-27- Welch ein Dienst

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Als ich meine Augen aufschlug, wusste ich zuerst nicht, wo ich mich befand. Ich verspürte keine Wärme in meinem Bauch und fühlte mich augenblicklich einsam. Doch ich war gleichzeitig auch gut ausgeruht, besser als je zuvor. Vom Schlaf noch ermüdet und mit trüber Sicht setzte ich die Hände auf den erdigen Boden ab und stützte mich hoch. Erdig? Ich rieb mir die Augen und entdeckte das erloschene Lagerfeuer vor meinen Füßen. Ich hielt in meiner Bewegung inne. Lagerfeuer? Mein Kopf drehte sich nach rechts und ich starrte mit gerunzelter Stirn auf den Berg, auf dem ich doch zum gestrigen Abend noch gesessen hatte. Ich starrte zurück auf das Lagerfeuer und mein Kopf rauchte vor Anstrengung. Meine Gedanken kreisten umher. Gestern war ich noch dort oben. Auf dem Pfad. Jetzt bin ich hier unten. Beim Lagerfeuer. Doch ich war dort oben. Ich war nicht allein. Neben mir saß jemand. Ich hab mich an ihn angelehnt. Thorin. Wo ist er? Mein Gedankengang wurde von einer vergnügten Stimme unterbrochen.
,,Na, Bilbo, gut ausgeruht?" Ohne ein Gesicht zu erkennen, konnte ich der quirligen Stimme sofort einem Zwergen zuordnen.
,,Fili", murmelte ich träge und strich mir eine gekringelte Locke hinter das Ohr, die mir nervtötend an der Wange kitzelte. Fili gluckste beschwingt und flötete:
,,Wie... he-erm, war es denn gestern noch mit meinem Onkel?" Ich spürte das Blut in meine Wangen fließen und blickte erschrocken zu ihm. Das schwungvolle Lächeln auf seinen Lippen verunsicherte mich.
,,Was... soll denn gewesen sein?", fragte ich unverschuldet und sah auf den Boden hinab. Mit den Augen suchte ich nach kleinen Steinchen, mit denen ich Fili bewerfen könnte. Hm. Der ist groß genug, um das Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen. Fili kam einen großen Schritt auf mich zu und lächelte mich geheimnisvoll an.
,,Wunderst du dich denn gar nicht, wie du hier unten gelandet bist?", fragte er und hob verschmitzt eine Augenbraue. Ich sah ihm ins Gesicht und zeigte ihm wortlos den Vogel. Er sog die Luft ein und sah mich geschockt an. Plötzlich wanderte seine Hand zu seiner Schulter, um ein scharf glänzendes Schwert hervorzuziehen. Auf seinem Gesicht befand sich ein herausforderndes Grinsen und meine Augen weiteten sich vor Argwohn. Er will also auf Unbewaffnete losgehen? Wirklich ohne Anstand, dieser Zwerg. Schnell stand ich auf und ließ die schimmernde Schwertklinge nicht aus den Augen. Ich bemerkte schwarzes Blut, das an der metallenen Oberfläche klebte und unterdrückte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Filis Augen funkelten kampflustig, doch es wirkte nur sehr spielerisch und nicht ernst, zu meiner Erleichterung.
,,Zieh dein Schwert, du ungehobelter kleiner Hobbit!", rief er und streckte mir die Spitze aus Stahl entgegen. Meine Finger legten sich um die Schwertscheide an meinem Gürtel und ich bemerkte das leichte und hohl wirkende Gewicht. Irritiert sah ich an mir herunter.
,,Welches Schwert soll ich denn ziehen, wenn ich keines zur Hand habe?", fragte ich und sah wieder zu Fili, der noch immer in einer angriffsbereiten Kampfstellung zu mir stand. Seine Mundwinkel zuckten kurz in die Höhe und ich fügte hinzu:
,,Oder noch besser, rück es einfach gleich heraus." Er ließ das Schwert sinken und zog ein weiteres, deutlich kleineres Schwert hervor, das er mir zuwarf. Ich fing es auf und versuchte das dunkle Blut zu ignorieren, als ich es zurück in die Schwertscheide steckte.
,,Sind alle Hobbits solche Langweiler wie du, Bilbo Beutlin?", fragte Fili seufzend und steckte seines ebenfalls wieder weg. Ich zuckte mit den Schultern und meinte gewitzt:
,,Verzeih mir, dass ich dich enttäuschen muss, doch mich gibt es nur in einer Verfassung und die steht genau vor dir. Hüte demnach deine Zunge, sonst schneidet sie dir noch jemand ab." Ich lächelte ihn selbstsicher an, doch Fili gluckste nur belustigt.
,,Wer denn, du etwa? Du greifst doch erst zu deinem Schwert, wenn Thorin etwas zustoßen könnte", gab er siegesgewiss von sich und zwinkerte mir zu. Ich mied seine bohrenden Augen und suchte stattdessen die Umgebung mit meinen Blicken ab. Bloß wegschauen. Was fällt dem ein? Er erzählt völligen Stuss. Um uns herum wirkte es verlassen und es schien niemand anwesend zu sein, nur die Schuhabdrücke in der Erde und die Reste des Lagerfeuers verrieten einen möglichen Aufenthalt.
,,Wo sind die anderen?", fragte ich. Filis geheimnisvolles Grinsen wurde breiter.
,,Am Fluss", sagte er nur mit heiterem Ton. Ich nickte leicht und runzelte nachdenklich die Stirn.
,,Müssten wir uns nicht beeilen, um zu diesem Freund von Gandalf zu gelangen?", erinnerte ich mich an die Worte von vorletzter Nacht. Fili seufzte, doch warf mir einen gelassenen Ausdruck zu.
,,Frag mal Gandalf, der brodelt vor Wut und hat eine beträchtliche Röte im Gesicht. Erinnert mich an jemanden", meinte er und sah mich frech an. Ich rollte die Augen, da knuff er mir plötzlich in die Wange. Empört wich ich zurück und spürte meine Wangen noch flammender werden. Fili grinste heiter und drehte sich auf dem Absatz um.
,,Komm mit, es ist noch nicht lange her, seit sie zum Fluss gegangen waren. Wahrscheinlich wurden sie schon von Gandalf zusammengekehrt und sind bereit, aufzubrechen", rief er mir über seine Schulter entgegen. Ich folgte seinen beschwipsten Schritten und fuhr mir stutzig durch die Locken. Er verhält sich seltsam. Anders. Ist etwas in meiner Abwesenheit vorgefallen? Wie bin ich dort unten beim Lagerfeuer gelandet? Bin ich schlafgewandelt oder noch einmal aufgewacht, ohne mich daran erinnern zu können? Wir kamen am Fluss südöstlich unseres Lagers an und ich entdeckte auf der Stelle den vor Ärger grummelnden Gandalf. Er stand einige Meter vor dem Fluss neben einem Baum und stützte beide Hände auf seinem Holzstab ab.
,,Ihr habt genug gehabt, jetzt legt wieder eure Kleider an und setzt unsere Reise fort, die Feinde sind uns auf den Fersen! Meine Güte, ihr solltet das wirklich ernster nehmen!", rief er aufgebracht. Meine Ohren spitzten sich und ich starrte auf das in der Sonne spiegelnde Wasser. Neben Gandalf stoppten wir und ich erkannte, was sich vor unseren Augen abspielte.
,,Oh, verdammt", murmelte ich und sah schnell auf den von Kieselsteinen bedeckten Erdboden hinab. Fili neben mir kicherte und ich spürte, wie meine Wangen noch stärker brannten. Nicht schon wieder. Zum Glück stehen sie bis zum Bauch im Wasser, damit ich nichts Schlimmes sehen muss. Gandalf drehte sich zu uns um.
,,Ah, Bilbo, schön, dass du zu uns stößt. Wir pflegten die Absicht, die Wunden von Thorin mit frischem Wasser zu versorgen und einen neuen Verband anzulegen, doch der Rest der Zwerge scheint meine Befehle großzügig zu missachten", erklärte er etwas weniger aufgelöst. Ich verspürte ein mulmiges Gefühl, wusste es aber nicht einzuordnen. Es näherten sich Schritte und ich hob wieder meinen Blick. Vor uns standen Kili, Dwalin und Thorin. Sie trugen ihre Kleidung, hatten die Schwerter gezückt und ich bemerkte, dass Thorin mich ansah, doch ich wich seinem Blick aus. Denn das mulmige Gefühl in mir überwog und ich wusste, es würde bei seinem Anblick zunehmen, so gerne ich ihn auch angesehen hätte. Ich spürte, wie er wieder den Blick von mir nahm.
,,Wir konnten die Umgebung sichern, sollten aber sofort aufbrechen", sprach Thorin ernst. Kili warf seinem Bruder vorsichtige Blicke zu, der sie nicht beachtete. Gandalf nickte und richtete sich auf.
,,Gut, wir sollten in der Lage sein, die verstrichene Zeit einholen zu können", sagte er überzeugt. Mit einem Kopfnicken zu Dwalin gab Thorin den Befehl, die anderen Zwerge zusammenzupferchen. Nach einigen Minuten standen alle Zwerge vollständig bekleidet in einer Reihe um uns herum und haben mich vergnügt begrüßt. Ich selber hatte mich nur verlegen im Nacken gekratzt und ihnen eine kleine Begrüßung zurückgemurmelt.
,,Reiht euch ein und marsch, die Feinde sind uns auf den Fersen", befahl Gandalf knapp, drehte sich um und stapfte voran. Fili sah mich schulterzuckend an und folgte ihm schnellen Schrittes. Ich sah ihm verwirrt hinterher, da stand schon Kili neben mir. Wir stapften eine Zeit lang schweigend nebeneinander, als Kili fragte:
,,Ist irgendetwas, Bilbo? Du wirkst abwesend und bist so schweigsam." Ich schüttelte nur den Kopf, um ihm zu verdeutlichen, dass ich nicht darüber reden wollte. Doch die Fragen fraßen sich weiter in meinen Kopf und ich wusste, Kili hatte Antworten darauf.
,,Also, ich verstehe eines nicht. Gestern Abend saß ich auf dem Berg zum Auskundschaften und bin dort eingeschlafen, heute wache ich an einem ganz anderen Ort auf und das sogar all- eh, egal. Hat Gandalf seine Finger im Spiel gehabt?", fragte ich. Kili schmunzelte wissend und ich hob fragend die Augenbraue. Er hob abwehrend die Hände.
,,Gut, gut, ich verrate es dir, du bist ohnehin der einzige, der es nicht mitgekommen hat. Nun, als Thorin nach einiger Zeit von Dwalin abgelöst wurde, hat er dich kurzerhand hochgehoben und den ganzen Weg bis zum Lager hinuntergetragen. Dann hat er sich neben dich gesetzt und ihr seid friedlich eingeschlafen, das weiß ich jedenfalls von Ori." Meine Augen wurden groß und meine Kehle fühlte sich staubtrocken an.
,,Er... er hat mich getragen? War ich denn nicht zu schwer?", fragte ich und zog verlegen am Saum meines Hemds. Kili lachte laut und zog die Aufmerksamkeit der anderen Zwerge auf sich, entschuldigte sich schnell und lächelte mich über beide Ohren an.
,,Du und schwer? Für mich sah das so aus, als trüge er ein Kissen aus Daunenfedern, mit welcher Leichtigkeit er mit dir auf dem Arm durch die Gegend spaziert ist." Ich biss mir auf die Wangeninnenseite, um mein Lächeln zu verstecken. Ein anderer Gedanke schoss mir bei seinen Worten durch den Kopf, denn ich dachte mich an etwas zu erinnern, was die beiden Brüder mir gesagt hatten.
,,Nehmen wir an, dass dies... in etwa der Wahrheit entspricht. Warum lässt er mich dann zurück, wenn er es selber so verabscheut?", fragte ich. Kili kratzte sich an den Bartstoppeln und schüttelte amüsiert den Kopf.
,,Ach, wenn du wüsstest. Thorin hat das nicht freiwillig getan, er wurde von Dwalin weggezerrt. Sein Hemd hatte nämlich wieder angefangen, das Blut von seinen Wunden aufzusaugen. Und dich wollten wir wecken, aber Thorin hat sich bemüht, dass du deinen Schlaf bekommst", sprach er. Ich spürte einen warmen Schauder in mir aufkommen und starrte auf den Boden. Ich entschied lieber, den Mund die nächste Zeit zu halten und mein vorgehaltenes Grinsen für mich sprechen zu lassen.

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt