-26- Spannungen

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Wir trafen auf die anderen Zwerge und Gandalf. Mein Blick huschte sofort zu Thorin, doch er beachtete mich nicht. Er trug ein dunkelbraunes Hemd und darüber den dünnen Schuppenpanzer, dem er sein Leben zu verdanken hatte. Woher er wohl das Hemd bekam? Ob es ihm jemand gegeben hat? Oder hat der Zauberer es ihm herbeigezaubert?, witzelte ich. Fili steuerte auf Bombur zu und bekam etwas von ihm in die Hand gedrückt. Ich ging ihm hinterher und er drehte sich beschwingt zu mir um.
,,Hier, Bilbo, ist leider kalt. Ich hoffe du magst... angekohlte Pilze", sagte er und hielt mir einen Stock mit aufgespießten Waldpilzen vor die Nase. Ich nahm ihn entgegen und begutachtete ihn.
,,Danke. Nett von dir, dass du an mich gedacht hast", meinte ich ehrlich und Fili lächelte mich breit an. Ich biss etwas von dem Spieß ab und kaute auf dem ledrigen Stück herum. Lieber das als gar nichts, dachte ich.
,,Wirklich begeistert wirkst du jetzt nicht", lachte Fili und sah mir beim Kauen zu. Ich schluckte das Essen mühsam hinunter und grinste zurück.
,,Da fehlen ein paar Gewürze, wie Salz, Pfeffer oder einfach ein Geschmack, aber abgesehen davon sind wir ganz gut dabei", fand ich mit gespielter Überzeugung. Filis Grinsen wurde breiter.
,,Ich werde es dem Koch ausrichten", sagte er und drehte sich kurzweg zu Bombur, um ihn in ein Gespräch zu wickeln. Für einen kurzen Moment starrte ich ihn verdutzt an, doch dann umgriff ich den Mantel in meiner Hand fester. Ich sollte ihn zurückgeben. Obwohl ich ihn gerne behalten würde... Ich drehte mich zu den anderen Zwergen und fühlte mich unvermittelt beobachtet. Mein Blick schweifte zu Thorin, der mich mit finsterer Miene musterte. Als ich ihm vorsichtig in die bohrenden Augen sah, wandte er sich kalt von mir ab.
,,Brechen wir auf."
Seine Stimme klang eisern und gebieterisch. Ich sah ihm irritiert hinterher und spürte eine Kälte in meinem Körper aufkommen.
,,Fandest du die Bemerkung von Fili nicht auch seltsam? Was sollte das bedeuten?", fragte Kili plötzlich neben mir. Ich beachtete ihn nicht, denn ich hatte nur Augen für Thorin.
,,Kein Schimmer", meinte ich und reihte mich zwischen den anderen Zwergen ein. Ich kämpfte mir einen Weg durch die Meute und knabberte dabei am Pilzspieß, bis ich bei der vordersten Reihe ankam. Ich spürte wie meine Knie weich wurden, als ich mich in die Nähe von Thorin bewegte. Am liebsten hätte ich kehrt gemacht, doch ich wollte ihm unbedingt den Mantel zurückgeben, nachdem ich ihn mir im Traum so unter den Nagel gerissen habe. Ich ging unsicher auf ihn zu und mit jedem Schritt stieg meine Nervosität.
,,Uhm... Thorin?", murmelte ich, als ich fast neben ihm stand. Er sah mich nicht an, doch brummte als Antwort. Ich biss mir unsicher auf die Wangeninnenseite.
,,Hier ist dein Mantel." Meine Stimme klang heiser und ich räusperte mich. Thorin blickte mich kurz an und nahm mir den Mantel ab, den er sich gleich gewandt überzog. Er sieht so gut darin aus, schoss mir durch den Kopf. Ich vermied es, mir auf die Lippe zu beißen und sah schnell nach vorne. Nach einiger Zeit des Schweigens und des Suchens nach Worten nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und meinte:
,,E-ehm, ich wollte dich heute morgen wirklich nicht belästigen. Ich dachte nur, jemand wie ... der König ... würde ein wenig Abstand gutheißen." Ich hätte mir gerne selber eine Schelle für meine Worte verpasst. Ich fasste mir in den Nacken und sah starr auf den Boden.
,,Ich bin kein König", sagte Thorin trocken. Doch. Für mich schon, schoss mir schlagartig durch den Kopf. Ich sah wieder auf.
,,W-was ich sagen will ist, dass i-ich gestern überaus gut zur Ruhe kam und... ich habe es... ehm... sehr wertgeschätzt", stammelte ich. Innerlich hoffte ich, dass diese Worte nicht allzu albern klangen, wie ich dachte.
,,Was genau hast du so wertgeschätzt, Meisterdieb?", fragte Thorin und ich bekam schlagartig eine Gänsehaut. Ich erkannte ein minimales verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen.
,,D-dein... Wohlwollen...?", antwortete ich und stockte. Thorin sah mich lange an und schien jeden Millimeter meines Gesichts zu mustern. Ich wurde unruhig.
,,Deine Wangen erröten sich gar nicht mehr so gründlich", merkte er an und natürlich wurde ich in dem Moment scharlachrot im Gesicht. Er lächelte amüsiert.
,,Da wäre es wieder." Ich starrte auf den Boden. Bilbo, du bist wirklich peinlich. Wo ist nur meine Selbstsicherheit geblieben? Ich schluckte und strich mir eine Locke hinter mein Ohr.
,,Du nutzt das aber aus...", murmelte ich und ließ den abgeknabberten Stock auf den Boden fallen. Thorins Augen glitten zu meinem Ohr und ich ließ langsam meine Hand sinken.
,,Heißt das, ich bin der Grund dafür?", fragte er süffisant. Ich stockte und sah in sein Gesicht hinauf. Oh, verdammt. In meinem Kopf suchte ich vergeblich nach einer Ausrede.
,,N-nein... Das... passiert mir bei allen möglichen Dingen", behauptete ich und lachte nervös. Thorins Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln. Sein Blick schweifte über die Landschaft und ich folgte seinen Augen. Auf seinem Gesicht erschien ein genießerischer Ausdruck.
,,Du bist wirklich tapfer, Bilbo. Und stark. Und deinen Mut hast du uns allen bewiesen, ganz besonders mir. Du hast mir das Leben gerettet und dafür bin ich dir ewig dankbar. Ich hoffe, du weißt das", sprach er ohne Vorwarnung und so ehrlich, dass meine Brust sich erwärmte. Diese Worte von ihm zu hören, verlieh mir ein sonniges Gefühl im ganzen Körper.
,,Jetzt schon...", meinte ich leise und seine tiefblauen Augen sahen wieder in meine. Er verlangsamte seine Schritte und passte sich der Geschwindigkeit meiner an.
,,Verrätst du mir, was dir in der Orkstadt widerfahren ist, während du von uns getrennt warst?", fragte er und ich entdeckte einen Funken von Neugier in seinen Augen. Ich musste lächeln, obwohl das, was mir in der Höhle passiert war, überhaupt nicht zum Lachen war.
,,Ich... ich wurde von den Orks übersehen, als sie euch fortgetragen haben. Bin in dem Tumult einfach untergetaucht. Ich wollte euch hinterherlaufen, doch einer der Orks griff mich an, ich versuchte, ihn abzuwehren und stürzte in die Tiefe. Irgendwo stieß ich mit dem Kopf gegen etwas. Ich weiß nicht genau, wie lange ich bewusstlos war." Thorin sah mich bestürzt an und ich lächelte ihm milde zu.
,,Als ich aufwachte, traf ich auf eine seltsame Kreatur, die mit sich selbst sprach. Ich wollte, dass er mir den Weg hinaus zeigte und er bestand darauf, ein Rätselspiel daraus zu machen. Ich gewann es, doch dann entschied er, dass er mich viel lieber verspeisen wollte", erzählte ich weiter. Thorin lauschte mir aufmerksam und zog bei meinen letzten Worten die Augenbrauen zusammen. Während ich ihn von der Seite ansah und meine Augen über sein Gesicht schweifen ließ, fuhr ich fort:
,,Ich entkam ihm nur knapp und entdeckte euch an mir vorbeilaufen. Den Rest kennt ihr dann. Doch a-auf, uh, meiner Flucht habe ich auch meine ganzen Knöpfe verloren...", murmelte ich. Vertieft sah ich an mir herunter und trauerte innerlich meiner wunderschönen Jacke nach. Plötzlich schnaubte Thorin neben mir, doch nicht aus Verachten, sondern aus Amüsiertheit.
,,Du wärst fast von einer Kreatur verspeist worden und dir ist das Aussehen deiner Jacke bedeutsamer?", erwiderte er belustigt und seine Augen leuchteten mich an. Etwas verlegen räusperte ich mich und fuhr mit den Fingern über die aufgerissenen Nähte.
,,Jetzt, wo du es sagst...", gab ich leise von mir und nahm die Hände von meiner Jacke. Ich sah wieder zu ihm auf und er lächelte mir sanft zu.
,,Sie ist auch ohne all die Knöpfe hübsch", fand er plötzlich und ich sah ihm überrascht aus offenem Mund an. Thorin schmunzelte und ich presste die Lippen aufeinander. Hübsch? Er findet meine Jacke hübsch? Ich fühle mich geschmeichelt. Meine Wangen prickelten warm und ich lächelte in mich hinein.
Wir liefen schweigend nebeneinander her. Ich musste meine wirren Gedanken ordnen und das ständige Erwärmen meiner Wangen zu einer plausiblen Erklärung deuten. Noch nie während meiner Lebtage wurden meine Wangen heiß, noch nie bekam ich bei der Stimme einer Person einen derart kalten Schauder und noch nie spürte ich diese Wärme, dieses penetrante Prickeln in der Gegend meiner Brust. Es machte mir ein wenig Angst und ich fragte mich, ob ich mir denn nicht Würmer oder andere Parasiten eingefangen haben könnte, doch dann fand ich keine Erklärung für die wohlige Wärme, die dort stattfand. Doch instinktiv hatte ich eine kleine Ahnung von dem, was in mir vorging.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt