Kapitel 9

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Milans Sicht

Nachdem Marco das ganze Schreiben des Psychologen vorgelesen hatte, trat erstmal Stille ein. Sie hat ein Trauma durchlebt und tat dies wahrscheinlich immer noch. Sie hatte Vertrauensprobleme und wollte sich nicht helfen lassen. Doch gerade Hilfe und ein fester Halt im Leben würden ihr gut tun. 

Einerseits wussten wir jetzt mehr über sie als wahrscheinlich andere, aber andererseits konnte ich nicht einschätzen, wie sie reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass wir das alles wussten. Wobei ich mir sicher war, dass da noch mehr dahinter steckte. 

Marco holte Diego und mich mit einem Räuspern wieder in die Realität, da wir beide etwas zusammen zuckten. "Wirklich sachlich ist das aber nicht geschrieben.", äußerte sich Diego dazu. "Ja, stimmt. Meine Vermutung ist, dass das einfach ein Zwischenergebnis ist. Allerdings befindet sich kein endgültiges Schreiben bzw. auch kein Diagnosebogen in ihrer Akte.", antwortete Marco. 

"Würde darauf schließen, dass sie entweder noch in Behandlung ist oder abgebrochen hat.", sprach ich meinen Gedanken laut aus. "Ja, wobei ich mich jetzt noch mehr frage, wieso sie uns dann hier schlafen lässt. Ich meine, wenn ich Leuten nicht vertraue, sage ich nicht drei fremden Männern, hey, ja, schlaft ruhig bei mir, ich gehe währenddessen arbeiten und lasse euch alleine.", scherzte Marco mehr oder weniger. 

"Wenn einer dieser Männer sagt, dass er unter gar keinen Umständen im Auto pennen wird und kein Bock mehr hat, hätte ich an ihrer Stelle vielleicht auch so reagiert.", sagte ich schmunzelnd zu Marco. Dieser lachte kurz auf und verdreht die Augen. 

"Denkt ihr, da steckt noch mehr dahinter, als in dem Schreiben steht?", fragte ich. Ich dachte mir zwar schon meinen Teil dazu, aber die Meinung der zwei interessierte mich schon diesbezüglich. "Definitiv.", antwortete mir Diego. "Ich meine, es steht ja auch drin, dass sie sehr wahrscheinlich nicht alles erzählt hat. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie noch mehr beschäftigt, was gar nicht in ihrer Akte steht."

Ein Moment des Schweigens trat mal wieder ein. Bis Marco wieder am Laptop rum tippte. Ich allerdings ging diesmal zur Küche und schaute, was Mimmi so im Kühlschrank hatte. Ich war eher auf der Suche nach den Trauben, als mir eine Flasche Cola in die Hände kam. "Geht auch.", dachte ich mir innerlich und machte mich auf die Suche nach einem Glas. 

Als ich ein Glas gefunden und dieses mit Cola gefüllt hatte, trank ich einen Schluck und stellte es wieder auf der Kücheninsel ab. Gedankenverloren starrte ich aus dem großen Fenster, man hatte einen guten Ausblick auf die Stadt. Alles war draußen in ein nächtliches Schwarz gehüllt, nur die Lichter der Stadt erhellten alles. 

Die Stimme von Marco unterbrach meine Gedanken. "Schaut mal, was ich noch gefunden habe." Ich drehte mich zu den beiden und sah in Marcos Gesicht. Er hatte eine relativ neutrale aber auch besorgte Miene aufgesetzt. Ich nahm den Platz auf der Couch wieder ein, die wohlgemerkt sehr gemütlich war und Marco drehte den Laptop wieder so, dass wir auch darauf sehen konnten. 

"Hier, das ist eine kranken Akte, die ist bei jedem in der staatlichen Akte mit drin. Dort steht drin, welche Krankheiten vorliegen, Allergien, Medikamente, die eingenommen werden müssen und vieles mehr.", fuhr er nun fort. Er machte eine Pause, bevor er weiter sprach: "Wenn von den genannten Dingen eben nichts vorliegt, ist es meistens ein leeres Dokument." "Na komm, jetzt spann uns nicht auf die Folter.", sprach ich, obwohl ich mir schon denken konnte, was jetzt kommt. 

"Hier steht drin, dass Mimmi unter Angina Pectoris leidet. Das ist eine Herzkrankheit, bei der starke Schmerzen in der Herzgegend entstehen können. Ausgelöst wird dies durch die Verengung eines oder mehrerer Herzkranzgefäße. Mimmi muss deswegen solche Tabletten zu sich nehmen. Die heißen Acety...cula...mi...bla bla bla, kann ich nicht aussprechen. Zudem steht noch drunter, wie die erste Hilfe geht, wenn so ein Vorfall auf tritt.", sprach Marco und ich las mir durch, was man tun müsste. 

"Wow, damit hätte ich nicht noch zusätzlich gerechnet.", meinte Diego. Ich sah nochmal auf den Laptop und las mir die Krankenakte ein zweites Mal durch. Ich konnte es einfach nicht glauben. Sie war doch noch so jung und musste täglich solche Tabletten einnehmen. Dann noch das mit ihren Eltern... Dieses Mädchen musste schon so viel durchmachen und wirkte trotzdem so stark. Ich hatte echt Respekt vor ihr und dass ich Respekt vor jemandem hatte, passierte schon echt selten. 

Marco begann nun wieder vor zu lesen bzw. zu sprechen: "Sie scheint aber recht gut damit umgehen zu können, wie hier steht." Er drehte den Laptop wieder zu uns. 

Patientin Mimmi Kiana Evans

Miss Evans geht mit der Krankheit Angina Pectoris sehr gut um. Sie nimmt täglich ihre Medikamente ein und bis auf einmal hatte sie keine Probleme mit der Krankheit. Zudem versucht sie, das Beste aus der Situation zu machen. Sie lässt sich durch die Herzkrankheit die Freude nicht nehmen und lebt ein relativ normales Leben. Jedoch muss beachtet werden, dass die Tabletten, siehe Vermerk 1 auf Seite 2, nur einmal am Tag eingenommen werden, auf keinen Fall zweimal am Tag. Dies könnte zu Nebenwirkungen führen. 

Diesmal las ich den Text laut vor. "Naja, scheint ihr ja wirklich nicht schlecht damit zu gehen.", sprach Diego. "Das Mädchen musste schon mehr durchmachen als manch Erwachsener.", sagte ich etwas gedankenverloren. 

Um aber nicht schwach oder ähnlich zu wirken, beschloss ich dem ganzen ein Ende zu setzen: "So... wer schläft wo? Ich werde müde, schließlich waren wir heute viel unterwegs und es ist schon kurz nach 1 Uhr." "Also mir ist das egal.", kam es von Marco und Diego nickte zustimmend. 

"Nun gut, ihr zwei geht ins Schlafzimmer und ich bleib auf der Couch.", beschloss ich, um irgendwelche Diskussionen zu vermeiden. Kurzerhand nahmen die zwei ihre Sachen und verschwanden im Schlafzimmer. 

Ich machte es mir, so gut es ging, auf der Couch gemütlich. Sie war recht groß und ich hatte genug Platz. Ich nahm mir ein paar kleine Kissen und legte sie so zusammen, dass ich gut darauf liegen konnte. Zudem lag am Ende der Couch auch eine dünne Decke. Diese schnappte ich mir und legte sie mir zurecht. Im Bad zog ich mich um und putzte mir noch die Zähne.

Zurück im Wohnzimmer legte ich mich nun auf die Couch und rückte mich ein wenig bequemer hin. Ehe ich noch einen Gedanken an den Tag und die Begegnung mit Mimmi fassen konnte, umhüllte mich schon die Dunkelheit und ich schlief ein. 

Ich wurde kurze Zeit später aber wieder wach, da ich Geräusche hörte. Sie kamen sehr deutlich von der Tür und ich hörte, wie diese sich öffnete. Das Licht wurde an gemacht und ich konnte die Schritte auf dem Boden hören. Meine Augen waren immer noch geschlossen, da ich nicht wollte, dass die Person wusste, dass ich wach war. 

Bedacht, dass ich genug Feinde hatte, griff ich langsam unter die ganzen Kissen und schloss meine Hand um die Waffe, die ich dort platziert hatte. Mit einem Satz sprang ich von der Couch auf und zielte direkt auf die Person, die mit dem Rücken zu mir in der offenen Küche stand. Mit einer etwas verschlafenen und rauen Stimme sprach ich selbstsicher: "Hände hoch oder ich erschieße dich hier und jetzt." 

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