verbrochen?
,,Wie heißt du?" Das Mädchen setzte sich vor mich auf die Bank und starrte mich mit großen, neugierig aufblitzenden Augen an. Ich sah wieder zu ihr und mir fielen ihre leicht geröteten Bäckchen auf.
,,Bilbo. Und wie heißt du?", fragte ich und sah an meiner klitschnassen Kleidung herunter, die den Sessel volltropfte. Schon wieder durchnässt. Wird das nun ein Dauerzustand? Bitte nicht. Meine Augen blickten wieder zu dem Mädchen, das mir aufgeregt zulächelte.
,,Ich heiße Tilda!" Bard kam durch eine Tür herein und hatte einen Berg an Decken und dicken Baumwolltüchern auf den Armen. Er ging zuerst auf Dwalin zu, der sie grimmig ablehnte und wanderte dann seufzend zu mir. Bevor ich ihm eine abnehmen konnte, griff seine kleine Tochter danach und legte mir fröhlich pfeifend eine Decke um die Schultern. Bard schüttelte belustigt den Kopf.
,,Danke", sagte ich sowohl zu Bard, als auch zu seiner Tochter, die sich wieder hinsetzte und mich weiter anstrahlte. Ich zog mir die Decke näher ans Kinn und hüllte meinen noch immer leicht zitternden Körper darin ein. Tilda beobachtete mich dabei, dann weiteten sich ihre Augen und sie blickte mir ins Gesicht.
,,Du siehst ja ganz ausgehungert aus!" Sie sprang auf, nahm eine Keksdose von der Fensterbank, öffnete sie und erntete einen unheilvollen Blick von Dwalin. Sie hielt ihm dann nach kurzem Zögern die Dose vor die Nase und Dwalin nahm widerwillig einen Keks, wahrscheinlich nur, um es sich mit ihr nicht zu verscherzen. Sie lächelte und spazierte zu mir zurück, um mir dann die Dose hinzuhalten. Ich sah hinunter auf die goldenen Plätzchen und mein Magen rumorte munter los. Tatsächlich fühlte sich mein Körper so an, als mache er sich schon dafür bereit, den Geist aufzugeben und mich im Stich zu lassen, sodass ich schnell nach einem Keks griff.
,,Hast du die gebacken?", fragte ich und biss daran ab. Heilige! So gute Plätzchen hab ich noch nie zu schmecken bekommen.
,,Jah, mit Sigrid!", antwortete Tilda freudestrahlend und hielt mir schon den nächsten Keks hin.
Während ich mir diesen in den Mund schob und mir ein Seufzen verkniff, sammelte sich der Rest der Zwerge an der Treppe und starrte mich und Tilda unschlüssig an. Bard ging auf sie zu, verteilte Decken und überließ ihnen die Sitzgelegenheiten im Raum. Tilda beugte sich plötzlich zu mir herunter und flüsterte mit geheimnisvoller Stimme:
,,Bist du auch ein Zwerg?" Sie setzte sich wieder gerade auf, als Fili und Kili neben mir auftauchten und Fili seinen Bruder vorsichtig in den Sessel niederließ. Kili verzog für einen kurzen Moment das Gesicht, dann nickte er Fili beruhigend zu. Ich sah wieder zu Tilda.
,,N-nein, ich bin ein Hobbit. Aus dem Auenland." Ihre Ohren horchten wissbegierig auf und nachdem sie mir den nächsten Keks überreicht hatte, fragte sie:
,,Ein Hobbit? Was ist das denn?" Doch bevor ich etwas darauf entgegnen konnte, wurde Tildas Neugier von ihrem Bruder aufgehalten.
,,Tilda, durchlöchre ihn doch nicht so mit Fragen!", fand er und stibitzte sich selber ein Plätzchen, woraufhin Tilda ihn böse anstarrte.
,,Weißt du denn, was ein Hobbit ist, Bain?", fragte sie und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. Er ließ den Keks senken und sah abwechselnd zwischen mir und seiner Schwester umher.
,,Eh... ein ... Halbling, glaub ich?", sagte er zögerlich und sah mir hoffend in die Augen. Als ich nickte, zwinkerte er seiner Schwester selbstsicher zu und ging mit dem Keks in der Hand zu seinem Vater. Tilda hingegen sah mich stirnrunzelnd an.
,,Was ist ein Halbling?", fragte sie unverständlich. Statt zu antworten winkte ich ab und sah zu Bombur auf, der sich mit einer Schüssel in den Händen neben Tilda setzte. Mit einem Löffel bewaffnet schaufelte er sich den Inhalt in seinen Schlund und stieß nach nur wenigen Augenblicken die leere Schale von sich. Was auch immer er da in Windeseile gegessen hat, ich will es auch. Auch Fili, der sich auf die Lehne von Kilis Sessels gesetzt hatte, starrte auf Bofur und dann fragend zu seinem Bruder.
,,Tilda, hilfst du mir mal kurz?", ertönte die Stimme von Sigrid und Tilda sprang flink auf, um ihr in den Nebenraum zu folgen. Fili stand ebenfalls auf und ging zu der Kochstelle, an der Bain die Schalen füllte und an die Zwerge weitergab. Er kam mit zwei Schüsseln in den Händen zurück, die eine reichte er seinem Bruder, die andere hielt er mir breit lächelnd vor das Gesicht. Dankend nahm ich sie entgegen und löffelte gierig die Suppe, bestehend aus einer einfachen Gemüsebrühe und Brotstücken, aus. Dann lehnte ich mich geschafft nach hinten in den Sessel und schloss für einen Moment die Augen. Ich öffnete sie wieder, als ich hörte, dass Bard wieder in den Raum kam.
,,Sie mögen vielleicht nicht ganz passen, doch sie halten euch warm." Seine Tochter Tilda ging mit einem Haufen Kleidung auf den Armen umher und die Zwerge nahmen es entgegen. Als sie bei mir ankam, zupfte sie selber ein roséfarbenes Hemdchen hervor und hielt es mir hin.
,,Hier, für dich! Das war mir selber immer ein bisschen zu groß..." Ich starrte sie an. Das ist doch Kinderbekleidung. Für Mädchen. Und ich soll das überziehen? Als ich mich keinen Zentimeter bewegte, fiel ihr Lächeln ein wenig. Oh nein!
,,Oh, eh... sehr schick. Danke, Tilda", sagte ich zögernd, schluckte meinen Stolz herunter und nahm ihr das Hemd aus der Hand. Sie lächelte mir honigsüß zu und spazierte dann weiter. Fili und Kili neben mir brachen in lautes Gelächter aus und Fili hielt sich den Bauch, dabei fiel er fast von der Sessellehne. Ich blickte vernichtend zu ihnen und legte dann die Decke beiseite. Ich stand auf und begann meine Jacke aufzuknöpfen, da waren die beiden schlagartig ganz still. Mein Blick wanderte zu ihnen und Fili sah mich überrascht an. Er schluckte und drehte sich zu seinem Bruder um, um zu sehen, ob er die gleiche Reaktion wie er zeigte. Was er tat.
,,Du... entkleidest dich doch hier nicht einfach so...?", fragte Fili und blickte kreidebleich zu mir. Ich schnaubte amüsiert und legte meine Jacke über die Lehne.
,,Das hättest du wohl gerne, oder?", gab ich zurück und hielt das Hemd in die Höhe. Es wirkte sogar für mich noch ein Stück zu groß und ich überlegte, ob Bard es wirklich für seine Tochter erworben hatte. Ich sah an mir herunter und bemerkte, dass mein eigenes Hemd, oder eher das von Ori, wie mir einfiel, schon fast getrocknet war. Daher warf ich mir das roséfarbene Hemd wie eine Jacke über und ließ es aufgeknöpft an mir herunterhängen. Ich ignorierte Filis Blicke und setzte mich wieder in den Sessel. Bombur stand auf, um sich schon die vierte Portion Suppe zu holen und fing meinen Blick auf. Als er an mir vorbeiging, nahm er zwinkernd meine Schüssel mit und ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt