-5- Ein Abenscheuer

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Mir brummte der Schädel, als das warme Tageslicht auf mein Gesicht fiel. Ich rieb mir über die müden Augen, gähnte ausgiebig und setzte mich langsam in meinem kuschligen Bett auf.
Es ist so still hier. Ganz anders als am gestrigen Abend. Sind die Zwerge noch hier? Besser nicht...
Schnell rappelte ich mich auf und rutschte von der Bettkante herunter. Ich ging auf meinen Kleiderschrank zu und ließ meinen Blick über die Klamotten schweifen. Ich entschied mich für ein blütenweißes Hemd und eine hellbraune Hose mit apfelsinenfarbenen Hosenträgern, die ein Streifmuster bildeten. Eifrig steckte ich mir das Hemd in die Hose und knöpfte es am Kragen bis zum letzten Knopf zu. Ich zog die Hosenträger drüber und strich sie glatt. In einem Spiegel musterte ich kurz mein Spiegelbild und griff dann nach meiner Haarbürste, um die Locken irgendwie ein Stück zu richten. Dann trat ich durch die Zimmertür und schlich durch die Flure.
,,Hallo?", rief ich durch Beutelsend und erhielt nur ein Vogelzwitschern als Antwort. Es war still. So still wie noch nie. Niemand war anwesend. Ich schlurfte in die Küche, die so sauber war, als hätte sie jemand abgeleckt. Hm. Sag bloß...
Mit einer Schale Haferbrei bewaffnet setzte ich mich an meinen Esstisch. Das Stück Pergament vom gestrigen Abend bemerkte ich erst, als ich aufgegessen hatte. Es lag ausgebreitet auf meinem Tisch, als hätte es jemand absichtlich dort so abgelegt. Kurz überflog ich die ersten Zeilen.
Ein Abenteuer für unseren geschätzten Meisterdieb, dem Hobbit Bilbo Beutlin. Auf meinem Gesicht bildete sich augenblicklich ein Lächeln. Eines war ich mir sicher: Ich werde dieses Abenteuer antreten, und sei es nur, um Gandalf meinen Mut zu beweisen, heile wieder zurückzukehren und das gestrige Chaos, das die Zwerge veranstaltet haben, wieder wett zu machen.
Verzeichnet wurde das Blatt Pergament von Thorin, Sohn des Thrain und anerkannt von Balin, Sohn des Fundin. Beide Namen standen in einer schönen geschwungenen Schrift dort, die erste war noch ein Funken verschnörkelter. Ich entdeckte das leere weiße Feld, vor dem Dieb stand und in dem wohl meine Unterschrift verlangt wurde. Ja. Ich komme mit. Ich komme mit! Sofort griff ich nach einer Schreibfeder, kritzelte meine Initialen in das Feld und faltete die Pergamentseite sorgfältig zusammen. Ich holte meinen Rucksack hervor, stopfte flüchtig einige Lebensmittel und ein paar Kleidungsstücke hinein und schnallte eine kleine Decke um. Anschließend zog ich mir ein etwas wärmeres dunkelgrünes Hemd über und schlüpfte in meine Lieblingsjacke von bordeauxroter Farbe mit glänzenden Messingknöpfen. Ich schulterte den Rucksack und als ich gerade aus der Tür gehen wollte, fiel mir noch der Vertrag ein und ich griff danach.
Ich rannte und rannte, das zweite Frühstück schon vollkommen vergessen, und sprang über die Zäune, Schubkarren und sorgsam eingepflanzten Blumen anderer hinüber.
,,Hallo Herr Beutlin! Wo geht es denn so eilig hin? Pass auf, dass du dir nicht noch was tust!", rief Bauer Worrywort, als ich über seinen Karren mit Kürbissen hopste.
,,Keine Zeit, ich bin auch so schon viel zu spät!", rief ich zurück und duckte mich unter den Ästen einer tiefhängenden Eiche.
,,Zu spät wofür denn?" Auf meinem Gesicht entstand ein fröhliches Grinsen.
,,Ich gehe auf ein Abenteuer!"
Am Ende des Weges entdeckte ich dann von Weitem eine Gruppe Zwerge auf Ponys reiten und rief völlig außer Atem:
,,Wartet! Wartet auf mich!"
Die Ponys hielten an und ich holte die Zwerge prustend ein. Ich kam schlitternd zum Stehen und rang nach Atem. Vollkommen am Ende meiner Kondition drückte ich die Hände in meine Seiten. Da bemerkte ich die erwartungsvollen Blicke der Zwerge auf mir und riss mich zusammen. Sie müssen ja nicht sofort merken, wie fertig ich von dem kurzen Sprint bin.
,,Ich...", fing ich an und schluckte unerholt, ,,ich habe unterschrieben! Überzeugt euch selbst."
Ich drückte das Stück Pergament Balin in die Hand, der zufälligerweise mit seinem Pony genau neben mir stand. Er nahm es entgegen und holte ein kleines Monokel hervor, das er sich fachmännisch vor das Auge hielt. Kurz überflog er meine Initialen und lächelte dann breit.
,,Scheint alles seine Richtigkeit zu haben. Schöne Schrift hast du da, Bursche", meinte er und verstaute den Vertrag in seiner Jackentasche. Seine Augen blickten zu mir und erhellten sich.
,,Willkommen, Herr Bilbo Beutlin, in der Gemeinschaft von Thorin Eichenschild." Meine Lippen formten sich zu einem bescheidenen Lächeln und ich gab ihm ein dankendes Nicken.
Ich sah an Balin vorbei und entdeckte Fili und Kili, die sich offenbar sehr über mein Erscheinen freuten und mir zugrinsten. Ich grinste noch breiter zurück und blickte zu Gandalf, der wie immer sein zufriedenes Ich kenne dich doch-Lächeln auf den Lippen hatte. Am liebsten hätte ich ihm jetzt die Zunge herausgestreckt, doch das wirkte nun ziemlich unter meinem Niveau und ich ließ es lieber bleiben. Auch, weil mich jeder in diesem Moment hätte sehen können.
,,Gebt ihm ein Pony", sagte Thorin in seiner tiefen gebieterischen Stimme und ließ meine Ohren aufhorchen, als ich mich dann wieder fing. Komisch...
,,P-Pony? Oh nein, nein, nein, vielen Dank, ich brauche keins. Ich kann auch problemlos zu Fuß mithalten, lasst das nur meine Sorge sein!"
Thorin sah von seinem großen schwarzen Pony abwertend auf mich herab.
,,Natürlich, Herr Beutlin", sagte er kalt und drehte sich wieder elegant mit dem Pony nach vorne.
,,Weiter!" Ich wusste nicht, was der Grund für seine abweisende Haltung war, doch meine gute Laune wollte ich mir dadurch nicht vermiesen lassen. Die Ponys setzten sich wieder in Bewegung und ich schritt ihnen munter hinterher.
,,Wirklich, ich habe meinen Anteil an Wanderurlauben getan, müsst ihr wissen. Bin einmal sogar fast bis zu den Froschmoorstetten geko-!"
Ich wurde plötzlich hochgehoben und breitbeinig mitsamt Rucksack auf den Rücken eines etwas kleineren Ponys gesetzt. Ich unterdrückte einen überraschten Laut und biss die Zähne aufeinander, als es mir an einer gewissen Stelle ein wenig schmerzte. Autsch! Kann mich denn keiner vorwarnen?! Fili und Kili waren die beiden, die für diesen kurzen Schreck verantwortlich waren und grinsten mich erfreut an. Ich erwiderte ihre Freude nicht.
,,Schön dich zu sehen, Bilbo! Was verschafft uns die Ehre?", fragte Kili frohgestimmt.
,,Bestimmt nicht, dass ihr mir die Weichteile quetscht!", sagte ich laut und setzte mich in einer bequemeren Position auf den Rücken des Tieres. Fili und Kili lachten herzlich und am liebsten hätte ich ihnen das Grinsen aus den Gesichtern gewischt.
,,Das ist nicht witzig", murrte ich und nahm zögerlich die Zügel in die Hand.
,,Wieso? Ist deine Familienplanung noch im vollen Gange?", fragte Fili neckisch. Ohne Grund spürte ich die Hitze in mein Gesicht wandern und senkte den Blick. Ich wusste nicht, wieso ich plötzlich einen derart ziehenden Knoten in meinem Bauch verspürte. Meine Finger fuhren nervös durch die goldblonde Mähne des Ponys.
,,Bilbo?", fragte Fili und in seiner Stimme schwang eine Art Besorgnis mit.
,,Verzeih mir, ich wollte dir nicht mit meiner dämlichen Frage die Stimmung nehmen." Ich winkte ab, selber unsicher, wieso ich so seltsam reagierte, doch ich blieb still.
,,Nun... warum genau hast du dich jetzt doch für unsere waghalsige Mission entschieden?", fragte Kili schnell. Ich blieb noch immer still, meine Gedanken kreisten sich um die erste Frage. Warum ging mir das so nah? Natürlich meinte Fili das als Scherz, und trotzdem fühle ich mich so angegriffen... Kann er doch nichts dafür, wenn ich komischerweise so sensibel darauf reagiere. Das liegt mir gar nicht. Ich gebe doch offen zu, dass mich noch nie jemand auf diese Art interessiert hat. Es ist kein Geheimnis, dass ich alleine lebe. Wieso also habe ich dieses ziehende Gefühl in meinem Bauch?
Als ich den Kopf schüttelte und meine Ohren wieder Geräusche aufnahmen, haben Fili und Kili schon das Thema gewechselt. Aus Langeweile wegen meines Schweigens oder wollten sie mir einfach nur meine Freiheiten lassen?
Plötzlich durchfuhr mich ein starkes Kribbeln in der Nase und ich nieste so laut auf, dass ich mich selber erschrak und fast aus dem Sattel rutschte.
,,Argh! Pferdehaare...", sagte ich und klopfte mir die feinen Härchen von der Jacke, ,,bin ziemlich allergisch." Ich wühlte in meinen Jackentaschen, wurde aber zu meinem Bedauern nicht fündig.
,,Verdammt. ... Wartet! Wartet alle, wir müssen noch einmal umkehren!" Die Zwerge hielten an und entsetzte Blicke waren auf mich gerichtet. Aus dem Augenwinkel sah ich Thorin, der vor Ärger die Augen rollte. Ich ließ schnell den Blick von ihm ab, bevor mir wieder warm im Gesicht wurde, als Kili überrascht fragte:
,,Wieso? Was ist los?" Ich räusperte mich wichtigtuerisch.
,,Ich hab mein Taschentuch vergessen!" Ich erntete nur Lacher der Zwerge, die sich wieder nach vorne drehten und blickte fragend zu Gandalf, der natürlich wie immer ein Grinsen auf den Lippen hatte.
,,Was?", fragte ich bockig.
,,Mein lieber Bilbo, du wirst wohl eine Zeit lang ohne Dinge wie deine geliebten Taschentücher auskommen müssen." Das kann man auch anders interpretieren... Hab ich mal gehört. Ist nicht aus eigener Erfahrung. Hust. Ich rollte die Augen, jetzt schon in Frage stellend, ob dieses Abenteuer eine gute Entscheidung war.
,,Und wie soll ich mir dann die Nase putzen? Ich glaube, das fände keiner überaus appetitlich, wenn ich alles an meiner Jacke abwischen würde", behauptete ich trocken. Bofur, der genau vor mir ritt, riss sich ein Stück Stoff von der braunen Hose und schmiss es mir mit den Worten:
,,Hier, nimm das!", grinsend entgegen. Ich fing es überrascht auf und verzog das Gesicht, als ich den schmutzigen Fetzen in der Hand hielt.
,,Eh, ja, d-danke. Normalerweise hege ich schon größere Ansprüche..." Er nickte grinsend und seine Mütze wippte dabei auf und ab.
,,Du bist schon ein quirliger Halbling, Bilbo. Apropos!", rief er laut, holte einen kleinen Sack mit Münzen aus seiner Manteltasche und warf ihn amüsiert in die Höhe.
,,Eure Goldsäcke, bitte!" Einige der Zwerge stöhnten auf, andere widerum grinsten über beide Ohren und es klimperten überall Münzsäcke, die dann fröhlich durch die Gegend geworfen wurden.
,,Was passiert denn jetzt?", fragte ich an Gandalf gerichtet. Er schien amüsiert zu sein und holte seine Pfeife hervor.
,,Sie haben Wetten abgeschlossen, ob du zu uns stößt oder nicht. Manche sind sogar noch weiter gegangen und haben gewettet, wie pingelig du sein wirst." Ich wurde hellhörig.
,,Pingelig? Wer denkt das denn von mir?", fragte ich und runzelte die Stirn.
,,Oh, da fällt mir auf jeden Fall einer ein, der das behauptet hat." Sein Blick glitt zu dem ersten Reiter unserer Gemeinschaft, der natürlich kein anderer war, als Thorin Eichenschild. Ich entdeckte die vielen Goldsäckchen, die aus seinen Taschen lugten und konnte es nicht fassen. Da flog schon das nächste auf ihn zu und er fing es geschickt auf. Seine Haare wehten im Wind und er drehte sich zu mir um. Wie aus dem Nichts schenkte er mir ein neckisches Lächeln und sah selbstsicher wieder nach vorne. Meine Lippen öffneten sich überrascht einen Spalt und ich schloss sie schnell wieder. Ich versuchte, die aufkommende Röte in meinen Wangen zu überspielen und blickte auf meine Hände herab. Doch er hatte sie ohne Zweifel bemerkt.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt