Kapitel 56

451 23 16
                                    


"Mario...", kam es zähneknirschend von mir. "Das würde ich ja auch gerne sagen, aber ich lüge so ungern.", meinte ich gelassen, auch wenn ich wusste, dass ich mit dem Tod spielte. Wenn ich Mario einmal zu viel blöd anmachen würde, wäre das nicht sonderlich vorteilhaft.

"Reizend wie immer. Aber ich bin ja nicht hier, um mit dir einen Kaffee zu trinken, Kleines. Wobei, das ließe sich bestimmt auch einrichten.", meinte Mario und lächelte mich liebevoll an. Wow, ich wusste nicht, ob mir dabei warm ums Herz werden sollte oder ob ich Angst verspüren sollte. Wahrscheinlich eher letzteres, schließlich war er ein kaltblütiger Mörder. Gut, das war Milan auch.

Doch Mario schüttelte nur den Kopf. "Alles mit seiner Zeit. Ich brauche dich erstmal als Druckmittel und Informationsquelle. Deswegen ist es sehr gut, dass du wach bist.", sprach er so, als ob es alltäglicher Kram wäre.

"Was willst du verdammt nochmal?", kam es leicht sauer von mir. "Ach Kleines, das habe ich doch gerade gesagt. Scheint, als wärst du noch nicht ganz bei klaren Sinnen.", entgegnete er mir mit einer tiefenentspannten Stimme.

Er zog sich den Stuhl, der in der Ecke stand, bei und setzte sich neben mich. Ein kleines bisschen hatte ich das Gefühl, als würde ich wieder beim Psychologen sitzen und ihm meine Probleme erzählen. Zumal sich Mario auch genauso hinsetzte - Beine überkreuzt, Hände auf den Schoß.

"Also... erzähl doch mal ein bisschen von dir und Milan. Ich kenne zwar das meiste, aber mich würde deine Sicht ja mal brennend interessieren, Kleines.", sprach er. Eine Gänsehaut machte sich breit. Diese ruhige Art wirkte bedrohlicher, als wenn er wütend war.

Doch ich versuchte, standhaft zu bleiben, einfach nicht einschüchtern lassen. "Ach, ich erzähle dir gerne mal davon, wenn die Sonne scheint und wir einen Kaffee gemeinsam trinken. Oder, was hältst du davon?", wagte ich seine übertriebene Freundlichkeit wieder zu geben.

Er lachte: "Du traust dich mehr als gedacht. Respekt. Du bist ein taffes Mädchen, das muss man dir lassen. Jetzt weiß ich, was Milan so an dir findet, dass er dir wirklich alles anvertraut. Du bist taff, mutig, aber auch leichtsinnig. Es ist dein Glück, dass mit dir alles so reibungslos geklappt hat und es keine Probleme gab."

Erschrocken wollte ich aufstehen, doch die Ketten hinderten mich daran. Somit schreckte eigentlich nur mein Kopf in die Höhe und ich sah Mario panisch an. "Was ist mit Madam Rosett und ihrem Hund?", fragte ich ihn.

Wieder Mal schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. "Mach dir keine Sorgen, Kleines. Ich töte keine alten Frauen und auch keinen Hund.", betonte er extra. "Was hast du getan?", zischte ich, da ich ihm kein einziges Wort glaubte.

Plötzlich stand Mario vom Stuhl auf, sodass dieser fast zu Boden fiel. "Ach so ist das. Du stellst die Fragen und ich soll antworten?", meinte er aggressiv, was der Grund dafür war, dass ich mich wieder ziemlich klein und unsicher fühlte.

Doch er setzte sich wieder in die gleiche Position wie zuvor zurück und sah mich ruhig an. "Aber ich will ja mal nicht so sein.", sagte er normal zu mir. Dieser Typ hatte ja echte Stimmungsschwankungen. "Nachdem meine Männer und ich es geschafft hatten, dich bewusstlos zu bekommen, haben wir dich in mein Auto gesteckt und ich habe den Hund zu der alten Dame zurückgebracht. Ich habe ihr erklärt, dass du dich am Fuß verletzt hast und deswegen leider Gottes verhindert bist, ihr den Hund persönlich zu bringen. Noch Fragen?", erzählte er mir. Komischerweise glaubte ich ihm die Geschichte sogar.

"Was willst du von Milan?", fragte ich ihn geradewegs. "Ach Kleines, wir waren doch gerade bei einem viel schöneren Thema. Aber wenn du unbedingt das Thema wechseln willst... Dann bin ich aber erstmal mit Fragen dran.", entgegnete Mario.

"Wieso wart ihr auf Sizilien?", fragte er und sah mich dabei mit so einem durchbohrenden Blick an. "Milans Tante hatte Geburtstag.", antwortete ich knapp. "Du willst mir sagen, dass das der einzige Grund war?", meinte Mario misstrauisch nach einem Moment der Stille, als hätte er vorher darauf gewartet, dass ich weiterrede.

Fragend sah ich ihn an. "Ja?", entgegnete ich unsicher. "Mimmi, Kleines, wir können das auf die nette Art und Weise lösen, aber wenn du nicht mitmachst, muss ich andere Maßnahmen ergreifen. Also? Wieso wart ihr dort?", hakte er wieder nach. Diese ruhige, aber auch durchaus bedrohliche Art kam mir total bekannt vor, doch ich wusste nicht woher.

"Ich sage dir doch die Wahrheit, Mario. Ich weiß von nichts. Milan hat sich dort komisch benommen, aber was genau er geplant hat oder so, weiß ich nicht. Der Vorwand, der mir gesagt wurde, war, dass wir bei dem Geburtstag seiner Tante dabei sein müssen.", versuchte ich ihm zu erklären.

"Wie mir zu Ohren gekommen ist, bist du anfangs nicht freiwillig mit. Was genau war da?", wollte er weiter wissen. Ich atmete genervt aus. Ich wollte hier weg. Keine Ahnung, wieso Mario so war, aber ich traute der Sache einfach nicht. Es gab bestimmt irgendeinen Haken.

"Milan und ich hatten Streit, weil ich sein Auto genommen habe und er sich Sorgen gemacht hat.", erzählte ich die Kurzfassung. "Und weiter?", wollte er einfach nicht locker lassen.

"Ich war für ein paar Tage Zuhause und dann hat mich Milan aus einer wichtigen Prüfung genommen und nach Italien verschleppt.", fuhr ich fort. Ich hatte den Eindruck, als würde Mario jedes einzelne Wort genauestens analysieren und verstehen wollen.

"Was genau bringen dir diese Informationen?", fragte ich ihn, da er nicht wirklich reagierte und nachdenklich schien. "Milan wäre nie einfach so von hier fortgegangen. Er kann die Stadt nicht einfach so alleine lassen. Er ist schlau, er weiß, dass ich die Stadt sofort an mich gerissen hätte.", antwortete er mir.

"Wieso hast du es denn nicht getan?", entgegnete ich. "Ich wusste, dass er irgendwas geplant hatte. Nur wusste ich nicht, was. Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass du mir diese fehlenden Informationen geben könntest. Doch scheint es so, als würde Milan dir nicht alles anvertrauen.", meinte er nachdenklich.

"Er will mich nur beschützen.", gab ich trotzig von mir. Mario lachte. "Du musst nicht beschützt werden. So wie ich dich erlebt habe und was sich so herumgesprochen hat, kannst du ganz gut auf dich selbst aufpassen. Nur Milan wäre ja nicht Milan, wenn er nicht auf dich achtgeben würde. Aber so ist Milan Sánchez.", meinte er mit gewisser Verachtung in seiner Stimme.

"Euer gegenseitiger Hass ist aber ziemlich stark.", bemerkte ich. Verwirrt sah er mich an: "Natürlich. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn jemand deinen Onkel und Cousin umbringt? Und Milan hat nicht mal mit der Wimper gezuckt."

Mario wirkte traurig und wenn ich hier nicht gefesselt gelegen hätte und er nicht so ein Arschloch gewesen wäre, hätte ich ihn sogar aus Mitleid umarmt.

"Ich weiß, wie du dich fühlst. Meine Eltern sind auch erst seit ein paar Jahren tot. Sie wurden erschossen von so einem Arsch.", meinte ich, um ihm irgendwie das Gefühl zu geben, dass er nicht alleine war.

"Wie lange ist das her?", fragte er direkt. "So um die drei Jahre, da war ich 16 Jahre alt.", entgegnete ich. Er schien zu überlegen. Interessierte ihn meine Geschichte so sehr?

"Tja, schade, aber da kann man nichts machen.", meinte er trocken und stand vom Stuhl auf. Er stellte diesen wieder in die Ecke zurück und kam auf mich zu. "Aber ich bin ja kein Arschloch. Die Metallketten waren nur so lange für dich bestimmt, bis du aufwachst.", erklärte er mir ruhig. Er hatte zwar auch etwas Last mit den Ketten, doch bekam diese schlussendlich ab.

Mit einer einfachen Handgeste deutete er mir, dass ich aufstehen sollte. "Wir holen dir erstmal wieder deine Klamotten.", meinte er und öffnete die Tür. Er drehte sich zu mir und sah mich abwartend an.

Unsicher stand ich auf und musste erstmal wieder den Halt auf festem Boden finden. Ich fühlte mich noch unsicherer, da ich ja fast nichts trug. Doch meine Hand wanderte an meinen Hals, wo ich meine Halskette wieder richtete. Der Anhänger hing nämlich nicht vorne, sondern hinten, da ich gelegen hatte.

Doch als ich den Raum verlassen wollte, griff Mario nach meinem Oberarm. Ängstlich sah ich ihn an. Er war sogar noch größer als Milan, was mir einen kalten Schauer auf meinem Rücken bescherte.

"Was ist das für ein Anhänger?", fragte er ernst und nahm diesen, um ihn genauer zu betrachten. "Das ist mein Familienwappen. Die Kette habe ich nach dem Tod meiner Eltern in einer Schatulle gefunden. Wieso?", fragte ich unsicher.

Mario ließ von dem Anhänger ab, doch sagte nichts. Stattdessen zog er sich sein Shirt über den Kopf, sodass ich Sicht auf seinen definierten Oberkörper hatte. Doch das war nicht der Grund, wieso ich innehielt.

"Mein Familienwappen.", flüsterte ich und strich über Marios Tattoo.
"Unser Familienwappen.", korrigierte er mich.

Life with secrets and liesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt