Kapitel 20

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Die Männer hatten mich zum Glück noch nicht bemerkt. Doch dies ließ sich ganz schnell ändern.

Als ich mich wieder aus meiner Starre gelöst hatte und mich an der Bar abstützen wollte, rutschte ich ab und ein paar Shotgläser fielen beinahe runter. Durch meine schnellen Reflexe konnte ich aber den Fall verhindern.

Die Blicke der Männer blieben mir aber leider nicht erspart. Alle vier sahen mich an und zwei von ihnen wirkten deutlich geschockt. Ich nuschelte nur ein leises "Entschuldigung" und stellte die Gläser wieder an ihren rechtmäßigen Platz zurück.

Die Blicke der Männer galten immer noch mir und sie beobachteten jede einzelne Bewegung von mir. Konnte ich nicht einfach kurz im Erdboden versinken?

Tief durchatmen, Mimmi. Du konntest das. Doch die Worte, die ich mir innerlich zusprach, brachten rein gar nichts. Wieso zur Hölle musste ich denn genau hier Milan und Diego begegnen? Das sollte doch wohl ein mieser Scherz sein.

Aber nein, das hier war die bittere Realität. Ich durfte jetzt den ganzen restlichen Abend ihr Dienstmädchen spielen. Ich könnte einfach nur heulen, aber diese Genugtuung gönnte ich hier keinem.

Also ein freundliches Lächeln aufsetzen und professionell sein.

Mit selbstsicheren Schritten und guter Laune ging ich auf die Männer zu. "Entschuldigen Sie, wissen Sie denn schon, was Sie trinken möchten?", fragte ich in die Runde und bekam zwei irritierende Blicke von Milan und Diego zugeworfen. Tja, damit hatten die offensichtlich nicht gerechnet.

Als die zwei sich immer noch nicht gefasst hatten, antwortete mir einer der anderen Männern: "Für den Anfang erstmal vier Bourbon, meine Hübsche." Bei diesen Worten bemerkte ich nun, wie der Blick von Milan nicht mehr mir galt, sondern diesem Mann. Und dieser Blick war alles andere als freundlich.

Unter normalen Umständen hätte ich diese Reaktion ja süß gefunden, aber die Tatsache, dass sie sich ganze zwei Wochen nicht gerührt hatten, ließ mich schnell das Verhalten Milans vergessen.

Ich war nicht mal sauer, dass sie nicht mehr da waren, sondern eher, dass sie nichts gesagt hatten. Sie sind einfach gegangen. Die Tatsache schmerzte mehr, da sie genau wussten, dass ich schon Probleme mit Fake Freunden und so hatte.

Ich nickte dem Mann noch einmal freundlich zu und machte mich wieder hinter die Bar. Dort füllte ich den Bourbon in die passenden Gläser und gab noch ein paar Eiswürfel dazu. Ich stellte die Getränke auf ein Tablett und brachte dies wieder zu den Männern.

Ohne etwas zu sagen, stellte ich die Gläser auf den Tisch und würdigte Milan und Diego keines Blickes.

Um genau zu sein, wusste ich nicht, wie ich mich vor ihnen verhalten sollte. Ich mochte sie ja, das war keine Frage, aber ihr Verschwinden störte mich trotzdem. Sie wussten mehr über mich als eigentlich alle anderen und ich hatte mich ihnen anvertraut. Und mal wieder stellte sich heraus, dass ich keinem vertrauen sollte.

Hinter der Bar räumte ich ein bisschen auf. Hier im VIP-Bereich konnte man eigentlich nie wirklich was machen. Nur wenn die Leute etwas brauchten, konnte ich wirklich arbeiten. Auch das war ein Grund, wieso ich hier nicht gerne war.

Eigentlich hätte mich schon interessiert, was die Männer da besprachen, aber ich lauschte keinen fremden Gesprächen. Wahrscheinlich waren die eh nicht für meine Ohren bestimmt.

Viel mehr beschäftigte mich die Frage, wie ich jetzt weitermachen sollte. Milan und auch Diego machten keine Anstalten vor den anderen zwei, dass sie mich kannten. Sollte ich mich vor ihnen quasi zu erkennen geben? Oder sollte ich es doch lieber lassen? Wer waren die andern zwei überhaupt? Waren sie Freunde oder Feinde von Milan?

Weitere Gedanken konnte ich mir aber nicht machen, da ich von einer Stimme zurück in die Realität gerufen wurde. "Entschuldigung? Könntest du uns bitte eine Flasche Wasser bringen?", fragte mich der andere Mann, den ich nicht kannte.

"Natürlich, Sprudel oder Stilles? Was wäre Ihnen denn lieber?", fragte ich freundlich. "Sprudel, wenn es geht.", antwortete er mir. Also nahm ich eine Sprudelwasserflasche und vier kleine Gläser und ging zum Tisch.

Als ich die Flasche und die Gläser auf den Tisch gestellt hatte, wagte ich es Milan und Diego anzuschauen. Zu meiner Verwunderung sagte Milan etwas: "Dankeschön, Liebes."

Ich sah ihn emotionslos an. "Aber gerne doch, Milan", entgegnete ich kühl aber ruhig. Ich wollte wieder gehen, aber hielt in meiner Bewegung inne und drehte mich wieder zu Milan. "Ach und eins noch, ich hätte gerne meine Schlüsselkarte wieder. Die Suite gehört mir und ist weder euer Eigentum noch sollt ihr freien Zugang dazu haben.", sagte ich etwas schnippisch.

Die zwei Männer sahen Milan an, aber der Blick von Milan und Diego galt weiterhin mir. Diego wollte gerade ansetzen, irgendwas zu sagen, doch Milan sah zu ihm und verdeutlichte ihm, dass er nichts sagen sollte. Milan selbst sagte auch nichts und holte nur stillschweigend sein Portemonnaie raus.

Als er das tat, fiel mir erst auf, dass er eine kleine Pistole dabei hatte. Wie zum Teufel hatte er die denn hier rein bekommen? Normalerweise wurden die Leute doch kontrolliert, gerade wenn sie in den VIP-Bereich wollten.

Ich sagte allerdings nichts und ließ mir auch nichts anmerken. Er reichte mir meine Schlüsselkarte, aber sagte immer noch nichts. Ich nahm sie entgegen und ließ die Männer wieder alleine.

Als ich wieder hinter der Bar stand, schaute ich wieder zu den Männern. Milan sah mich kurz an, seinen Blick konnte ich allerdings nicht wirklich deuten. War er sauer oder enttäuscht? Tat es ihm leid, dass er einfach weg ging? In diesem Moment war ich wirklich froh, dass das Analysieren seines Verhaltens keine Aufgabe meines Dozenten war. Da wäre ich nämlich kläglich gescheitert.

Nur was sollte ich jetzt tun? Ich hatte meine Schlüsselkarte wieder und eigentlich war das alles, was ich wollte. Doch dass wir alle nun wieder unsere eigenen Wege gingen, wollte ich auch nicht. Ich mochte Milan, Diego und Marco, sie waren schließlich nett zu mir. Apropos, wo war eigentlich Marco? Er war hier nicht dabei, sondern nur Milan und Diego.

Doch wie hießen die anderen beiden hier? Sie hatten sich nicht vorgestellt. Gut, das mussten sie auch nicht, da das keine Pflicht war, aber trotzdem interessierte mich, wer sie waren.

In diesem Moment fiel mir etwas Wichtiges ein. Ich konnte ja ganz einfach auf der Liste nachschauen. Schließlich wurde im VIP-Bereich eine Buchungsliste geführt, auf der alle Namen standen.

Wenn ich jetzt noch wusste, wo diese Liste war, würde diese mir auch weiterhelfen. Unauffällig, sodass die Männer nichts mitbekamen, suchte ich in den Schubladen. Und tatsächlich fand ich ein kleines Büchlein mit den ganzen Namen. Ich blätterte zum heutigen Datum und las mir die Namen durch.
Milan Sánchez
Diego Delari
Roberto Russo
Alessandro Russo

Interessant auch mal Milans und Diegos Nachnamen gesehen zu haben. Die zwei anderen Männer schienen aber Geschwister zu sein. Den Namen zu urteilen, waren sie auch Teil der Mafia. Welch eine Überraschung.

Ich verstaute das Büchlein wieder dort, wo ich es hergenommen hatte, als auch schon kurz später mein Chef zu mir kam.

Als er den Raum betrat, sahen die Männer zu uns rüber. "Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber lassen Sie sich von uns nicht ablenken.", sagte er nett an die Männer gewandt und widmete sich mir.

"Was gibt's?", fragte ich ihn. "Ich muss schon früher los und wollte dir daher Bescheid sagen. Marcel weiß auch davon und schließt hier dann ab. Dann musst du nicht so lange bleiben und gehst, wenn du hier fertig bist.", sagte er ruhig zu mir.

Ich sah ihn etwas traurig an. Er erwiderte meinen mitleidigen Blick und umarmte mich kurz. Während der Umarmung flüsterte er mir ins Ohr: "Hey, du schaffst das schon, du bist Mimmi Kiana Evans, du schaffst alles." Wir lösten uns und ich sah ihn diesmal mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an. Wenn er nur wüsste, was hier wirklich abging.

Mit diesen Worten verließ John wieder den Raum. Als ich danach erneut rüber zum Tisch blickte, sah ich, dass Milan uns die ganze Zeit wahrscheinlich schon beobachtet hatte. Doch als er sah, dass ich ihn anschaute, blickte er wieder weg.

Na das konnte ja noch ein super Abend werden.

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