Kapitel 14

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Mimmis Sicht

Als der zweite Schuss ertönte, zuckte ich wieder zusammen. Milan wirkte sichtlich nervös, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Auch ich blickte mich jetzt um. In der Ferne auf der anderen Seite der Bar konnte ich zwei Gestalten erkennen. Sie hatten eine ähnliche Statur wie Milan.

"Was zur Hölle.", kam es nur leise flüsternd von mir. Grund dafür waren nicht mal wirklich diese Männer, sondern die Person, die ein paar Meter weiter von ihnen weg lag. Keine Ahnung, ob mein Gehirn nicht arbeiten wollte, aber erst einen kurzen Moment später realisierte ich, dass diese Person angeschossen wurde. Deswegen ertönten die Schüsse.

Ohne darüber nachzudenken, wollte ich zu der Person. Doch Milan hielt mich noch rechtzeitig zurück. "Bist du bescheuert? Wenn du da jetzt hingehst, liegst du auch so da.", sagte er in einem vorwurfsvollen Ton.

Ich sah ihn nur geschockt an, verstand dann aber recht schnell, dass das Ganze kein Spaß war und diese Typen wirklich schießen würden. Natürlich, das hatten sie ja eben auch schon getan.

Ich sah noch kurz zu Milan, der hektisch auf seinem Handy tippte, als auch schon eine Stimme ertönte. "Wen haben wir denn da? Milan, mein alter Freund", kam es von der anderen Straßenseite. Ich schluckte. Shit. Sie kannten Milan und die Aussage am Ende mit Freund war auch nicht ernst gemeint. Das konnte ich an der Art erkennen, wie der Mann es sagte.

"Was zum Teufel machst du hier, Mario? Du hast hier rein gar nichts verloren.", sagte Milan zu dem einen Typen, der ganz offensichtlich Mario hieß. "Ach weißt du, Langeweile und so. Ein echt nerviges Thema, nicht wahr?", antwortete Mario und blickte nochmal zu der am Boden liegenden Person.

"Dieses arme junge Ding stand völlig neben sich und wirkte total verzweifelt. Ich habe sie nur erlöst.", rechtfertigte er seine Tat. Das bedeutete, er hatte geschossen und nicht der andere, der sich eher im Hintergrund aufhielt. Ich kochte vor Wut, was war das denn bitte für eine Ausrede?! Das war kein Grund, jemandem das Leben zu nehmen.

Milan bemerkte meine Wut und sah mich warnend an. Dies bemerkte auch dieser Mario: "Aber viel interessanter als die Tote auf dem Boden, ist doch eher deine kleine Freundin da neben dir." Ich atmete einmal tief durch. Am liebsten würde ich ihm in sein Gesicht schlagen, wie dem einen Jungen aus der Bar.

"Das geht dich einen Scheiß an. Verschwinde wieder in deine Ecke der Stadt.", sagte Milan erstaunlich ruhig zu Mario. Er lachte: "Süß, du willst deine kleine Freundin aus der Sache raushalten. Weiß sie denn überhaupt, wer du wirklich bist? Sie sollte dir ja lieber nicht vertrauen."

Er wandte sich nun zu mir. "Hat er dir denn die Wahrheit gesagt?" Zögernd sah ich kurz zu Milan, dann aber wieder zu Mario und nickte leicht. Ich hatte ehrlich Angst, irgendwas zu sagen.

Mario lachte auf: "Dann hat er dir bestimmt auch gesagt, dass er schon sehr viele Menschen umgebracht hat, oder? Zum Beispiel meinen Onkel oder auch meinen Cousin, hinzu kommen noch so viele andere Leute, die ich nicht mal alle zählen kann. Es tut mir ja wirklich leid, dir das sagen zu müssen, aber man kann deinen lieben Freund schon als Massenmörder bezeichnen."

Mehr als nur geschockt sah ich wieder zu Milan. Dieser sah emotionslos zu Mario rüber. "Ist das wahr, Milan?", fragte ich ihn mit ein bisschen Hoffnung noch, dass Mario doch log. Er sah mich nicht an, sondern sein Blick galt weiterhin nur Mario. "Ich habe gefragt, ob das wahr ist?", wiederholte ich meine Frage, diesmal allerdings etwas wütender.

Doch statt mir zu antworten, zog Milan seine Waffe und richtete diese auf Mario: "Noch ein falsches Wort und du gehörst auch auf die Liste der Toten." Mario lachte wieder kurz auf. Doch Milan sprach weiter: "Verschwinde mit deinem Schoßhund wieder in deinen Bereich und lass dich nicht mehr blicken. Reicht schon, dass eine Person ihr Leben lassen musste, treib es nicht zu weit, mein Freund." Das Wort Freund betonte er dabei besonders.

Irgendwie bewunderte ich Milan, dass er in dieser Situation so ruhig bleiben konnte. Doch die Tatsache, dass er schon mehr Leute umgebracht hatte als sonst wer, machte mir doch Angst. Er war zwar vor dem Auftauchen von Mario fürsorglich und nett zu mir, aber trotzdem.

Nun zog auch Mario seine Waffe wieder und richtete sie auf Milan. Am liebsten würde ich ja irgendwas sagen und beiden eine reinhauen, aber wir waren hier leider nicht im Film. Nicht zu vergessen, dass beide eine verdammte Waffe hatten.

"Milan, du weißt, das, was du kannst, kann ich auch. Du siehst ja das arme Mädchen, was neben mir liegt." Er betrachtete das Mädchen und schmunzelte. Erneut machte sich die Wut in mir breit, dieses Mädchen hatte ihm nichts getan. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und war kurz davor, rüber zu gehen und ihm eine rein zu hauen.

Milan bemerkte meine Wut schon wieder und nahm mit seiner Hand meine. Er sah mir in die Augen und lächelte mich leicht an. Und um ehrlich zu sein, beruhigte mich das irgendwie. Ich versuchte, meine Atmung langsam wieder unter Kontrolle zu bringen und meine Wut zu verdrängen.

"Mario, verschwinde einfach endlich." sagte Milan ruhig, aber genervt. "Wieso? Das Gespräch ist doch so interessant, ich würde gerne mehr über deine kleine süße Freundin erfahren. Vielleicht leihe ich sie mir mal aus.", sagte Mario und zwinkerte mir zu.

Okay, das reichte mir. Ich hatte auch eine Grenze. Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich Milans Waffe und schoss auf Mario. Erschrocken darüber, wie einfach das doch war, sah mich Milan schockiert an. Mario hingegen keuchte kurz auf und taumelte ein paar Schritte zurück. "Du Miststück."

Der andere Typ neben Mario zückte nun auch seine Waffe und wollte auf mich schießen, doch Mario stoppte ihn. Im nächsten Moment kam ein schwarzes Auto um die Ecke. Zuerst sah ich das Auto nicht, da die parkenden Autos im Weg waren, doch als ich sah, wer ausstieg, stockte ich wieder. Diego und Marco. Wer auch sonst?

Diego und Marco richteten auch ihre Waffen auf Mario und den anderen. "Tja, Mario, drei gegen zwei. An eurer Stelle würde ich mal ganz schnell verschwinden.", sagte Diego. Auch Milan hatte sich wieder gefasst und richtete seine Waffe wieder auf Mario. "Na los, verschwinde von hier.", sagte nun wieder Milan.

Mario und der andere Typ ließen ihre Waffen runter und steckten diese weg. "Denkt nicht, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.", rief Mario uns nochmal zu und verschwand dann.

Ohne Rücksicht nahm Milan meinen Arm und zog mich zu dem schwarzen Auto. Er war sauer. Aus diesem Grund und weil mir mein Leben dann doch wichtig war, wehrte ich mich nicht gegen seinen Griff und folgte ihm.

Am Auto öffnete er die Tür und drückte mich fast schon auf den Sitz. Währenddessen würdigte er mich keines Blickes. Er schnallte mich dann noch wie ein kleines Kind an und schlug die Autotür zu.

Bitte? Hatte ich jetzt was falsch gemacht? Hatte ich ihn etwa angeschossen oder was war los? Eigentlich müsste ich doch diejenige sein, die sauer auf ihn war. Schließlich war er es, der schon unzählige Menschen getötet hatte.

Keine zehn Sekunden später saßen nun auch Diego, Marco und Milan im Auto. Diego saß am Steuer, Marco neben ihm und Milan saß hinten neben mir. Als Milan sich zu mir setzte, rückte ich noch ein Stück Richtung Fenster. Ohne ihn anzusehen, spürte ich trotzdem kurz seinen Blick auf mir. Obwohl wir der Situation eben haarscharf entkamen, hatte ich Angst, so nahe bei ihm zu sein. Generell dass alle drei hier im Auto saßen, ließ mich wahnsinnig werden. Alle hier hätten wirklich geschossen. Und das nicht nur, weil sie wütend waren.

Diego fuhr los und keiner sagte etwas. Gedankenverloren sah ich durch das Fenster nach draußen. Es fühlte sich alles gerade so surreal an. Als ob das nur ein Traum wäre. Doch ein leichtes Zwicken von mir in meinen Arm zeigte mir, dass das ganze sehr wohl passiert war.

Und in dem Moment schoss mir alles wieder durch den Kopf. Dieses Mädchen war tot und ich hatte irgendeinen Feind von Milan angeschossen...

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