-22- In den Schatten

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,,Was habe ich... in meiner Tasche?", fragte ich und spürte eine Wärme, die von dem metallenen Gegenstand zwischen meinen Fingern ausging.
,,Das gilt nicht, das ist gegen die Spielregeln! Frag uns was anderes!", nörgelte Gollum und warf einen spitzen Stein zu Boden, dem ich sowohl mit geweiteten Augen, als auch einem Kopfschütteln nachsah.
,,Nein, du sagtest, ich soll dich etwas fragen und das ist meine Frage", gab ich zurück und zeigte auffordernd mit der Schwertklinge auf ihn. Gollum jammerte auf und sprang von dem Felsen hinunter auf mich zu.
,,Wir haben drei Versuche!", forderte er schrill und hielt zwei Finger in die Höhe. Ich nickte und nahm schnell meine Hand aus der Tasche.
,,Hände?", zischte Gollum einen Moment zu spät und ich schüttelte den Kopf. Er schlug mit seinen Händen auf den dreckigen Erdboden auf und drehte sich aufgewühlt um die eigene Achse.
,,Messer! Argh, schweig still", kreischte er und ein siegessicheres Lächeln umspielte meine Lippen.
,,Wieder falsch. Letzter Versuch." Gollum rang mit sich selber, er sprang auf allen Vieren umher und fasste sich an den Kopf. Mit einem Mal drehte er sich rasend um und ich stoppte in meinem Gehen.
,,Schnur! Oder... gar nichts?", quäkte er und starrte mich drohend mit seinen Kulleraugen an.
,,Zwei Antworten gleichzeitig und beide falsch", sagte ich erleichtert, doch Gollums Blick verfinsterte sich.
,,Was hat es in seinen Taschen, mein Ssschatz?", flüsterte er vor sich hin und kam kriechend auf mich zu. Statt zurückzuweichen, blieb ich hartnäckig stehen.
,,Das geht dich überhaupt nichts an. Du hast verloren, also zeig mir den Ausgang!", forderte ich und schwang das Schwert. Seine Augen leuchteten mich bedrohlich an und sein Mund war zu einem gerissenen Grinsen verzogen. Seine Hand wanderte zu seinem Hosenbund und wollte etwas aus einer kleinen Tasche hervornehmen, doch sie griff ins Leere. Gollum fuhr mit geweiteten Augen herum.
,,Was?", zischte er und durchsuchte das Täschchen, während ich mich vorsichtig von ihm entfernte.
,,Wo ist es? Wo ist es? Mein Schatz ist verloren, verloren ist es!", kreischte Gollum und suchte den steinigen Boden ab. Ich ging weiter zurück und umgriff das Schwert stärker. Gollum drehte sich genau zu mir und starrte mich wutentbrannt an. Er fletschte die Zähne und schlich auf mich zu.
,,Was... hat es in seinen garstigen kleinen Taschen?" Das blaue Leuchten in seinen Augen wurde stärker. Aber kein schönes Blau. Nicht wie...,führte ich den Gedanken lieber nicht weiter. Ich muss wieder zurück zu den anderen. Diese Kreatur sucht den Ring, ohne Zweifel. Den Ring in meiner Tasche. Die Angst in mir wuchs und war kaum auszuhalten.
,,Gestohlen hat er ihn! GESTOHLEN!" Gollum sprang kreischend auf mich zu. Haarscharf wich ich der Kreatur aus. Mit pochender Brust rannte ich in eine Nische, das Schwert fest umklammert und hoffte, auf den Ausgang zu treffen. Ich rannte über den staubigen Erdboden, sprang über kleinere Felsen und huschte hinter Felswände, die mir weitere endlose Wege boten. Hinter mir hörte ich das klagende Schreien von Gollum und bekam immer wieder einen kalten Schauer, als es sich zu nähern schien. Als mir die Luft zum Atmen ausblieb, befand ich mich in einer kleinen Ecke und konnte keinen Durchgang erkennen. Meine Kehle schnürte sich zu und ich bekam große Panik. Verdammt, wo ist der Ausgang? Wo? Ich sah mich schnell um, während sich das angsteinflößende Gekreische näherte. Da entdeckte ich einen schmalen Durchgang. Ich rannte darauf zu und zwängte mich dadurch. Doch wie immer war das Glück nicht auf meiner Seite. Obwohl ich auf der Reise mehrmals mein zweites Frühstück auslassen und manchmal hungern musste, schien ich keinen Zentimeter schmaler geworden zu sein. Könnte auch an meinem Nachschlag heute Abend liegen, erinnerte ich mich. Ich steckte fest und konnte mich nicht bewegen. Die Schweißperlen auf meiner Stirn liefen mir in die Augen und ich erstarrte, sobald ich Gollum sah. Auf allen Vieren sprang er mit hasserfüllter Miene auf mich zu. Seine Augen leuchteten grässlich.
,,Es gehört uns! Es gehört uunnnsss!", krächzte er und fetzte die Krallen. Voller Furcht sog ich tief die Luft ein und quetschte mich durch die Öffnung. Die glänzenden Messingknöpfe an meiner Jacke rissen aus dem Stoff und schossen Gollum ins Gesicht. Ich rutschte durch und rannte überstürzt weiter. Plötzlich stolperte ich hart gegen einen Stein im Boden und wurde in der Luft gedreht. Schmerzhaft landete ich auf dem Rücken und der Ring aus meiner Tasche flog in die Luft. Ich streckte die Hand nach ihm aus und er rutschte mir geschwind auf den Mittelfinger. Einen Wimpernschlag später sprang Gollum genau vor meine Füße und sah sich suchend um. Kann er mich nicht sehen?, dachte ich und starrte ihn an. Er krächzte und sprang umher, seine Kulleraugen rollten in alle Richtungen. Ein verzweifelter Schrei entsprang seiner Kehle und er lief hinter einen Felsen. Ich folgte ihm vorsichtig, denn ich war mir sicher, er würde mir den Ausgang zeigen. Gollum blieb abrupt stehen und ich sah mich resigniert um. Ich erblickte das Tageslicht zwischen zwei hochragenden Felsen und atmete erleichtert auf. Polternde Schritte näherten sich und ich entdeckte die Zwerge genau vor mir, angeführt von... Gandalf. Das gefällt dem Anführer bestimmt gar nicht, dachte ich und biss mir das Schmunzeln weg. Gollum versteckte sich schleunigst hinter einem großen Stein und lugte vorsichtig hervor. Die Zwerge liefen auf das Tageslicht zu und ich wollte ihnen folgen, doch Gollum versperrte mir den Durchgang. Ich wollte ihnen hinterherrufen, doch dann hätte ich Gollum meinen Aufenthalt verraten und ich wollte keinen Kampf um den Ring mit dieser Gestalt anfangen. Gollum muss aus dem Weg. Er ist gefährlich. Wer weiß, wem er noch in den Höhlen das Leben schwermachen wird. Er hatte vor, mich qualvoll zu töten und anschließend zu verspeisen. Ich will gar nicht wissen, wer vor mir in seine Finger geraten ist... und als Happen enden musste, dachte ich. Ich hob mein blau leuchtendes Schwert an, was bedeutete, dass die Orks den Zwergen auf den Fersen waren. Ohne zu zögern streckte ich es aus und hielt es Gollum entschlossen an die Kehle. Da drehte er sich um und sah voller Angst genau in meine Richtung. Seine großen Kulleraugen leuchteten mir traurig entgegen und wirkten leer. Ich stutzte. Das Schwert in meiner Hand rutschte mir aus den Fingern. Ich kann es nicht tun. Niemals. Wer weiß, was mit dieser armen Gestalt passiert ist und wie es mit ihr soweit kommen konnte. Und welches Recht habe ich dazu, diesem Geschöpf das Leben zu nehmen? Selbst, wenn ich es wollte, könnte ich es nicht, schoss mir durch den Kopf. Gollums Blick verfinsterte sich plötzlich und er musste meine laute Atmung gehört haben. Mit klopfendem Herzen nahm ich Anlauf und sprang knapp über ihn herüber, dabei traf ich ihn mit dem Fuß am Kopf. Gollum fiel hinter mir polternd zu Boden und schlug erbost um sich. Sein Kreischen klingelte mir lange und unheimlich in den Ohren, während ich den Zwergen und Gandalf eilig hinterher rannte.
Ich stolperte den mit Blättern befallenen Erdboden entlang und kam mehrmals ins Rutschen, doch meine Augen lagen unentwegt auf den Zwergen. Zwischen uns lag ein großer Abstand, den ich schnaufend versuchte auszugleichen, nur waren die Zwerge geschwind. Da blieben sie stehen und ich näherte mich ihnen. Erschöpft lehnte ich mich gegen einen Baum und hechelte atemlos nach Luft. Meine Seiten stachen und ich drückte meine Finger hinein, in der Hoffnung, der Schmerz würde sich lindern. Ich sah an dem Baum vorbei wieder zu den anderen. Sie versammelten sich auf einer kleinen Lichtung und Gandalf zählte sie an den Fingern ab.
,,Fili, Kili und ... Bombur. Das macht dreizehn. Hm... Wo ist Bilbo?", murmelte er und sah sich schnell um. Ich ging einen Schritt auf sie zu und bemerkte dann wieder, dass sie mich dem Anschein nach nicht sehen konnten.
,,Wo ist unser Hobbit?", sagte Gandalf ausdrücklicher und wanderte an den Zwergen vorbei. Mit ernster Miene blickte er zu Thorin, der sich kurz umsah und dann seinen Blick zu Fili und Kili schweifen ließ. Die beiden Brüder drehten sich um die eigene Achse und schauten in alle Himmelsrichtungen, doch sie entdeckten mich natürlich nicht. Fili setzte einen panischen Ausdruck auf und Kili fing nun unverschämter Weise an, an sich herunterzugucken. Sehe ich so aus, als würde ich dort unten auf dem Boden liegen, Kili?, wollte ich ihm zurufen, doch verblieb zunächst lieber in den Schatten.
,,WO ist unser Hobbit?!", rief Gandalf aufgebracht und stieß fassungslos seinen Holzstab in den Erdboden. Alle Zwerge fuhren suchend herum und sahen sich dann gegenseitig in die bleichen Gesichter.
,,Verfluchter Halbling! Nun ist er verloren!", knurrte Dwalin und schwenkte wütend seine Streitaxt umher. Bifur verstand wohl nicht, was vor sich ging, denn er schliff seelenruhig seinen Eisenspeer mit einem flachen Stein, den er gefunden hatte. Als Bofur dies bemerkte, stieß er ihm in die Seite und warf ihm einige zwergische Worte zu. Schlagartig richtete sich Bifur auf und sah sich aufgeweckt nach mir um. Da trat Gloin vor und rief aus:
,,Ich dachte, er wäre bei dir, Dori!" Diesem klappte verstimmt der Mund auf und er hob seine Hand, um seinen Zeigefinger drohend auf Gloin zu richten.
,,Schieb das jetzt nicht auf mich!", stieß er beleidigt hervor und schüttelte den Kopf. Gandalf ging einen Schritt auf ihn zu und sah ihn ausdrücklich an.
,,Aber wo hast du ihn das letzte mal gesehen?", fragte er und sah ihn mit einem aufgelösten Ausdruck an. Dori zuckte die Schultern und sah weg von Gandalf.
,,Ich glaube, ich sah ihn wegschleichen, als wir gefangen genommen wurden", warf Nori mit nachdenklicher Miene ein. Gandalf blickte zu ihm und trat einen großen Schritt auf ihn zu.
,,Und was ist danach passiert? ... Erzähl es mir!", befahl Gandalf energisch und atmete erschüttert aus.
,,Ich sag dir, was passiert ist." Bei Thorins düsterer Stimme spitzten sich meine Ohren und ich beobachtete ihn. Er trat vor, ging an den Zwergen vorbei und stellte sich genau vor ihnen auf einem leicht erhöhten Hügel. Er fuhr herum und seine Strähnchen schwebten leicht im Wind. Finster sah er zu Gandalf, der unruhig zurückblickte. Seine royalblauen Augen glühten bedrohlich.
,,Herr Beutlin hat die Gelegenheit erkannt und sie ergriffen! Seit er aus seiner Türe getreten ist, hat er an nichts anderes als sein weiches Bett und seinen warmen Ofen gedacht! Er wollte gehen und das tat er auch. Ich sage dir, wir werden unseren Hobbit nicht wieder sehen. Er ist fort, und das schon längst!" Sein Blick war kalt und seine Augen glimmten schonungslos. Er hob sein Haupt und sah abwartend auf Gandalf herab. Fili und Kili sahen sich bedrückt an und senkten ihre Blicke zu Boden. Es herrschte eine angespannte Stille. Ich sah von ihnen weg und lehnte mich noch lauter atmend gegen den Baumstamm. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, seine finsteren Worte aus meinem Kopf zu bekommen. Denn das letzte, was ich wollte, war, vor all den anderen wieder Schwäche zu zeigen. Tief sog ich die Luft ein und schluckte. Ich kann nicht gehen. Ich bin so weit gekommen und der Rückweg ist so lang... Ich habe den Zwergen etwas versprochen. Und ich werde mein Versprechen einhalten. Es ist mir egal, was der eine oder andere von mir denkt. Ich werde diese Reise fortsetzen. Denn ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen. Ich streifte mir den Ring vom Finger und trat hinter dem Baumstamm vor.
,,Nein", rief ich mit fester Stimme und ging einen Schritt auf die Lichtung zu.
,,Ist er nicht." Mein Blick wanderte behaglich zu Thorin, der mich mit einem undefinierbaren Blick von oben bis unten ansah. Er trat zurück und stützte sich mit beiden Händen auf sein Schwert ab. Meine Augen sahen genau in seine. Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, doch ich konnte einen Hauch von Verblüffung in seinen harten Gesichtszügen sehen. Und ein Funken von Schuld blitzte in seinen dunkelblauen Augen auf. Ich hörte, wie jemand erleichtert ausatmete und blickte nach links. Gandalf lächelte mich strahlend an und umfasste beglückt seinen Holzstab.
,,Bilbo Beutlin! Noch nie war ich so glücklich, jemanden wiederzusehen!", sagte er mit einem erleichterten Lachen und ging auf mich zu, um mir auf die Schulter zu klopfen. Meine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln und ich spürte das Gefühl von Dankbarkeit in meinem Bauch aufkommen.
,,Bilbo, wir hatten dich schon fast aufgegeben!", rief Kili und ich drehte mich zu ihm. Auf seinen Lippen lag ein riesiges erleichtertes Grinsen und meine Mundwinkel zogen sich unumgänglich in die Höhe. Fili neben ihm lächelte ebenfalls erfreut, doch seine Stirn legte sich nachdenklich in Falten, als er seine Augen lange über meine Erscheinung schweifen ließ.
,,Wie um alles in der Welt bist du an den Orks vorbeigekommen?", fragte er nach einem Augenblick und seine Stimme klang erstaunt. Ich war mir sicher, dass ich bei der Erwähnung eines unsichtbar machenden Ringes nur Gelächter erhalten würde, daher verschwieg ich dies lieber. Selbstsicher lächelte ich ihm zu.
,,Nun, ich bin der Meisterdieb, schon vergessen? Ist ein Berufsgeheimnis", gab ich sicher wieder und ließ den Ring unauffällig in meine Jackentasche gleiten. Meine Finger blieben in der Tasche und umfühlten den kühlen Gegenstand. Hm. Fühlt sich erschreckend gut an. Als es mir auffiel, ließ ich es abrupt sein und zog meine Finger aus der Tasche. Ich senkte meine Hände und tat, als klopfte ich mir den Schmutz von der Jacke. Gandalfs Augen musterten mich dabei ausgiebig und ich schielte zu ihm. Wusste er etwa... Bescheid?, dachte ich und fühlte ein panisches Rumpeln in mir. Da erschien wieder das strahlende Lächeln auf seinem Gesicht.
,,So kenne ich meinen Hobbit und überhaupt, es spielt doch keine Rolle. Er ist wieder bei uns, das ist, was zählt!", gab er fröhlich von sich und wollte sich von mir wegdrehten, wurde jedoch von Thorins unschlüssigem Ausdruck abgehalten. Der Zwergenkönig sah von Gandalf zu mir und mir gefror das Blut unter seinem innigen Blick.
,,Es spielt eine Rolle, ich will es wissen. Warum ... bist du zurückgekehrt?" Seine Stimme klang abweisend und gleichzeitig wissbegierig. Er sah mich eingehend an und seine flammenden Augen bohrten sich durch meine Gedanken. Mir wurde warm im Körper und meine Kehle schnürte sich zu, doch ich konnte mich von seinem herrscherischen Blick nicht abwenden. Nervös schluckte ich und überlegte mir die folgenden Worte gründlich.
,,Ich... ich weiß, du hast an mir gezweifelt und das schon von Anfang an. Gleich, als du mich das erste Mal gesehen hast. Und es stimmt, ich denke oft an Beutelsend zurück. Ich vermisse meine Bücher. Meinen Kamin. Meinen Schaukelstuhl. Und besonders meine Pfeife..." Die anderen Zwerge lachten und das unwohle Gefühl in meiner Brust legte sich. Meine Stimme war entschlossen und mein Ton aufrecht.
,,Denn das ist, wo ich hingehöre. Das ist meine Heimat. Und das ist auch der Grund weshalb ich zurückkam. Denn ihr alle habt keine mehr. Sie wurde euch genommen. ... Doch ich helfe euch, sie zurückzuerlangen, wenn ich kann." Eine Anspannung machte sich in meiner Brust breit und ich wartete zögerlich Thorins Reaktion ab. Seine Gesichtszüge wurden weicher, seine Augen leuchteten hell. Er neigte seinen Kopf und sah mir anerkennend in die Augen. Langsam atmete ich die angehaltene Luft wieder aus und spürte eine angenehme Wärme, die in meiner Brust anschwoll. Thorin nahm die Hände von seinem Schwert und blickte auf den Boden hinab. Er wirkte etwas eingenommen und ich begutachtete sein Gesicht. Seine Augen trafen wieder auf meine und ich sah Reue in seinen Gesichtszügen. Es wirkte, als wollte er sich für das entschuldigen, was vor der Orkstadt passiert war. Doch kein Wort kam über seine Lippen. Nur sein Blick verriet mir, dass es ihm leidtat.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt