-6- Alles tut weh

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Jetzt herrschte nicht nur zwischen mir und den beiden jungen Brüdern eine unangenehme Atmosphäre, sondern mit dem Rest der Gemeinschaft auch. Ich musste sie wieder auflockern und sei es, dass ich mich dafür opfern musste. Und ein klein wenig Spaß bereitete es mir ja auch.
,,Nun, eh... Ich muss euch alle noch was anderes fragen. Warum sind eure ganzen Namen fast identisch mit denen eurer Brüder? Ich meine-", fing ich an, da wurde ich doch tatsächlich von dem Zauberer unterbrochen.
,,Bilbo Beutlin, lass es sein!", rief Gandalf warnend von der Spitze unseres Trabes zurück. Er warf mir einen wütenden Blick zu und auf meinen Lippen bildete sich wieder ein düsteres Grinsen.
,,Wieso? Ist eine berechtigte Frage. Ich meine, hatten eure Eltern einfach keine Lust, sich unterschiedliche Namen auszudenken und haben deshalb nur sinnlos Buchstaben herumgeworfen? Oder fehlten ihnen die... Fähigkeiten dafür? Ohne eure Eltern jetzt beleidigen zu wollen, versteht sich." Ich wusste, ich ging zu weit und die Zwerge würden mich lebendig häuten, aber sie lachten nur. Ich bemerkte Gandalfs entgeistertes Kopfschütteln und wie er prüfend neben sich sah. Neben ihm thronte Thorin auf seinem hübschen schwarzen Breeland-Pony. Er schien wohl meine Bemerkung nicht gehört zu haben oder ging verständlicher Weise nicht darauf ein. Er senkte leicht den Kopf und als ihm einige wallnussbraune Strähnchen in das Gesicht fielen, warf er sie in einer eleganten Bewegung über seine Schulter. Ich sah schnell weg, denn meine Wangen schienen sich schon wieder komischerweise zu erhitzen. Eilig versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, doch ich merkte schon wieder die Blicke der beiden jungen Zwergenbrüder auf mir. Och, nö. Um von meinen Wangen abzulenken, fragte ich laut in die Runde:
,,Sagt mal, an wen erinnert euch das?" Ich setzte mich kerzengerade und mit erhobenem Kopf auf den Rücken. Sie werden mich häuten, ganz sicher. Dann warf ich meine kurzen Locken genau in der gleichen Bewegung wie Thorin über meine Schulter, nur etwas energischer. Die Zwerge prusteten los, Fili und Kili machten mir lachend nach und alle schielten unübersehbar in Thorins Richtung. Dieser bemerkte die Unruhen hinter seinem Rücken und drehte sich verärgert mit seinem Pony zu uns.
,,Was verbreitet ihr für einen Lärm? Wer ist dafür verantwortlich?", rief er aus und ich biss mir auf die Wange. Ich bin geliefert. Sein ernster Blick fuhr über jeden Zwerg. Dori weiter vor mir hatte ein breites Grinsen aufgesetzt und hielt sich die Hand vor den Mund. Thorin bemerkte es und hob fragend eine Augenbraue.
,,Verzeih uns, Thorin, aber unser kleiner Halbl-", sagte Dori und stockte.
Mir soll es recht sein, selber Schuld. Aber kleiner?! Er sah mich mit großen Augen entschuldigend an, doch ich erwiderte darauf nichts, sondern wartete Thorins wahrscheinlich tödliches Urteil ab. Er musterte mich abschätzig und sagte dann mit drohender Stimme:
,,Beutlin, du reitest ab jetzt an vorderster Stelle und lenkst die anderen nicht von unserer Reise ab. Ansonsten müssen wir zu härteren Maßnahmen greifen." Härtere Maßnahmen? Darauf erwidere ich jetzt lieber nichts... Er drehte sich wieder um und setzte seinen Hengst mit einem leichten Tritt in Bewegung. Mein Hals wurde staubtrocken und ich rief nervös aus:
,,Bei Euch?" Und ich hoffte im nächsten Moment, er hatte es nicht gehört.
Warum kann ich nicht einfach nur leise sein? Thorins Blick war starr nach vorne gerichtet.
,,Ja, bei mir", sagte er trocken. Ich schluckte schwer und hätte am liebsten kehrt gemacht, um mich unter meinen warmen Decken zu verkriechen und das alles zu vergessen. Da gab Bofur meinem Pony einen Klaps. Erstarrt saß ich da, während mein Pony bis zum Anfang unserer Truppe trabte und dann mit Thorins Pony Schritt hielt, das nun genau neben mir war. Kerzengerade und mit einem angestrengt nach vorne gerichteten Blick hockte ich im Sattel. Nicht nach links schauen, nicht nach links schauen, nicht nach links schauen, Bilbo. Tu. Es. Nicht. Ich schielte nach links.
Thorin sah aufmerksam nach vorne über die blassgrünen Wiesen hinweg und bemerkte meinen Blick sofort. Seine tiefblauen Augen trafen auf meine und ich sah schnell wieder weg.
Peinlich. Peinlich. Peinlich. Peinlich. Und warum wird mir schon wieder so warm im Gesicht?

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Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich die ganze Zeit über nur nach vorne gestarrt hatte, befanden wir uns an der Wetterspitze, dem riesigen Berg in den Einsamen Landen. Ich konnte nicht fassen, dass wir schon das Auenland und ganz Breeland hinter uns gelassen haben. Und das nur nach einem Tag. Die Zwerge stoppten bei einem großen Felsen mit kleinen Nischen, die uns ein wenig Schutz bieten sollten. Nur wusste ich nicht, wovor wir Schutz brauchten und wollte es auch gar nicht so genau wissen. Wenn es hart auf hart kommt, lasse ich mich gerne überraschen, überlegte ich, denn ich wollte mir nicht unnötige Sorgen bereiten, was wahrscheinlich ein Fehler war. Langsam kam unsere Gemeinschaft zum Stehen und ich war herzlichst dankbar dafür. Nach diesem Tag schmerzte mir wirklich alles; mein Hintern, meine Weichteile, mein Rücken und mein knurrender Bauch. Ich war erstaunt darüber, dass ich noch nicht vor Essensmangel tot umgefallen war, geschweige denn, nicht nach etwas gebettelt hatte.
,,Mir. Tut. Alles. Weh", jammerte ich und mir war sogar egal, wer das mitbekam. Kili hüpfte gelassen von seinem Pony herunter und grinste mich belustigt an.
,,Wirklich ... alles?", fragte er und sein Grinsen wurde noch breiter. Ich rollte die Augen.
,,Ja, wegen euch zwei Witzbolden in der Tat alles!", meinte ich verärgert und Kili gab ein lautes Glucksen von sich. Ich beachtete ihn nicht weiter und versuchte aus meinem Sattel zu kommen, doch wenn ich sagte, mir tat alles weh, dann stimmte das auch gewaltig. Ich zischte vor Schmerz auf, als ich mein rechtes Bein heben wollte und ließ es lieber bleiben. Na großartig, was mache ich denn jetzt? Muss mir etwa jemand vom Pony helfen? Wie erniedrigend. Wen frage ich denn da? Gandalf, Fili, Kili? Oh, Herr im Himmel, bloß nicht. Vielleicht sollte ich einfach die Nacht auf dem Ponyrücken verbringen.
Während ich überlegte, waren schon alle anderen von ihren Ponys gestiegen und bereiteten nun das Nachtlager vor. Thorin beschloss verantwortungsbewusst wer Holz holen, Essen zubereiten oder das Gepäck abladen sollte. Die Zwerge gehorchten ihm ohne Weiteres und widmeten sich sofort den ihnen aufgegebenen Verpflichtungen. Kili fällt weg, der muss mit den anderen Zwergen Holz sammeln gehen. Fili scheint mit den anderen eine Art Schlafecke gestalten zu wollen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob- ... Ah, jetzt holt er die Schlafsäcke. Wo steckt Gandalf? Hat er sich irgendwo verkrochen und zieht erstmal kräftig an seiner Pfeife? Wundern würde es mich nicht.
Am liebsten hätte ich das auch getan, doch ich saß gefangen auf einem Pony, das zugegebener Maßen langsam richtig bockig wurde. Es wieherte laut und tippelte widersetzlich auf seinen Hufen herum.
,,Aua! Hör auf dich zu bewegen, das tut verdammt weh! Kann ich ja nichts für, wenn du so einen krummen Rücken hast und mir alle Muskel quetschst. ... Au! Hör auf!", beklagte ich mich und hielt die Zügel fest umklammert. Mit meinem Gerufe schien ich wohl die Aufmerksamkeit auf mich gezogen zu haben, doch ausgerechnet den Herrn Eichenschild hätte ich nicht erwartet. Er kam auf mich zu und wirkte sichtlich verärgert. Ich schluckte schwer. Seine royalblauen Augen fanden meine und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Oh oh.
,,Beutlin, runter von dem Ross und ran an die Arbeit! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, deinem Gejammer zuzuhören!" Ich wich seinem Blick aus und ließ die Zügel aus den Händen gleiten. Auf einmal stand das Pony ganz still und ich hätte ihm am liebsten dafür einen Tritt verpasst. Als Thorin bei mir ankam, fragte er herrisch:
,,Was hast du überhaupt?" Ich versuchte angestrengt, nach den richtigen Worten zu suchen, doch seine eindringlichen Augen ließen mich keinen klaren Gedanken fassen.
,,I-ich... uh..." Meine Wangen prickelten vor Verlegenheit. Unmöglich kann er die blutrote Farbe übersehen. Sehr gütig von ihm, dass er nicht gleich darauf eingeht, wobei ich nicht einmal selber dazu eine Antwort weiß.
,,Nun?", fragte er drängend und verschränkte die Arme. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte bedacht leise:
,,Ich, ehm, ich komme nicht herunter." Er verzog keine Miene und das machte die Situation noch schrecklicher. Auslachen, gut, aber ernst bleiben? Ich schluckte und sah auf die Mähne meines Ponys herab.
,,Und warum nicht, Beutlin?", fragte er und hob eine Augenbraue.
Beutlin? Sprich mich doch mal mit meinem Vornamen an, verdammt!, wollte ich ihn anfahren, doch hätte ich mir das sowieso nicht getraut. Sein kalter Blick durchbohrte mich und meine Augen sahen überall hin, nur nicht zu ihm.
,,D-das liegt daran, dass ich- ... uh, dass mir ehrlich gesagt jedes einzelne Körperteil schmerzt", stammelte ich und sah ihm zögerlich in die blau flammenden Augen. Sein Ausdruck war skeptisch und abweisend, doch ich konnte ein kleines amüsiertes Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen. Nur verschwand es augenblicklich.
Plötzlich legten sich zwei starke Hände um meine Hüfte und hoben mich mühelos hoch. Direkt neben dem Pony wurde ich abgesetzt. Es ging so schnell, dass ich keine Zeit hatte, zu protestieren oder irgendeinen Schmerz zu verspüren. Jetzt stand ich überrumpelt da und spürte meine Wangen vor Hitze kochen. Mein Mund war trocken und mir war unerträglich warm.
,,So, und jetzt mach dich nützlich", sagte Thorin und ging einfach fort.
Ich starrte ihm hinterher, bis mir auffiel, dass ich vor Schreck die Luft angehalten hatte und atmete erst einmal tief durch. Ich spürte seine großen Hände noch immer auf meinen Hüften und strich schnell meine Jacke glatt. Was passiert nur mit mir...

King Under The Moantain | bagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt