Kapitel 24

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Milans Sicht

Nach der Auseinandersetzung mit Mimmi verzog ich mich erstmal in mein Büro. Ich brauchte jetzt einfach meine Ruhe. Und wie bewältigte man Stress? Genau, mit Alkohol.

Doch dieses Mädchen ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wieso meckerte sie mich denn bitte an? Weil ich an ihrem Handy war oder was?

Ich dachte ja mal eher, dass es sie mehr verletzte, dass wir einfach gegangen sind. Das sagte sie ja auch. Aber trotzdem. Es war doch nur zu ihrer Sicherheit.

Ein Klopfen ließ mich von meinem Glas Bourbon hochschauen. "Herein.", sagte ich nur knapp das Nötigste.

Diego betrat mit einem ernsten Gesichtsausdruck mein Arbeitszimmer. "Hey, hast du Mimmi gesehen, sie ist nicht in dem Zimmer?", erkundigte er sich.

Ich seufzte. "Schwieriges Thema, mein Freund, schwieriges Thema." Er sah mich misstrauisch an. "Was hast du getan, Milan?" Dieser Blick... Als ob ich hier wieder der Böse war.

"Tu bitte nicht so, als wäre das alles meine Schuld, obwohl du keine Ahnung hast.", entgegnete ich ihm. "Dann erkläre es mir.", antwortete er und setzte sich auf die Couch. Er nahm sich auch ein Glas und füllte sich selbst Bourbon ein. "Na los, ich warte.", sagte er ungeduldig.

"Klar, bitte, bediene dich ruhig an meinem Alkohol.", sagte ich nun deutlich genervt. "Ach, danke für deine Erlaubnis, mein Freund.", sagte Diego mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht.

Ich verdrehte die Augen. Er konnte froh sein, dass er zur Familie gehörte. "Mimmi und ich hatten eine kleine Auseinandersetzung und ich bin hierher geflüchtet.", schilderte ich ihm die Situation.

Kurz blieb Diego still. "Ah krass, das ist zu viel Information, das muss ich erstmal verdauen.", entgegnete er. "Du bist echt nervig, weißt du das?", fragte ich ihn direkt ins Gesicht. Doch er grinste nur.

"Ich habe ihr größtenteils das erzählt, was in den letzten Tagen geschehen ist. Doch ihr hat das alles nicht gereicht und meinte irgendwie, dass sie ja keine Antworten auf all ihre Fragen hätte und so. Zudem verübelt sie uns immer noch, dass wir an diesem einen Tag einfach gegangen sind. Keine Ahnung, ob da noch mehr war, ich hatte einfach keinen Nerv mehr für dieses Gespräch.", erklärte ich ihm.

"Naja, kannst du es ihr verübeln, dass sie so drauf ist und so reagiert hat? Ich meine, wir hätten wirklich irgendwas sagen können.", meinte er. "Ja klar, wir hätten ihr alles sagen sollen und sie wäre dann dauerhaft in Angst gewesen. Mit uns gegangen wäre sie sehr wahrscheinlich nicht. Außerdem ist das hier kein Leben für sie.", antwortete ich.

Diego sah mich an, doch ich konnte diesen Blick nicht deuten. "Aber du magst Mimmi doch. Zumal denken ehrlich gesagt viele Menschen, dass ihr zusammen seid. Und das kam nicht von ihr. Du machst dir Sorgen um dieses Mädchen. Das ist vollkommen okay."

Ich trank wieder einen Schluck aus meinem Glas. "Wann bist du eigentlich Psychologe geworden?", scherzte ich. "Milan, Mimmi ist alt genug. Sie wird die Wahrheit schon verkraften. Gib ihr die Möglichkeit, sich zu entscheiden.", riet er mir.

"Und dann? Was dann? Am Ende geht sie und Mario erwischt sie. Letztes Mal verlief es vielleicht gut, aber was, wenn es das nächste Mal nicht so läuft?", sagte ich nun leicht wütend, da ich an Mario, dieses Arschloch, denken musste.

"Du hast Angst, sie zu verlieren.", stellte Diego fest. Ich sagte nichts dazu. Denn ich wusste ganz genau, dass er Recht hatte. Ich wollte Mimmi weder verlieren noch dass ihr was passiert. Das in der Bar hat mich schon verrückt gemacht und da hat sie keiner wirklich angegriffen.

"Mimmi ist stark. Sie hat mehr durchgemacht als alle anderen in ihrem Alter. Ich bitte dich Milan, wirf sie nicht einfach weg und schließ sie nicht aus. Das hat sie nicht verdient. Sie hat uns geholfen, als wir Hilfe brauchten. Auch wenn das nichts krasses war, aber sie hat uns irgendwie von Anfang an vertraut. Und das bedingungslos. Sie wollte kein Geld von uns wegen ihrer Suite oder wegen des Frühstücks. Sie war da. Also wirf das alles nicht weg."

Mit diesen Worten wollte er gehen, doch ich hielt ihn auf: "Das heißt, dass ich ihr die Wahrheit mit unserem Verschwinden sagen sollte?"

Diego nickte mir zu: "Es wäre falsch, es nicht zu tun. Sie ist stärker, als wir denken." Er lächelte mir noch einmal aufmunternd zu und verließ dann mein Büro.

Ich nahm einen weiteren Schluck Bourbon. Eigentlich wusste ich ja, dass ich ihr die Wahrheit sagen sollte, aber was, wenn sie dann ging? Oder noch schlimmer, was, wenn ihr etwas passierte. Denn Diego lag richtig, ich hatte Angst, sie zu verlieren. Sie beeindruckte mich. Sie war stark. Natürlich war sie auch verletzlich, aber das war so gut wie jeder.

Ich fuhr mit meiner Hand durch meine Haare. "Komm schon Milan, du hast schon Schlimmeres überlebt, da kann dir doch so ein kleines Mädchen nicht komplett die Sprache verschlagen.", redete ich mir zu.

Tja, falsch gedacht. Dieses Mädchen konnte mehr, als wir alle erwarten würden.

Also dann mal los. Ich leerte noch schnell mein Glas und machte mich anschließend auf den Weg in das Zimmer, in dem Mimmi die ganze Zeit gelegen hatte.

Als ich den langen Flur entlang ging, überlegte ich mir, was ich ihr sagen wollte. Doch ich fand keine passenden Worte, um ihr die Situation zu erklären. Sollte ich doch lieber wieder umkehren?

Nein, Augen zu und durch. Dieses Mädchen hatte die Wahrheit verdient und sollte wissen, was hier vor sich ging.

Ohne zu klopfen betrat ich das Zimmer. Doch anstatt ein süßes Mädchen vorzufinden, blickte ich mich nur in einem unbewohnten Zimmer um. Das Zimmer sah so aus, als wäre sie nie da gewesen, als hätte sie nie dort Tage im Bett gelegen, da sie bewusstlos war.

Sie war weg. Wahrscheinlich jetzt endgültig. Das hattest du ja mal wieder toll hinbekommen, Milan.

Ich verließ das Zimmer wieder und wenn Diego das Ganze mitbekam, konnte ich mir wieder einen ewigen Vortrag anhören, wie schlimm ich doch war. Doch er wollte ja, dass ich ihr wirklich alles sage. Also wollte ich das auch tun.

Mit schnellen Schritten lief ihr durch die Flure in Richtung Haustür, um Mimmi zu finden. Doch soweit kam ich nicht. Denn plötzlich hielt mich eine Stimme von meinem Vorhaben ab.

Als ich mich umdrehte, erblickte ich Madam Rosa. "Sie ist in der Küche und sieht sehr blass aus. Zudem möchte sie nichts frühstücken. Mr. Sánchez, ich weiß nicht, was vorgefallen ist, aber bitte kümmern Sie sich um sie.", sprach sie zu mir. Der Ton der älteren Dame, die sich um das Haus kümmerte, war ruhig, aber auch ernst.

Erleichterung machte sich in mir breit, da dies bedeutete, dass Mimmi doch noch hier war. Verstehend nickte ich Madam Rosa kurz zu und begab mich dann in die Küche.

Dort saß sie. Mit dem Rücken zu mir auf einen der Barhocker. Vor ihr auf der Kücheninsel stand eine Schüssel Müsli, die sie aber nicht anrührte.

Mit diesmal langsamen Schritten ging ich auf sie zu und nahm sie in den Arm. Sie zuckte zusammen, da sie mich wahrscheinlich nicht gehört hatte.

"Pssst, ich bin es, alles ist gut.", flüsterte ich ihr ins Ohr. Sie machte allerdings keine Anstalten, sich umzudrehen, aber ließ es zu, dass ich sie so von hinten umarmte. Einen kurzen Moment verweilten wir so, stillschweigend und ihr Rücken an meiner Brust liegend. Dass meine Hände an ihrer Hüfte lagen, schien sie auch nicht zu stören.

"Es tut mir leid, ich hätte nicht so reagieren dürfen.", entschuldigte ich mich bei ihr. Wow, ich entschuldigte mich eigentlich nie. Erstaunlich, was dieses Mädchen mit mir anstellte.

"Schon okay, ich hätte nicht so viel fragen dürfen.", sagte sie leise und gleichzeitig traurig. Sie machte sich selbst gerade verantwortlich für mein Verhalten? Dazu fiel mir nichts mehr ein. War ich wirklich so schlimm, wie Diego immer sagte?

"Hey, sieh mich an.", sagte ich und drehte sie so, dass sie mir nun in die Augen schauen musste. "Es ist selbstverständlich, dass du nach sowas viele Fragen hast. Also mach dich nicht verantwortlich für das Ganze.", fuhr ich fort.

"Du hast mir aber schon so viel gesagt, ich hätte merken müssen, dass du mir nicht alles sagen willst.", antwortete sie. "Ich hatte Angst vor deiner Reaktion. Dass hier ist kein Leben, was ein so junges Mädchen wie du führen sollte. Allerdings hast du die Wahrheit verdient.", erwiderte ich wahrheitsgemäß.

Sie sah mich an, doch ich konnte ihren Blick nicht deuten. Ihre Wangen glänzten, da sie geweint hatte.

"Komm mit.", sagte ich zu ihr und gemeinsam verließen wir die Küche.

Diesmal würde ich keinen Rückzieher machen. Sie musste die Wahrheit erfahren.

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